Christine Barth musste Nein sagen. Sie konnte Frauen, die vor häuslicher Gewalt geflohen waren, nicht ins Konstanzer Frauen- und Kinderschutzhaus aufnehmen. In 44 Fällen konnte kein Platz angeboten werden, 37 Mal gab es keine Finanzierung. „Uns gibt es seit 30 Jahren, aber es gibt keinen Grund zu feiern.“ Das Frauenhaus kämpfe schon immer ums Geld. Doch jetzt spitze sich die finanzielle Not zu, sagt Christine Barth vom Leitungsteam. Leidtragende seien nicht nur Frauen, sondern auch deren Kinder.

Dabei wäre die Lösung zum Greifen nah: das vielfach versprochene und von der Ampel-Regierung in Aussicht gestellte Gewalthilfegesetz. Dieses würde den Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung verankern – und damit die sichere Finanzierung und den bedarfsgerechten Ausbau der Frauenhäuser in ganz Deutschland. Christine Barth und alle Kollegen von Frauenhäusern hoffen sehr darauf. Denn Frauenhäuser in Baden-Württemberg stehen vor einem Riesenproblem.

Ihnen fehlt eine Basisfinanzierung. Es gebe zwar Fördermittel des Landes, im wesentlichen aber lebten Frauenhäuser von einem Tagessatz, sagt Barth. Sie rechnet vor: Das Frauenhaus in Konstanz bekomme für jede Person, die es aufnimmt, 74,34 Euro am Tag, doch in der Regel nur, wenn diese Bürgergeld bezieht. Sei dies nicht der Fall, so berichtet Christine Barth, dann wähle sie sich die Finger wund, um eine Lösung zu finden. „Wir hängen am Telefon, um doch noch eine Finanzierung hinzubekommen.“

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Manchmal gelinge dies nicht oder nicht schnell genug. Die Kommune komme in der Regel nur für Frauen mit Bezug zu Konstanz auf. Doch im Frauenhaus meldeten sich auch Menschen, die vor Tätern weit weg geflohen sind. Unter dem Strich stellt Barth fest: „Eine bestimmte Gruppe hat keinen Zugang.“ Sie meint damit Studentinnen, Rentnerinnen, Frauen im Asylverfahren und seit 2023 auch Frauen, die ihre Arbeit verloren haben und Arbeitslosengeld (ALG I) beziehen, vor allem, wenn sie keinen Bezug zu Konstanz haben.

Selbst wenn es Verbindungen zu Konstanz gibt, dauere es oft Tage oder Wochen, bis Lösungen mit allen Beteiligten abgesprochen sind. Doch ins Frauenhaus kommen sehr oft Notfälle, Frauen, die sofort Hilfe brauchen, weil die Gefahr besteht, dass der Partner sie verprügelt oder gar erschlägt. Wenn alle Stricke reißen, verweise man Frauen nach Nordrhein-Westfalen, wo es für Frauenhäuser eine Basisfinanzierung gibt. Doch auch dort seien die Kapazitäten begrenzt.

„Zahl polizeilich registrierter Häuslicher Gewalt steigt“

Es gebe jetzt den Vorschlag, Präventivmittel in Notfällen einzusetzen. Christine Barth hält es aber für notwendig, Frauenhäuser richtig zu finanzieren. Man wolle unbürokratisch Schutz bieten und sich nicht um Finanzierungsfragen kümmern. Im Bericht des Frauenhauses Konstanz für 2023 heißt es zur Lage in Deutschland: „Die Zahl polizeilich registrierter Häuslicher Gewalt steigt kontinuierlich an, in den letzten fünf Jahren um 19,5 Prozent.“

155 Frauen wurden im vergangenen Jahr durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet. Solche grausamen Taten kommen auch in der Region vor, im Bodenseekreis und im Schwarzwald wurden im Jahr 2023 drei Frauen getötet. Christine Barth betont: Die Täter kommen aus allen sozialen Schichten, unabhängig von der Herkunft. Der deutsche Bürokaufmann kann ebenso ein Schläger sein wie der Einwanderer.

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Christine Barth fürchtet eine Entwicklung hin zu mehr Frauenfeindlichkeit und Unterdrückung von Frauen. Sie verweist auf das Frauenbild der AfD, das dem der 1950er-Jahre entspreche. Demnach kümmert sich die „traditionelle“ Frau vor allem um die Kinder und den Haushalt. Viele junge Menschen würden mit diesem Geschlechterbild aufwachsen. Obwohl die Gleichberechtigung seit 75 Jahren im Grundgesetz verankert ist, seien die gesellschaftlichen Strukturen noch immer nicht darauf angelegt.

Noch immer verdienten die meisten Frauen weniger, noch immer leisteten sie viel mehr Sorgearbeiten, noch immer gebe es zu wenig Schutz vor Gewalt. Es sei für Frauen schwer, aus einem Haushalt mit gewalttätigem Partner auszubrechen. Um so unverständlicher sei es, dass ihnen dann noch Hürden in den Weg gelegt werden. Im schlimmsten Fall sei die Frau tot, bevor alle Finanzierungsfragen abgeklärt seien. Sie könne sich das nur so erklären: „Femizide sind ein gesellschaftliches Problem. Doch die Gesellschaft möchte sich damit nicht auseinandersetzen.“

Jahrelanges Warten auf das Gewalthilfegesetz

Barth sieht auch Vorschläge der CDU/CSU-Fraktion kritisch, die Strafen für Täter zu verschärfen. Sie verweist auf eine Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds. Dieser kommt zu dem Schluss: Es sei weder mit Abschreckung noch mit der Vorbeugung einer Tat zu rechnen, dies zeigten kriminologische Erkenntnisse. Im Übrigen litten Frauen nicht nur unter körperlicher Gewalt, für die die Strafen verschärft werden sollen.

Dies bestätigt Barth: Es gehe auch um psychische Gewalt, um die finanzielle und soziale Kontrolle und um die grundsätzliche Vorstellung, dass die Frau weniger wert sei. Die Frau sei vielfach abhängig vom Mann, von dessen Geld, aber auch dessen Zuwendungen. Denn oft werde sie systematisch getrennt von Freunden und Familie. Die Spitze seien dann körperliche Gewalt und im schlimmsten Fall die Tötung.

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Christine Barth beklagt: Bereits im Jahr 2018 habe Deutschland die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen unterschrieben. Die praktische Umsetzung aber fehle. Seit Jahren werde das Gewalthilfegesetz in Aussicht gestellt, „doch es kommt nicht“. Dabei sei es gerade in Zeiten, in denen die Gesellschaft nach rechts driftet, so wichtig.