Frau Rietzler, im Januar sind mindestens 400 Menschen Ihrem Aufruf zur Kundgebung auf der Konstanzer Marktstätte gefolgt. Die Teilnehmer waren erkennbar erleichtert, endlich ein Zeichen gegen die „Spaziergänger“ setzen zu können. Gab‘s im Nachgang weitere Reaktionen – und welche?
Die Kundgebung fand offensichtlich zum richtigen Zeitpunkt statt. Es haben sich viele Leute bedankt, eigentlich gab es nur positive Resonanz. Es gab zum Beispiel die Anfrage, ob ich nicht auch in Stockach eine Kundgebung organisieren könnte. Offensichtlich war es so, dass ein großes Bedürfnis nach einem Zeichen gegen die „Spaziergänge“ mit ihren rechtsextremen Tendenzen bestand.
Aus der Ecke der „Spaziergänger“ hat sich niemand bei Ihnen gemeldet?
Es waren wirklich zu 98 Prozent nur gute, aufbauende Reaktionen. Schön war auch die Unterstützung von Freunden und Fraktionsmitgliedern, so ganz alleine lässt sich eine solche Veranstaltung kaum auf die Beine stellen. Klar, ein paar wirre Mails gab es auch. Aber so etwas prallt an mir ab.
Wie schaffen Sie das?
Man muss schon sehen, dass nicht alle „Spaziergänger“ zum rechten Lager gehören. Da läuft auch viel Hilflosigkeit oder einfach nur Frust mit, was ich durchaus verstehe. Wirklich schlimm aber ist die perfide Art, mit der unser demokratisches Gemeinwesen ausgehöhlt werden soll. Es gibt bei uns keine Diktatur und an der Situation ist auch nicht Bill Gates schuld. Schuld ist das Virus und damit müssen wir umgehen.
Wie würden Sie persönlich diese Situation beschreiben?
Wenn ich meinen Bekanntenkreis durchgehe, dann gibt es eine Mehrheit von Impfbefürwortern und Unterstützern der Corona-Verordnungen. Bei einigen stelle ich jedoch so eine Art „freundlicher Distanzierung“ fest. Und dann gibt es Leute, die sich nur noch sehr schwer erreichen lassen.
Kann Ihrer Wahrnehmung zufolge von einer Spaltung der Gesellschaft gesprochen werden?
Keine Spaltung, aber Abspaltungen gibt es gewiss. Die Impfquote ist ja durchaus eine Größe, so dass man meiner Meinung nach nicht wirklich von einem Riss in der Gesellschaft sprechen kann. Dennoch muss man diese Entwicklungen im Zusammenhang mit Corona sehr ernst nehmen. Ich bin davon überzeugt, dass das alles erst der Auftakt von einer ganzen Reihe weiterer Krisen ist. Der Klimaschutz, Geflüchtete, die ungleichen Einkommensverhältnisse, der Mangel an Wohnraum – da steckt überall Konfliktpotenzial drin. Das alles wird uns ganz schön herausfordern und bei der Lösung muss die politische Kommunikation eine bessere Rolle spielen als jetzt in der Pandemie.
Welche Rolle spielen dabei die Medien? Oder konkret gefragt: Was kann der SÜDKURIER beitragen? In der Redaktion fragen wir uns beispielsweise durchaus, ob und in welcher Tiefe wir von den „Spaziergängen“ oder auch den regelmäßigen Kundgebungen der Gruppe „Studenten stehen auf“ berichten sollen.
Das ist schwierig zu sagen. Einerseits finde ich, dass die Medien nicht über jedes Stöckchen springen sollten, das man ihnen hinhält. Andererseits muss allein deswegen darüber berichten werden, weil die Medien selbst angegriffen werden. Die Anwürfe und Attacken von rechten „Spaziergängern“ gegen Journalisten gehen gar nicht, eine Demokratie braucht die freie Presse. Und das gilt für mich ganz besonders für den Lokaljournalismus.
Was können die Kommunen tun? Sollten die nicht angemeldeten „Spaziergänge“ verboten werden?
Ich sehe das so, dass man prinzipiell das Instrument der Kundgebungen nicht überstrapazieren sollte. Wenn ständig demonstriert wird, tut das einem Gemeinwesen nicht gut. Aber verbieten? Oder eine nicht angemeldete Kundgebung auflösen? Ich verstehe, dass die Stadt keine Eskalation auslösen möchte, gleichzeitig gibt es aber auch bewährte demokratische Spielregeln, an die sich der größte Teil der Bevölkerung hält. Und ein Zeichen der Stadt wäre dringend nötig. Vielleicht sind auch eher kreative Ideen gefragt. Die Stadt könnte ja zum Beispiel während der Demonstration das Licht ausschalten, dann stünden die „Spaziergänger“ im Dunkeln (schmunzelt).
Und wie sieht‘s bei Ihnen aus? Planen Sie eine weitere Demo?
Es geht nicht darum, dass man sich gegenseitig hochrüstet. Wichtig ist mir, dass mit der Kundgebung das Kräfteverhältnis zum Ausdruck kam und die Szene samt der öffentlichen Kommunikation nicht weiter von den rechten Gruppierungen und „Spaziergängern“ dominiert wird. Jetzt muss man erst mal abwarten, wie sich die Diskussion entwickelt.
Eine Wiederholung nach dem Muster im Januar schließen Sie aber nicht aus?
Nein. Obwohl ich manches anders machen würde. Beim nächsten Mal werde ich im Vorfeld noch mehr netzwerken, denn so eine Demo mehr oder weniger allein zu organisieren, kostet Nerven und Zeit. Ich bin voll berufstätig, ehrenamtlich zum Beispiel als Elternvertreterin engagiert und bei allem politischen Einsatz muss irgendwann auch die Spülmaschine ausgeräumt werden.
Mal abgesehen von der Resonanz auf die Kundgebung im Januar: Was wünschen Sie sich als Ergebnis der Diskussion?
Für mich steht fest, dass wir in der Pandemie bei einer höheren Impfquote schon viel weiter wären. Eines meiner Kinder war 14 als es mit Corona los ging, jetzt wird es 16 Jahre alt und kann schon wieder keine Fasnacht erleben. Es wäre gut, wenn sich die Impfbereitschaft durch die Diskussion erhöhen ließe. Das würde vor allem auch den Kindern und Jugendlichen helfen, denen Corona viel genommen hat.
Frau Rietzler, vielen Dank für das Gespräch.