Die Pandemie legt die strukturellen Probleme der Stadt Konstanz erbarmungslos offen. Zum Beispiel wenn es um den Zusammenhang von Wohnungsmangel und Obdachlosigkeit geht: „Mütter mit Kindern zählen zu unseren Hauptklientel“, sagte Markus Schubert von der Abteilung Soziale Dienste der Stadtverwaltung in der Sitzung des Sozialausschusses des Gemeinderats. Von der Ausschussmitgliedern als schockierend aufgenommen wurde der Hinweis, dass es sich bei den derzeit etwa 200 Menschen, die notdürftig untergebracht sind, um 90 Kinder handelt.

Das Bild vom Landstreicher, der schicksalhaft aus dem bürgerlich-geregelten Leben gefallen ist und etwa durch Drogen- oder Alkoholmissbrauch auf der Straße gelandet ist – es stimmt nur noch in Versatzstücken mit der Realität überein.

„Das System kollabiert gerade“

Beim Gros der Betroffenen handelt es sich um Mütter, die mit ihren Kindern ohne feste Bleibe sind und im Zweifel von einer notdürftigen Unterkunft zur anderen ziehen müssen. