In Konstanz demonstrierten am 24. Januar 15.000 Menschen gegen Rechtsextremismus und gegen die Politik der AfD. Vielleicht waren es auch 20.000. In Singen 4000, in Freiburg 30.000, in Stuttgart 20.000, in Heidelberg sollen es 18.000 gewesen sein. In Konstanz umfasst die Zahl der Demonstranten damit etwa ein Fünftel der Bevölkerung. Das ist auch im Vergleich zu den deutlich größeren Städten eine sehr große Zahl – aber was bedeutet es für die Stadt? Und was für die hier handelnden Politiker?
Wie aus dem Bilderbuch der Mitwirkung
Der Blick auf den mit Menschen überfüllten Münsterplatz an dem verregneten 24. Januar dürfte zur Freude jedes Oberbürgermeisters ausgefallen sein. Die Umfragewerte der rechtsgerichteten AfD steigen und steigen seit Wochen bundesweit, ein Geheimtreffen von Rechtsextremen, AfD-Mitgliedern und Unternehmern, bei dem die Vertreibung von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund geplant wurde, rüttelt überall in der Republik die bislang schweigende Mehrheit auf.
Und in Konstanz handelt die Bevölkerung der Stadt so, wie es im Bilderbuch der demokratischen Mitwirkung steht: Sieht sie die Demokratie bedroht, so steht sie zusammen, geht auf die Straße und vereint dabei von Studierenden über Familien mit Kindern bis hin zu Senioren, vom HSG-Mitglied bis zur geflüchteten Ukrainerin alles, was die Stadt so hergibt: „Nie wieder ist jetzt!“ Im Klartext: Wir lassen eine rassistisch geprägte, Menschenrechte negierende, demokratiefeindliche Politik in unserem Gemeinwesen nicht zu! Eine klare Ansage, dass hier eine Zivilgesellschaft verwurzelt ist, die keine Schwäche zeigt.
Stadt mit starker Zivilgesellschaft
So erfreulich diese Bestandsaufnahme ist, so ist sie nicht ganz überraschend. Konstanz ist als Studentenstadt jung und politisch aktiv genug, in Konstanz wird traditionell überwiegend Grün gewählt und die Grünen sind bekanntermaßen als Kundgebungspartei groß geworden. Konstanz hat darüber hinaus eine starke Vereinsszene, sei es im Sport- oder Kulturbereich oder mit den zahlreichen Narrenzünften und sie alle riefen gemeinsam dazu auf, sich an der Demo gegen Rechts zu beteiligen.
Aber reicht das aus, um rechtes Gedankengut und Umfragehochs für die AfD zumindest im südlichsten Zipfel der Republik zurückzudrängen? Vielleicht. Vielleicht, wenn es dem demonstrierenden Teil der Konstanzer Gesellschaft gelingt, ihre Aktivität zu verstetigen. Mehrere Möglichkeiten gibt es dazu, sagen Soziologen. So hilft es ihrer Analyse nach, wenn Menschen, die jetzt politisch aktiviert wurden, in Parteien eintreten. Damit festigen sie die Demokratie – und merken nebenbei selbst, wie schwierig es sein kann, Politik zu gestalten und Kompromisse zu akzeptieren. Sich in gesellschaftlichen Organisationen zu engagieren, gilt als ebenso effektiv.
Demos kosten AfD wenige Prozentpunkte
Entscheidender aber dürfte es sein, ins Gespräch zu kommen – und zwar mit jenen, die sich von dieser Demonstration nicht überzeugen ließen. Der bange Blick auf die aktuellen Umfragewerte der AfD zeigt: Sie sind um ein paar wenige Prozentpunkte gesunken, aber einen nachhaltigen Effekt auf das momentane bundesweite Image der Rechtsaußen-Partei dürften die bundesweiten Demonstrationen (noch) nicht haben.
Schaffen es die 15.000 bis 20.000, sich mit jenen auseinanderzusetzen, die am 8. Januar unter Gerry Mayrs Leitung durch die Stadt zogen und auf der Marktstätte den politisch Verantwortlichen ihre unverhohlene Skepsis entgegenbrachten? Wie viel Austausch besteht zwischen den Demonstranten gegen Rechts und allen übrigen Gruppierungen, die die Republik im Moment mit ihren teils wütenden Protesten überziehen? Wie oft sprechen Mitglieder all dieser Gruppierungen überhaupt miteinander? Und gibt es Räume, Veranstaltungen, Bereiche, in denen sich Vertreter sehr unterschiedlicher politischer Meinungen begegnen?
Konflikte werden oft im Lokalen ausgetragen
Dieser Dialog wäre ein dauerhaft haltbarer Schutz vor dem Siegeszug der AfD und anderer systemfeindlicher Organisationen. Ein Schutz dagegen, dass die Gegen-Rechts-Protestierer nicht unter sich bleiben in ihrer vielzitierten Blase. Dass Debatten – auf lokaler Ebene – geführt werden, wo Unzufriedenheit herrscht (oft aus gutem Grund) und wo Konflikte ausgetragen werden, sei es der banal wirkende Streit um den im Sinne des Klimaschutzes eingesparten Stellplatz, um den bei der Nachverdichtung zu eng angebauten Balkon oder die Frage nach der Bewältigung aktueller Migrationsbewegungen.
Die Aufgabe für die Stadtverwaltung
Für die Konstanzer Stadtverwaltung birgt die erfreuliche jüngste politische Mobilisierung große Chancen und noch mehr politische Detailarbeit. Sie muss besser werden darin, Interessenskonflikte zu lösen, (kleinteilige) Beschwerden ernst zu nehmen, eigene Vorhaben zu erklären und schneller werden darin, gefasste Beschlüsse umzusetzen und vorwärts zu kommen. Sie muss präsenter sein, wenn sich auf lokaler Ebene die Unzufriedenheit über Missstände ausdrückt, die zum Teil allerdings nur auf Bundes- oder Landesebene beseitigt werden können.
Das ist durchaus machbar! Denn in der jetzigen Lage verbirgt sich ein großes wertvolles Kapital: Mindestens 15.000 Menschen protestierten in Konstanz gegen Rechts, sie alle sind Verbündete einer Demokratie (und damit auch einer Stadtverwaltung), die sich am Wohl des Menschen orientiert. Teile von ihnen werden sich einmischen und Debatten voranbringen, vielleicht aber auch eigene Konfliktthemen mitbringen. Nicht jeder der Demonstranten mag in Zukunft im politischen Wirken sichtbar werden, doch jeder, der aktiv wird, und selbst die Stilleren unter ihnen, sind politisch-gesellschaftliches Gold. Es wäre mehr als fahrlässig, dieses Potenzial nicht zu nutzen.