Hunderttausende Menschen demonstrierten in ganz Deutschland in den vergangenen Wochen gegen Rechtsextremismus. Auch in Konstanz gab es zwei Protestmärsche. Doch was ist die Perspektive jener, die von den Remigrationsplänen der AfD betroffen sein könnten? Der SÜDKURIER hat mit vier Menschen gesprochen. Sie alle wohnen in der größten Stadt am Bodensee. Hier planen sie ihre Zukunft. Welchen Einfluss haben die politischen Entwicklungen darauf?

„Das war eine Erleichterung, so viele Menschen dort zu sehen“

Jonathan Eveso (35) lebt seit fast einem Jahr in Deutschland, geboren und aufgewachsen ist er in Nigeria.
Jonathan Eveso (35) lebt seit fast einem Jahr in Deutschland, geboren und aufgewachsen ist er in Nigeria. | Bild: Isabelle Graef

Jonathan Eveso hat täglich Angst vor Fremdenfeindlichkeit. In Konstanz habe er keine rassistischen Erfahrungen gemacht, doch das Erstarken der AfD bereite ihm die Sorge, wie er als Ausländer in Deutschland wahrgenommen wird. „Wer sagt, dass sie bei Remigration stoppen?“, sagt der 35-Jährige, der mit dem SÜDKURIER auf Englisch spricht. Er hat über das Geheimtreffen in Potsdam von AfD-Abgeordneten und Neonazis aus den Medien erfahren.

Der Nigerianer ist Doktorand und lebt seit neun Monaten in Konstanz. Hier forscht er zu Verhaltensveränderungen von Tieren, ausgelöst durch den Klimawandel. Die wenigen Deutschen, die er bislang kennengelernt hat, arbeiten mit ihm zusammen. Er würde gerne mehr Kontakte knüpfen, er traut sich aber meistens nicht, mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Es ist die Angst, auf Ablehnung zu stoßen. „Nicht einschätzen zu können, ob die Person rechts ist, mit der man gerade spricht, hemmt mich dabei, mich zu integrieren.“

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Jonathan Eveso würde gerne seine Zukunft in Deutschland planen. Sich ein Leben aufbauen, seine Frau und beide Kinder nach Deutschland holen, die Sprache lernen und Karriere machen. Doch die politische Lage verunsichert ihn. Er sagt: „Wenn die AfD an die Macht kommt und ihre Pläne durchsetzen will, dann haben meine Familie und ich keine Zukunft hier. Dann brauchen wir einen Plan B.“ Wie der genau aussieht, weiß er noch nicht.

Doch er glaubt an eine bessere Zukunft und möchte sich nicht den Optimismus nehmen lassen. Denn er weiß auch, dass es viele Menschen in Konstanz gibt, die ihn willkommen heißen. Das habe nicht zuletzt die große Beteiligung an der Demo gegen rechts am 24. Januar gezeigt. „Das war eine Erleichterung, so viele Menschen dort zu sehen“, sagt Eveso. Dennoch könnten die Demos nur etwas bewirken, wenn sie nicht eine einmalige Veranstaltung bleiben.

„Wohin sollte ich gehen? Mein ganzes Leben ist hier. Meine Familie.“

Ali Shirasi (84) ist Schriftsteller und lebt seit 36 Jahren in Deutschland. Geboren und aufgewachsen ist er im Iran.
Ali Shirasi (84) ist Schriftsteller und lebt seit 36 Jahren in Deutschland. Geboren und aufgewachsen ist er im Iran. | Bild: Isabelle Graef

Ali Shirasi ist 84 Jahre alt. Er kommt aus dem Iran und über drei Jahrzehnten ist Deutschland sein Zuhause. Hier schreibt er Bücher und Gedichte, hier lebt seine Familie, seine Frau, Kinder und Enkel. In Konstanz fühlt er sich sicher und frei. Im Iran war er zweimal im Gefängnis, wurde gefoltert, weil er sich regimekritisch geäußert hatte.

Er war schon in jungen Jahren politisch aktiv. Ein Lehrer erklärte ihm zu Schulzeiten, wie wichtig es sei, sich mit der Politik auseinander zu setzen. Diesem Rat folgt Shirasi seither. Die im Geheimen besprochenen Remigrationspläne bereiten ihm Sorgen. „Vor der AfD habe ich Angst. Immer. Ich bin seit 36 Jahren hier? Wohin sollte ich gehen? Mein ganzes Leben ist hier. Meine Familie.“

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Anderen ginge es genauso, betont Shirasi. Betroffen wären auch die vielen Ärzte und Pflegepersonal mit Migrationshintergrund. Der Fachkräftemangel würde nur noch verstärkt werden. „Alleine über sowas nachzudenken. So lenkt man eine Gesellschaft doch nicht in die richtige Richtung“, sagt Shirasi kopfschüttelnd. Für ein Verbot der Partei sei er aber nicht. Er ist überzeugt, das würde zu noch mehr Spaltung oder weitaus radikaleren Untergruppierungen führen.

