Am vergangenen Freitag reichte es Johannes Kumm. Als der ehemalige SPD-Stadtrat merkte, dass sich in Sachen Grenzöffnung für die Tägermoos-Kleingärtner nichts bewegen würde, bewegte er sich selbst. Zunächst ins Freie: Er trug einen Tisch und einen Stuhl vor sein Haus, legte sich einige Blätter Papier zurecht, rief ein paar Leute an, setzte sich und wartete.

Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer

Nicht lange. Unter den Kleingärtnern verbreitete sich wie ein Lauffeuer, dass Kumm Unterschriften sammeln will, um sie an den Oberbürgermeister der Stadt Konstanz und den Bundestagsabgeordneten für den Wahlkreis Konstanz, Andreas Jung (CDU), zu übergeben. Die beiden Politiker sollen sich dafür einsetzen, dass die Konstanzer Gärtner über die Schweizer Grenze nach Tägerwilen zu ihrem Grün dürfen.

In diesen sonnigen Tagen würde es in den Schrebergärten im Tägermoos längst blühen und gedeihen. Doch der Grenzzaun verhindert dies, ...
In diesen sonnigen Tagen würde es in den Schrebergärten im Tägermoos längst blühen und gedeihen. Doch der Grenzzaun verhindert dies, weil die meisten Pächter Konstanzer sind. Bild: Andrea Vieira | Bild: Andrea Vieira

Zwei Tage, 249 Unterschriften

Innerhalb von zwei Tagen hatte Kumm drei DIN-A4-Blätter mit Namen gesammelt, 249 insgesamt. Am Montag drückte er die Liste im Rathaushof Oberbürgermeister Uli Burchardt in die Hände.

Johannes Kumm übergibt dem Oberbürgermeister die Liste mit Unterschriften
Johannes Kumm übergibt dem Oberbürgermeister die Liste mit Unterschriften | Bild: Pressebüro Stadt Konstanz

Tags darauf war er zusammen mit Mitstreiter Gerhard Zeidler beim Bundestagsabgeordneten Jung. Beide Politiker wollen sich jetzt für die Sache der Kleingärtner stark machen. Auf dem Foto, das die Presseabteilung von der Übergabe der Unterschriften an den Oberbürgermeister geschossen hat, blickt Kumm grimmig in die Kamera.

„Ich habe nichts in meinem Leben, der Garten ist das Einzige.“

Für ihn ist das alles kein Spaß. „Es geht nicht darum, ob der Garten verwildert oder nicht“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER, „es geht hier um Halt, um psychologische Aspekte.“ Für junge Familien sei es ärgerlich und schade, dass sie gerade jetzt nicht mit den Kindern in den Garten könnten. Doch die Älteren würden extrem leiden. „Eine ältere Frau kam an den Tisch, das war ganz schlimm, weil sie so verzweifelt war“, sagt Kumm. Er ergänzt: „Sie sagte: ‚Ich habe nichts in meinem Leben, der Garten ist das Einzige und mit den Blumen fühle ich mich weniger allein.‘“

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Wut und Verzweiflung

Die vorherrschenden Gefühle unter den Gärtnern seien Verzweiflung und Wut auf die Politik. Denn – und das beobachten die Pächter der Kleingärten vom Tägermoos und vom ebenfalls zur Schweiz gehörenden Döbeli ganz genau – was die Grenze angeht, sind Lockerungen offensichtlich möglich. Ehepaare, eingetragene Lebenspartner, Eltern und pflegende Angehörige dürfen nun unter gewissen Bedingungen in die Schweiz und wieder zurück. Für sie hatten sich Uli Burchardt wie Andreas Jung unter anderem beim Innenminister des Landes, Thomas Strobl, eingesetzt.

