Kaum gibt es Unstimmigkeiten in einem fasnachtstreibenden Verein, schon wird eine neue Gruppe gegründet. Heute ist das fast schon Usus, vor einem halben Jahrhundert hingegen hatte solch ein Tun jede Menge Zündstoff. Wenn Albrecht Kuttruff einfach bei der Konstanzer Blätzlebuebe-Zunft ausgetreten wäre, hätte das niemanden geschert.

Aber der Alefanz erdreistete sich nicht nur, eine neue Gruppe zu gründen, sondern trat mit einem närrischen Plagiat an den Start. Damit nicht genug: Er nannte seine Gruppe „Vereinigung Freie Konstanzer Blätz und Historische Stadtwache“. Die Verwendung des Begriffes „frei“ in der Namensgebung schlug dem närrischen Fass den Boden raus.

Was seinerzeit vorgefallen war und zu der Spaltung der Blätz geführt hatte, wissen nicht einmal Rositha Maier-Eisenbach und Erwin Schroff, die seit Anbeginn bei den Freien Blätz aktiv sind. Rositha Meier-Eisenbach mutmaßt, Albrecht Kuttruff habe bei den roten Blätz Zunftmeister werden wollen, aber sich nicht gegen den Mitbewerber Heinz Hug durchsetzen können. „Albrecht hat später irgendwann einmal erzählt, dass er gesagt habe: „Denn gang i halt...“, berichtet Maier-Eisenbach und Erwin Schroff fügt an: „Ich denke, er war schon sauer.“

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Jedenfalls setzte Kuttruff alle Hebel in Bewegung, um rasch eine stattliche Zahl an Freien Blätz um sich zu scharen, darunter auch Rositha Maier-Eisenbach, die eigentlich zu den „Roten“ gehört hatte. Warum sie wechselte? „Mir persönlich hat das Konzept gefallen. Ich war damals gerade 17 Jahre alt“, erzählt sie und meint über die roten Blätz: „Ich hatte immer das Gefühl, an der Spitze sei eine eingeschworene Gemeinschaft.“ Bei Umzügen mit 800 Blätz mitzulaufen als eine unter vielen, war ihr zu anonym.

Widrige Umstände sorgen für Zusammenhalt

Bei den Freien Blätz hingegen, „da war es familiär und wir haben alles aufgebaut“; Erwin Schroff spricht gar von einer „Euphorie“. Beide erzählen lebhaft davon, wie die Freien Blätz den „Gockel“ auf den die Saalhemden ausgemalt und in der Druckerei von Kuttruff die Filzblätz ausgestanzt haben. Wieso sie nicht einfach bei Schürzen Stuhler – bis zu der Geschäftsschließung vor Jahren war es die Adresse für Flecklehäs-Träger und quasi Stammgeschäft der Blätzlebuebe-Zunft – einkauften? Die Freien hätten dort nichts bekommen, zumindest in den ersten Jahren, erzählen die Gründungsmitglieder. Aber wohl gerade die Tatsache, unter widrigen Umständen bei Null anzufangen, habe die Gruppe richtig zusammengeschweißt.

Am Dreikönigstag holt die Historische Stadtwache den Freien Blätz aus dem Kerker des Pulverturms und führt ihn dem Hohen Rat der Stadt ...
Am Dreikönigstag holt die Historische Stadtwache den Freien Blätz aus dem Kerker des Pulverturms und führt ihn dem Hohen Rat der Stadt Konstanz vor. | Bild: Aurelia SCjherrer

Rositha Maier-Eisenbach erzählt: „Albrecht hat nie ein böses Wort über die roten Blätz gesagt. Aber ich glaube, er hat es genossen, ihnen eins auszuwischen.“ Schließlich haben die Freien Blätz nicht nur fast das gleiche Häs, auch verfügen sie seit Anbeginn ebenfalls über einen Laternentanz, den sie lediglich in Lichtertanz umbenannten.

