
Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Um 16 Zentimeter hat sich der Giebel des schönen Jugendstil-Hauses bis Freitagabend, 26. Juli, schon geneigt. Pro Stunde wird es ein Millimeter mehr, so haben es die gelben Sensoren aufgezeichnet, die das Technische Hilfswerk am Giebel und an anderen Stellen der Fassade angebracht hat.

Wenn es so weiter geht, wird eines der Wahrzeichen des Stadler-Hauses bald nach hinten in die glimmenden und rauchenden Trümmer stürzen. Und für das Wochenende sind Gewitter und Sturm ankündigt. Spätestens dann wäre dieses Kleinod wohl verloren, im schlimmsten Fall in Trümmern doch auf die Zollernstraße gekracht, das wäre dann besonders gefährlich.

So ist die Lage, als sich die Zimmerleute von zwei Betrieben in der Region am vergangenen Freitag an die Arbeit machen. Einen Kran und einen Hubsteiger haben sie dabei. Stundenlang hatten die Telefondrähte geglüht, bis im Baustoff- und Holzhandel in aller Schnelle das nötige Material besorgt war. Architekt Christoph Bauer und Baustatiker Thomas Relling haben geplant und gerechnet, wie es gehen könnte.

Ein paar betonierte Sockel stehen schon vor dem Haus, aus dem immer noch Rauch quillt, riesige Kanthölzer sind auslegt. Doch dann, am Freitagabend, beginnt der schwierigste Teil bei der Rettung dieser historischen Fassade. Die über 16 Meter langen Balken müssen an die Fassade angebracht und als Stützwinkel verbaut werden.

Tonnenschwer ist die Konstruktion. Erst auf der Baustelle können alle Teile so vorbereitet werden, dass alles passt. Mit dem Kran ist der erste Balken schnell aufgestellt. Dann aber müssen die Zimmerleute ihn mit dem Mauerwerk verbinden. Aus dem Korb des Hubsteigers hantieren sie über 15 Metern Höhe mit Zwingen. Kein Job für Ängstliche.

Dann müssen sie die Arbeit unterbrechen. Die Feuerwehr muss nochmals ran. Immer wieder lodern kleine Flammen auf. Gelöscht ist dieser Brand auch nach fast 48 Stunden nicht. Qualm legt sich in die Zollernstraße, erschwert die Sicht und reizt die Atemwege. Die Zuschauer, die am gut bewachten Bauzaun beim Haus zum Hohen Gewölbe stehen, stört es nicht.
Bis kurz vor Mitternacht steht hier eine kleine Menschentraube und verfolgt die Arbeiten. Auch Bent und Solveig Sörensen schauen vorbei. Sie haben das Möbelhaus im Erdgeschoss jahrzehntelang geführt und erst vor wenigen Monaten an ihre Nachfolgerinnen übergeben. Ihnen ist anzusehen, wie schwer ihnen dieser Anblick fällt.
Unter Blechbewehrungen und Dachziegeln machen die Feuerwehrleute noch Glutnester aus. Fast chirurgisch löschen sie mal hier, mal da, immer bemüht, das verkohlte Gebälk nicht weiter zu schwächen.

Noch hält es die Giebel, besonders gefährdet sind die an der Ostseite, zur Weinstube „Zum Guten Hirten“ hin. Unterdessen arbeiten die Zimmerleute an der eilends entworfenen Konstruktion weiter. In dieser Nacht wollen sie den ersten riesigen Stützwinkel anbringen, der zweite soll dann am Folgetag bei Tageslicht folgen.

Auch Wolfgang Rüdiger vom Technischen Hilfswerk ist vor Ort. Seine Kameraden sorgen unter anderem für das Flutlicht. Denn das Ziel, die dringendsten Arbeiten noch bei Tageslicht fertigzustellen, ist unerreichbar geworden. Also wird in die Nacht hinein gearbeitet.
Als der schräg laufende Stützbalken ausgerichtet ist, der letzte Nagel eingeschlagen und die ganze Konstruktion sicher mit dem Mauerwerk verbunden ist, macht sich Erleichterung breit. Alles ist gut gegangen, die Fassade ist – so groß die Brandschäden im Inneren des Hauses sind – weitgehend intakt. Es könnte die Rettung für den vorderen, den schönsten und größten Teil des Stadler-Hauses sein.

Vorbei ist aber weder der Feuerwehr- noch der Baueinsatz. Die Feuerwehr bleibt vor Ort, müde Gesichter künden von den Strapazen der vergangenen Tage, man hält sich mit Brezeln und Apfelsaftschorle auf den Beinen.

Die Zimmerleute, der Architekt und der Statiker werden am Folgetag zurückkommen. Noch zwei weitere Stützgerüste sind geplant. Ob es gelingt, sie alle übers Wochenende fertigzustellen, steht in diesem Moment nicht fest. Aber eine wichtige Etappe ist geschafft, immerhin.