An der Konstanzer Demonstration gegen rechts hat er teilgenommen – und war begeistert, wie viele Menschen vor Ort waren. „Man konnte kaum laufen, so voll waren die Straßen“, berichtet er. Dass viele junge Menschen an dem Protestmarsch teilgenommen haben, fand er „sehr wichtig und hochinteressant“. Die deutschlandweit hohe Beteiligung mache ihm Hoffnung.

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Doch Demonstrieren alleine reiche nicht. Er ist der Meinung, das Wichtigste im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Hass sei Bildung. „Die Menschen brauchen genug Information. Ganz besonders junge Menschen“, erklärt Shirasi. Es müsse aufgeklärt werden, welche gesellschaftlichen Entwicklungen die Unterstützung der AfD zur Folge hätten.

„Ich erwarte es, respektiert zu werden.“

Elham Nourani (34) kommt aus dem Iran. Die promovierte Umweltwissenschaftlerin lebt seit sechs Jahren in Deutschland.
Elham Nourani (34) kommt aus dem Iran. Die promovierte Umweltwissenschaftlerin lebt seit sechs Jahren in Deutschland. | Bild: Louis Keeves

Elham Nourani ist seit mittlerweile sechs Jahren in Konstanz. Davor lebte sie in Japan und promovierte als Umweltwissenschaftlerin. Geboren und aufgewachsen ist sie im Iran. Nourani kam nach Deutschland, um hier ihre akademische Laufbahn weiter voranzutreiben. Mittlerweile arbeitet die 34-Jährige als Postdoc und sollte sie eine Stelle als Professorin bekommen, möchte sie auch hier bleiben.

Doch wenn sie über diese mögliche Zukunft nachdenkt, macht auch ihr der politische Rechtsruck Sorgen. Sie möchte nicht, dass Menschen aus Deutschland vertrieben werden. „Ich erwarte es, respektiert zu werden“, sagt Nourani auf Englisch. Sie und viele andere Menschen mit Migrationshintergrund leisteten ihren Beitrag in der Gesellschaft.

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Sie haben Jobs, arbeiten – wie sie – in akademischen Berufen, engagieren sich in Vereinen oder sozialen Einrichtungen, bauen sich hier ein Leben auf. Wieso sollte das weniger wert sein, nur weil sie nicht in Deutschland geboren sind? Die AfD und ihre Unterstützer seien ihrem Empfinden nach so laut und präsent, dass sie manchmal den Blick dafür verliere, dass nicht alle Menschen so denken.

Die Demonstrationen gegen rechts waren für Nourani ein klares Zeichen, dass die Mehrheit der Deutschen sich darüber freut, dass ihre Heimat ein Zuhause für jeden sein und werden kann und es ihnen wichtig ist, dass es auch so bleibt. Das war „schön zu sehen“ und „beruhigend“, sagt sie. Sie sieht den Protest auch als Aufruf zur eigenen Meinungsbildung über die politische Lage in Deutschland.

„Die AfD hat so viele Unterstützer, das kann für Leute wie mich gefährlich sein.“

Nazar Rozhko (16) lebt seit Mai 2022 in Deutschland. Aufgewachsen ist er in einer kleinen Stadt in der Nähe von Kiew.
Nazar Rozhko (16) lebt seit Mai 2022 in Deutschland. Aufgewachsen ist er in einer kleinen Stadt in der Nähe von Kiew. | Bild: Isabelle Graef

Nazar Rozhko war 13 Jahre alt, als er ins für ihn fremde Konstanz kam. Heute ist er 16, besucht ein Gymnasium und möchte nach seinem Abschluss in Deutschland studieren. In seinem Umfeld fühlt Nazar sich sicher. „Ich glaube, das liegt an der sehr gebildeten Umgebung in der Schule. Ich werde meistens freundlich behandelt“, berichtet er. Er wisse aber, dass es vielen, die als Geflüchtete nach Deutschland kommen, anders ergehe.

Dass eine Partei wächst, die in Teilen als gesichert rechtsextremistisch gilt, bereite ihm Sorgen. „Die AfD hat so viele Unterstützer, das kann für Leute wie mich gefährlich sein.“ Er und sein Vater diskutieren zu Hause oft über deutsche Politik, erzählt er. Und auch in der Schule wird viel darüber geredet. Dort erfuhr Rozhko auch von dem Geheimtreffen in Potsdam und den dort geschmiedeten Remigrationsplänen. „Solche Ansichten und Pläne haben keinen Platz in Deutschland. Ich finde, sie gehen gegen die Demokratie. Gegen die Menschen.“ Natürlich mache ihm das Angst.

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Doch er fühle auch Hoffnung: In seiner Zeit in Konstanz – und besonders in der Schule – habe er den Eindruck gewonnen, dass die deutsche Gesellschaft sehr stark sei. Aus diesem Grund könnte die AfD, wenn es in den Wahlen darauf ankommt, wohl nicht so viel Unterstützung bekommen. Deshalb halte er auch die Demonstrationen gegen rechts für eine wichtige Sache. Er sagt: „Es ist tröstlich, dass so viele Menschen so laut sind, weil sie gegen Hass und Rassismus sind.“