Und sie hatten einen Fanfarenzug, von dem Erwin Schroff, der 1972 die Leitung übernahm, in den höchsten Tönen schwärmt. „Wir Neuen konnten noch nicht spielen und haben uns fast täglich zum Üben im Tägermoos oder im Wald getroffen. Wir waren alle sehr ehrgeizig“, erzählt er, wohl durch die Konkurrenzsituation beflügelt. Dabei hebt er ein besonderes Merkmal hervor: „Wir hatten auch Jagdhörner“, stellt er fest und fügt nach einer kurzen Pause erklärend hinzu: „Albrecht war Jäger.“

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Allerdings waren die Freien Blätz in den Anfangsjahren mehr in der Schweiz als in Konstanz unterwegs. „Durch die Spaltung wurden die Freien in Konstanz nicht so angenommen“, meint die amtierende Präsidentin Ariane Biesinger. Und, wie die beiden Gründungsmitglieder erzählen, sei es ihnen anfangs auch nicht ganz so wohl gewesen, den roten Blätz zu begegnen. Doch mit den Frauenfelder Murganesen als Patenverein wurden die Freien Blätz in den Ostschweizer Narrenkonvent aufgenommen.

Historische Stadtwache – Der große Unterschied

Und doch haben die Freien Blätz etwas, was die Roten nicht haben: Eine historische Stadtwache und bereits mit der Gründung Fahnenschwinger, die die Genehmigung erhielten, das Konstanzer Wappen zu schwingen, wie Ariane Biesinger erläutert. „So waren und sind auch Aktivitäten außerhalb der Fasnacht möglich.“

Tradition ist, dass die Historische Stadtwache Konstanz mitsamt Fahnenschwinger auch das Wollmatinger Dorffest eröffnen.
Tradition ist, dass die Historische Stadtwache Konstanz mitsamt Fahnenschwinger auch das Wollmatinger Dorffest eröffnen. | Bild: Scherrer, Aurelia

Mit einer Veranstaltung haben sich die Freien Blätz in die Narrenherzen gespielt: Dem Kaffeekränzle am Sonntag vor dem Schmotzigen Dunschtig. In den Anfangsjahren „war das noch ganz familiär“, erzählt Rositha Meier-Eisenbach; lediglich Vereinsmitglieder und deren Familien und Freunde kamen zusammen. Später wurde der Kreis immer größer und größer.

Seit vielen Jahren stellt die Kirchengemeinde St. Gallus ihren Saal zur Verfügung. „Wir müssen gar nicht mehr anrufen, sie blocken uns den Saal automatisch“, freut sich Ariane Biesinger. Was sie noch glücklicher macht, ist die Tatsache, dass alle Fasnachter zum närrischen Kaffeekränzle kommen und mit Auftritten – von Ballett bis Fanfarenzug – für Stimmung sorgen und gemeinsam einträchtig Fasnacht zu feiern. Und der Fanfarenzug der Konstanzer Blätzlebuebe-Zunft ist seit vielen Jahren mit von der Partie.

Beim närrischen Kaffeekränzle der Freien Blätz erfreuen sich die Zuschauer an den unterhaltsamen Darbietungen auf der Bühne von St. ...
Beim närrischen Kaffeekränzle der Freien Blätz erfreuen sich die Zuschauer an den unterhaltsamen Darbietungen auf der Bühne von St. Gallus, für welche die unterschiedlichsten Gruppierungen verschiedener Konstanzer Vereine sorgen. | Bild: Scherrer, Aurelia

Von dem Zwist zwischen den beiden Vereinen wissen höchstens noch die ganz Alten; die Jungen interessiert das nicht. Längst sind unter den Vereinen Freundschaften entstanden. Eines der schönsten Erlebnisse für Ariane Biesinger: Nach einem Sonntags-Umzug hat sie Claudia Sferragatta (seinerzeitiger FZ-Chef der Blätzlebuebe-Zunft) getroffen, und sie haben für ein Spontan-Foto Kragen und Kopfbedeckung getauscht. Das wäre vor 50 Jahren undenkbar gewesen.

Schon seit Jahren in Eintracht: Ariane Biesinger, seit 2008 Präsidentin der Freien Konstanzer Blätz, und Claudia Sferragatta, ehemaliger ...
Schon seit Jahren in Eintracht: Ariane Biesinger, seit 2008 Präsidentin der Freien Konstanzer Blätz, und Claudia Sferragatta, ehemaliger Chef des Fanfarenzug der Konstanzer Blätzlebuebe-Zunft, beim spontanen Kleidertausch. Bild: Freie Blätz | Bild: Freie Blätz

Alles ist dennoch nicht vergessen, sondern hat sich im kollektiven Narrengedächtnis eingebrannt, wie Ariane Biesinger bestätigt, denn: „Wenn es in einem Verein ein bisschen brodelt und einige intern rebellieren, tragen sie irgendetwas Orangenes am Häs“, berichtet sie und fügt mit einem Augenzwinkern an: „Wir haben der Revolution eine Farbe gegeben!“