Es war eher ein Protestzügchen, der sich am Montag, 8. Januar, um 11 Uhr vom Lastwagen-Parkplatz im Konstanzer Industriegebiet in Richtung Innenstadt aufmachte. Der Konstanzer Gerry Mayr, bekannt für die Organisation von Friedens- und Anti-Corona-Demonstrationen in den vergangenen Jahren, hatte mit seinem Verein Bürgerdialog Konstanz zum Protest aufgerufen.
Laut der Einladung, die in verschiedenen Telegram-Kanälen und in den sozialen Netzwerken geteilt wurde, sollte nicht nur für „unsere Landwirte und gesunde Lebensmittel“, sondern auch für „Speditions- und Logistik-Unternehmen, den Mittelstand mit Handwerk und Gastronomie, die Familien, sowie unsere Sprache und Kultur, unsere Rentner und Kinder und für den Frieden“ demonstriert werden.
Zwar zeigten sich die Demonstrierenden mit den Landwirten solidarisch, die am Montag im ganzen Bundesgebiet ihre Aktionswoche einläuteten. Sie machten jedoch bei der Kundgebung auf der Marktstätte auch relativ schnell klar, dass auf der Agenda eher die Kritik am gesamten System, an der Bundesregierung und an Rüstungsexporten steht.
Schilder mit unterschiedlichen Aufschriften, wie beispielsweise „Es reicht! Wir brauchen Neuwahlen“, „Die Ampel muss weg“ oder „Landwirte fördern statt Rüstung“, prangten an mehreren Fahrzeugen. Mehrfach wehte die Schweizer Nationalfahne im Wind, auch das Symbol der Ampel auf einem Kreuz war vielfach zu sehen – die Ampel hierbei als Symbol für die Bundesregierung.
Veranstalter, Schweizer und ein AfD-Mann
Obwohl es der Tag, an dem bundesweit eine neue Welle von Bauernprotesten begann, waren in Konstanz lediglich drei Traktoren zu sehen. Ganz überwiegend waren es private Fahrzeuge, viele mit Schweizer Kennzeichen, die an der Aktion teilnahmen.

Von den knapp 60 Teilnehmern, die die Polizei laut eigenen Angaben vor Ort zählte, waren allein ungefähr 15 der Schweizer Gruppe der Freiheitstrychler zuzuordnen. Diese Gruppierung war auch immer wieder bei vergangenen Querdenken-Veranstaltungen aktiv. Auf der improvisierten Bühne bei der Kundgebung auf der Marktstätte stand unter anderem neben dem Veranstalter Gerry Mayr auch der frühere AfD-Landtagskandidat Thorsten Otterbach.

Obwohl Veranstalter Gerry Mayr ausdrücklich auch Landwirte zu seiner Kundgebung aufgerufen hatte, kamen nur wenige von ihnen. Vor diesem Hintergrund wetterte Mayr auch gegen die für Mittwoch geplante Protestaktion der Bauern: „Wo ist der Mann vom Bauernverband? Ich sehe ihn nicht!“ Und weiter: „Warum sind sie nicht bei uns, beim Volk? Am Mittwoch (Anm. d. Red.: bei der geplanten Demonstration des Bauernverbands) seht ihr Prunk und Protz mit ihren geputzten Traktoren.“
Für die 60 Teilnehmer, die bei eisigen Temperaturen auf der Marktstätte seinen Worten lauschten, hatte er lobende Worte übrig und freute sich über deren Anwesenheit. Wörtlich rief er doch zuvor ins Mikrofon: „Ihr seid der Pöbel, ihr seid das Volk, ihr seid die einfachen Leute!“ In dem Kontext kritisierte er erneut, dass sich nur wenige Landwirte dem Protest angeschlossen hatten.
Neben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (“ein korrupter Dreckshaufen“) stand auch die Bundesregierung unter Applaus der wenigen Anwesenden in der Kritik: mit Rufen wie „In einem sind sie gut: Euer Geld zu nehmen“ oder „Es geht um das ganze System und dass der übergriffige Staat zu viel Steuern von uns nimmt.“ Lobende Worte hatte Mayr derweil für die Zusammenarbeit mit der Verwaltung und der Polizei übrig. Das sei er „gar nicht gewohnt“, wie er sagte.
AfD-Mann Thorsten Otterbach macht Wahlwerbung
Die Kritik an der Bundesregierung griff Thorsten Otterbach, AfD-Politiker aus Öhningen, auf. So zitierte er aus einem Gedicht der Atomkraft-Befürworterin Anna Veronika Wendland, das diese am vergangenen Wochenende auf dem sozialen Netzwerk X (vormals Twitter) gepostet hatte. Darin heißt es beispielsweise: „Faule Eier auf Minister, ellenlanges Strafregister, Tagessätze & Arreste, Richter, Roben, Klagen, Knäste. Wer war immer mit dabei? Das Personal der Grünpartei.“ Das Gedicht, das bis Montagmittag knapp 200.000-mal angesehen wurde, richtet sich vorrangig gegen die Grünen – und vergleicht den Angriff von Bauern auf Minister Habeck an einem Fähranleger mit den teils gewaltsamen Öko-Protesten in den 1970er- und 1980er-Jahren.

Doch auch eigene Worte fand Otterbach, jedoch ging es dabei nicht um die Protest-Themen der Landwirte. So werde ihm und seiner Partei vorgeworfen: „Wir gefährden diese Demokratie. (...) Dabei ist unser großes Anliegen Frieden.“
Er kritisierte deutlich die Waffenexporte in die Ukraine und beschuldigte die Bundesregierung, den Krieg eskalieren zu lassen. Am Schluss versuchte er, ganz offensiv auf Stimmenfang für die kommende Kommunalwahl am 9. Juni zu gehen. Wer unzufrieden damit sei, der finde „die Alternative als Friedenspartei auf dem Wahlzettel“.
Ein Landwirt kommt dann doch noch zu Wort
Auch ein Landwirt, Helmut Müller vom Müllerhof in Kaltbrunn, kam auf die Bühne auf der Marktstätte. Er brachte als einziger auch inhaltliche Kritik vor. Er wandte sich gegen Steuererhöhungen des Bundes für Landwirte, gegen immer wieder stattfindende Kontrollen sowie gegen die strengen Richtlinien für seinen Betrieb. „Es ist wichtig, dass nicht nur Bauern, sondern auch Bürger auf die Straße gehen“, sagte er. „Die Leute der Regierung gehören in die Wüste geschickt.“

Unter dem Kuhglocken-Geläut, dem Erkennungszeichen der Freiheitstrychler, und unter Rufen wie „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Würde klaut“ oder „Friede, Freiheit, das Volk ist souverän“, wurde die Versammlung gegen 13 Uhr aufgelöst. Laut Polizeiangaben war es bis zu dem Zeitpunkt friedlich, auch zu Verkehrsbehinderungen sei es nicht gekommen.