Als juristisch heikel stellt sich nach dem ersten Verhandlungstag ein Fall vor dem Landgericht Konstanz dar, demzufolge ein heute 21-jähriger Mann seine inzwischen 19-jährige Schwester von Mitte Januar bis Mitte Mai 2022 in seinem Konstanzer WG-Zimmer gefangen gehalten, missbraucht und mehrfach vergewaltigt haben soll.

Einerseits gibt es klare Hinweise auf die Vergehen, gleichzeitig behaupten die Eltern des Angeklagten, dass ihre Tochter sich nur während drei Tagen in Konstanz aufgehalten habe und den Rest der Zeit bei ihnen in Schwäbisch Gmünd gewesen sein soll.

Verteidiger Sandro Durante (links) steht vor Prozessbeginn am 26. Januar im Gerichtssaal neben seinem Mandanten.
Verteidiger Sandro Durante (links) steht vor Prozessbeginn am 26. Januar im Gerichtssaal neben seinem Mandanten. | Bild: Silas Stein/dpa

Schwester gefoltert und vergewaltigt

Nach Aussagen des Opfers handelte es sich bei den Misshandlungen um Folter. Mit einem Bügeleisen soll der Bruder zum Beispiel die Hand der Schwester verbrannt, sie mit einem Kabel geschlagen und mit einem Kugelschreiber verletzt haben. Auf Brandwunden an den Füßen soll er Zitronensäure gekippt haben, damit die Schwester noch mehr Schmerzen spüre. An fünf Abenden im Mai soll er sie vergewaltigt haben.

Ihren Mund soll er mit einem Tuch verbunden haben, damit sie nicht schreien kann. Die beiden Mitbewohnerinnen hatten laut einer Polizistin nichts mitbekommen. Auch den Eltern hatte er glaubhaft gemacht, dass es der Schwester bei ihm gut gehe.

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Die Familie war 2021 aus Syrien nach Deutschland geflohen und in einer Flüchtlingsunterkunft in Schwäbisch Gmünd untergekommen. Der Angeklagte lebt schon seit mehr als sechs Jahren am Bodensee. Die Konstanzer Polizei kam durch einen Hinweis aus Schwäbisch Gmünd auf den Angeklagten, der am 13. Mai schließlich festgenommen wurde.

„Er hat seine ganze Wut an mir rausgelassen – ich war der Sündenbock für alles, was ihn gestört hat“, sagte die heute 19-Jährige in einer gerichtlichen Vernehmung aus dem Juni 2022, die vor Gericht vorgespielt wurde. Mittlerweile macht sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Welche Strafe droht bei Inzest?

Obwohl Inzest in Deutschland verboten ist, gehört er in diesem Fall nicht zu den Anklagepunkten. Der Grund: Das Strafmaß beim sogenannten Beischlaf zwischen Verwandten liegt laut Justizministerium bei einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren, für Vergewaltigung muss man deutlich länger in Haft. Geregelt ist das Inzestverbot in Paragraf 173 des Strafgesetzbuches. Bestätigt wurde es 2008 vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Umstritten ist es dennoch.

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Im Jahr 2014 hatte sich der Deutsche Ethikrat dafür ausgesprochen, auch den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr unter erwachsenen Geschwistern zu legalisieren. Das Strafrecht sei nicht das geeignete Mittel, um „ein gesellschaftliches Tabu zu bewahren“, hatten die Ratsmitglieder damals argumentiert und für die Streichung des Paragrafen 173 plädiert.

Weder an der Gesetzeslage noch an der Position des Ethikrats hat sich einem Sprecher zufolge seitdem etwas geändert. Doch in der Justiz wird weiter debattiert. Es gibt Stimmen, die Sex zwischen engen Blutsverwandten zwar als nicht wünschenswert betrachten, ihn aber dennoch nicht unter Strafe stellen würden.

Wie viele Fälle von Inzest sind bekannt?

Wenn der Sex nicht einvernehmlich ist – so wie im Konstanzer Fall – landet er auch ohne Inzest-Anzeige vor Gericht. Ein Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass es sich bei dem Vergehen nicht um einen Einzelfall handelt. Seit 2018 zählte das Landeskriminalamt zwölf weibliche Opfer einer Vergewaltigung durch den Bruder. Bundesweit waren es im Jahr 2021 allein 34 Fälle.

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