Ist Konstanz in der Lage, Frauen, die vor häuslicher Gewalt in die Konzilstadt flüchten, zu helfen?

Die Frage drängt. Das Leck im Konstanzer Hilfesystem, das es laut dem Frauenhaus Konstanz seit Jahren gibt, ist seit 2021 zur klaffenden Lücke geworden. Frauen finden nach dem Frauenhaus keine Wohnungen in Konstanz. Einige landen in der Obdachlosenunterkunft. Viele entscheiden sich offenbar aus Not für die Rückkehr in die Gewaltbeziehung. Darauf weisen unsere Recherchen hin.

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Was ist passiert? Wie könnten städtische Ämter und die städtische Wohnungsbaugesellschaft Wobak helfen? Und warum ist es nicht die Lösung, nach dem Frauenhaus in Konstanz woanders neu anzufangen?

So soll das System funktionieren

Beginnen wir damit, wie das System Frauenhaus eigentlich funktionieren soll: Es ist eine Krisenintervention für Frauen und Kinder auf der Flucht. Landen sie in der Konstanzer Einrichtung, ist das ganz selten eine bewusste Wahl. Freie Plätze in Frauenhäusern sind rar, wie eine Recherche von SÜDKURIER und Correktiv Lokal zeigt.

Um die 30 Frauen – meist aus entfernten Landkreisen Baden-Württembergs, seltener aus anderen Bundesländern – gelangen auf diesem Wege laut den Jahresberichten des Konstanzer Frauenhauses in die Konzilstadt.

Keine Wohnung auf freiem Mietmarkt?

Von dort aus sollen sie mit Hilfe der Sozialarbeiterinnen alles regeln, um in der Region neu anfangen zu können. Sie knüpfen Netzwerke, suchen Psychologinnen. Die Kinder werden in Schule und Kitas geschickt, die Mütter halten Ausschau nach Jobs oder Ausbildungsplätzen.

Nach dem Frauenhaus der schwierigste Schritt: Ein unabhängiges Leben in einer eigenen Wohnung nach Jahren der körperlichen und psychischen Gewalt.

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Und hier hapert es. Auf dem freien Mietmarkt gibt es offenbar keine Wohnungen mehr für diese Menschen. Spätestens seit der Flucht sind sie ohne Einkommen und häufig angewiesen auf Sozialwohnungen.

Seit 2017 ging die Anzahl an Personen, die eine Anschlusswohnung in Konstanz und der Region fanden, bergab: Von acht (2017, 2018) über zwei (2019) auf vier (2020), dann null (2021 und 2022).

Zwei Übergangswohnungen für die Zeit danach

Das Frauenhaus hat reagiert und mit Spenden und Hilfe des Landes zwei Übergangswohnungen organisiert, so genannte Stabilwohnungen. Vermietet werden sie von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Wobak und der Vonovia.

Der Plan: Bis zu einem halben Jahr können Frauen dort bleiben, um in Konstanz und der Region Arbeit und eine Wohnung zu finden. Nach kurzer Zeit erhöhte man den Zeitraum auf ein Jahr.

Auch das half nicht.

Obdachlosigkeit oder die Rückkehr zum Gewalttäter

Das Frauenhaus schlug bei Stadt, Gemeinderäten und der Wobak Alarm. „Wenn wir es nicht schaffen, sie mit adäquatem Wohnraum zu versorgen, bietet die Stadt einen Platz in der Notunterbringung an. Das passiert regelmäßig“, sagt Regina Brütsch, Regionalgeschäftsführerin der Awo (Trägerin der Einrichtung).

Notunterbringung bedeutet Notwohnung, meist läuft es auf die Obdachlosenunterkunft hinaus. Vier Familien landeten dort in den vergangenen fünf Jahren. Einmal musste das Jugendamt die Kinder wegen Kindswohlgefährdung wieder rausholen, ohne Mutter.

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Die Mehrheit aber wählte das aus ihrer Sicht kleinere Übel: Die Rückkehr zum Gewalttäter. 2022 waren das acht Frauen (von 25), 2021 vier (von zwölf).

Julika Funk, die Gleichstellungsbeauftragte im Konstanzer Rathaus, erklärt: „Die Frauen sind traumatisiert, die Aussicht Obdachlosenunterkunft sorgt für Perspektivlosigkeit. Meist der Kinder wegen gehen sie dann zurück in die Gewaltbeziehung.“

Aus dem Frauenhaus heißt es von Regina Brütsch: „Das verunmöglicht uns unsere Arbeit, kann sie zunichte machen!“

Wohnung oder zurück zum Täter?

Gibt es diesen Zusammenhang: Wer keine Wohnung findet, geht zurück in die Gewaltbeziehung?

Abschließend können wir dies nicht beurteilen. Jedoch: Vergleicht man die Zahlen mit dem Jahresbericht des Berliner Vereins Frauenhauskoordinierung, in den Daten von über 180 Häusern deutschlandweit einfließen, fällt eines sofort auf: Der Anteil derjenigen, die zurück zum Täter ziehen, ist in Konstanz mit knapp 33 Prozent 2021 und 2022 viel höher als der deutschlandweite Durchschnitt von 16 bis 17 Prozent.

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Während deutschlandweit jährlich konstant rund 25 Prozent der Bewohnerinnen nach dem Frauenhausaufenthalt eine eigene Wohnung finden, sind das in Konstanz nur 15 Prozent (2021) und 16 Prozent (2022).