Johannes Kumm (Mitte) und Gerhard Zeidler übergeben dem Bundestagsabgeordneten Andreas Jung (CDU, rechts) die Unterschriftenliste.
Johannes Kumm (Mitte) und Gerhard Zeidler übergeben dem Bundestagsabgeordneten Andreas Jung (CDU, rechts) die Unterschriftenliste. | Bild: (privat)

„Die Lockerungen haben sich immer mehr ausgeweitet“, sagte Andreas Jung, am Dienstag gegenüber der Redaktion. Erst durften nur Pendler passieren, dann berücksichtigte man auch familiäre Aspekte, nun ringe man um die Frage der Partner ohne Trauschein. „Die Kleingärtner wären eine weitere Ausnahme. Unsere Region ist so verflochten. Wenn man die Ausnahmen zusammenzählt, stellt man fest: Die Ausnahmen sind die Regel“, sagte Jung.

Jung will mit Schweizer Botschafter sprechen

Und: „Ich setze mich dafür gerne für die Kleingärtner beim Bund ein. Ich werde auch in den nächsten Tagen mit dem Schweizer Botschafter sprechen – aus Überzeugung und mit Nachdruck, weil wir hier einfach eine besondere Situation haben. Das ist keine normale Grenze, das ist eine Konstanzer Fläche, die natürlich zur Schweiz gehört,“ ergänzt der CDU-Bundestagsabgeordnete.

Jetzt hakt es in Deutschland

Oberbürgermeister Uli Burchardt hatte sich bereits zu Beginn der Grenzschließungen vor mehreren Wochen um eine Ausnahme für die Tägermoos- und Döbeli-Kleingärtner bemüht. Im März noch war es laut Stadtverwaltung an der Eidgenössischen Grenzwacht gescheitert. Jetzt hakt es offenbar in Deutschland.

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In einem Brief an die Döbeli-Kleingärtner, die dem OB mehrfach schrieben und der dem SÜDKURIER vorliegt, verweist der Oberbürgermeister auf die Corona-Verordnung des Bundes und das explizite Verbot von Grenzübertritten, um private Gärten zu bewirtschaften. „Entscheidend ist für Ihr Anliegen deshalb, dass die Bundesrepublik diesen Passus lockert!“, schreibt Burchardt mit Nachdruck.

Schweizer sind bereit, Lösungen zu ermöglichen

Und weiter: „Unser Verhandlungsführer mit den Schweizer Grenzorganen hat mir berichtet, dass die Schweizer Nachbarn bereit sind, nach deren Rechtslage vertretbare lokale Lösungen zu ermöglichen, sobald die Bundesrepublik ihre restriktiven Regelungen gegenüber der Schweiz weiter lockert.“ Nur dann könne die Schweiz nachziehen. Er habe deshalb Innenminister Strobl angeschrieben, damit der bei seinem Kollegen im Bund, Horst Seehofer (CSU), interveniere. Zusammen mit den CDU- und SPD-Fraktionen im Gemeinderat sei er auf die lokalen Bundestagsabgeordneten zugegangen.

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Zudem sei bereits ein Vorschlag erarbeitet, der an die Grenzbehörden beider Länder gehen soll, sobald sich erste Lockerungen zeigten: dass die Konstanzer Kleingärtner an zunächst zwei Wochenenden mit speziellen Papieren über die Grenze könnten.

„Wir wollen einfach nur in unsere Gärten.“

Das würde Kumm sicher freuen: „Kein Betroffener sieht ein, was das mit der Pandemie zu tun haben soll, wenn ich da rüber laufe in den Garten“, sagt er, „wir wollen dort nicht einkaufen, wir wollen dort niemanden treffen – wir wollen einfach nur in unsere Gärten.“

Gleichbehandlung aller Beteiligten?

Und sein Garten-Kollege Gerhard Zeidler schreibt in einem Leserbrief: Die Pendler, die Familien und die unzähligen Kraftfahrer – dieser Personenkreis stelle aus Sicht der Regierung scheinbar keine Gefahr für die Verbreitung des Virus dar. „Ganz anders aber bei den Pächtern der Gärten.“ Er will niemanden gegeneinander ausspielen, so Zeidler. Denn: „Es tut uns allen auch weh, dass Familien plötzlich getrennt werden. Aber es geht hier auch um eine nachvollziehbare Gleichbehandlung aller beteiligten Gruppen. Mit etwas gutem Willen und logisch angewandtem Menschenverstand sollte hier doch eine schnelle Lösung zu finden sein.“