2017 und 2018 und 2019, als noch mehr Frauen mit ihren Kindern in Konstanz nach dem Schutzhaus bleiben konnten, war auch der Anteil der Familien niedriger, die zurück zum Gewalttäter gingen. Nämlich bei 17, 18 und 28 Prozent.

Was tun? Appell an Stadt und Wobak

Die Idee von Julika Funk: Die Wobak könnte den Frauen und ihren Kindern mit zwei der 150 Wohnungen, die sie laut eigener Aussage im Jahr vergibt, beim Neuanfang helfen.

Sie bezieht sich bei dieser Forderung auch auf die Istanbul-Konvention, ein europaweites Abkommen. Mit seiner Unterschrift hat Deutschland sich verpflichtet, Gewalt gegen Frauen auf allen Ebenen zu verhüten und zu beseitigen und die Frauen zu schützen.

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In Berichten zu dem Abkommen heißt es explizit, dass bezahlbarer Wohnraum der wesentliche Punkt für Gewaltopfer ist, wieder ein selbst bestimmtes, gewaltfreies Leben zu führen. Die Empfehlung: Kommunen sollen den Frauen und ihren Kindern Wohnungskontingente zur Verfügung stellen.

Besonders gefordert seien Kommunen mit eigener Wohnungsbaugesellschaft, so Funk. Bisher hat die Wobak nur zwei Frauen eine Anschlussunterkunft vermietet – innerhalb von 20 Jahren.

Doch der Vorschlag wurde abgeschmettert. Was ist da los?

Die Vergabepraxis der Wobak

Wie genau die Wobak ihre günstigen Mietwohnungen und Sozialwohnungen vergibt, weiß nur die Wobak selbst. Obwohl es ein städtisches Tochterunternehmen ist, in dessen Aufsichtsrat der Oberbürgermeister Uli Burchardt und Gemeinderäte sitzen, mischt sich die Politik nicht ein. Ein Gemeinderat, der davon nichts wusste, wurde zurückgepfiffen, als er vorschlug, mit der Wobak über die Frauenhausfrauen zu sprechen. Er möchte aber nicht namentlich genannt werden.

Hilfe über das Sozialamt?

Doch es gibt eine Möglichkeit, ein bisschen Einfluss zu nehmen. Viermal im Jahr treffen sich Vertreter von Wobak, Bürgeramt und Sozialamt und diskutieren besondere Härtefälle. Wer bekommt eine der wenigen verfügbaren Sozialwohnungen?

Bürgeramt und Sozialamt können Empfehlungen aussprechen. Laut Sozialamt sind 300 Menschen ordnungsrechtlich untergebracht, also in Notunterkünften und -wohnungen, davon 90 Kinder. Einige davon lebten vorher im Frauenhaus.

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Position des Sozialamtes: Konstanzer Notfälle haben Priorität

Um es kurz zu fassen: Das Sozialamt ist skeptisch. Über die Pressestelle der Stadt lassen Amtsleiter Alfred Kaufmann und Markus Schubert mitteilen. „Die Frauen aus dem Frauenhaus kommen ausnahmslos ‚von weiter her‘ und haben keinerlei Bezug zu Konstanz.“ Sie stünden in „brutaler Konkurrenz“ zu Härtefällen, die langjährige Anbindungen an die Stadt hätten. Langjährige Anbindung heißt: Kinder sind in Klassengemeinschaften, es gibt gewachsene Hilfenetzwerke. „Bezüge zu und Ressourcen in Konstanz werden besonders gewichtet.“

Personen, die keinerlei Bezug zu Konstanz hätten an „örtlichen Notfällen vorbei“ mit Wohnraum zu versorgen? Dies müsse schon „einer kritischen Begründung standhalten.“

Die Gleichstellungsbeauftragte: „Frauen und Kinder sind bereits Konstanzer“

Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Julika Funk, argumentiert: „Derzeit werden die Frauen benachteiligt. Klar sind es Konstanzerinnen. Sie strecken hier die Fühler aus, einen Job zu bekommen. Die Kinder besuchen Konstanzer Kitas oder Schulen.“

Nach ein paar Monaten im Frauenhaus und bis zu einem Jahr in einer der zwei Übergangswohnungen bestünden Netzwerke.

Heike Herold vom Berliner Verein Frauenhauskoordinierung dazu: „Die Frauen und Kinder müssen ganz nach oben auf die Prioritätenliste und die Stadtpolitik muss sich mehr Gedanken machen, wo sie die Menschen gut untergebracht kriegt.“

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Wobak: „Wollen keinen Zuzug befördern“

Im Gespräch mit dem SÜDKURIER sagt Malte Heinrich von der Wobak, dass die Wobak partnerschaftliche Gewalt auf dem Schirm habe. Betroffene erhielten schnell eine Wohnung, damit sie nicht ins Frauenhaus müssten.

Allerdings gilt das nur für Konstanzer Bürgerinnen. Zum Vorschlag, zwei Wohnungen pro Jahr an die Frauenhaus-Frauen zu vergeben, sagt er: „Unser Auftrag ist, für die Menschen in der Stadt bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wir wollen keinen Zuzug befördern, indem wir Wohnungen an Personen von außen vergeben. Wenn eine Frau hinterher eine Wohnung in Gottmadingen findet, ist sie genauso geschützt, aber vielleicht ist es einfacher, dort eine Bleibe zu finden.“

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Die Realität, dafür spricht unsere Recherche, sieht so aber nicht aus.

Unterdessen haben die Kreis-Grünen eine Initiative gestartet: Im nächsten Sozialausschuss Mitte Juni soll das Thema auf die Agenda gehoben werden.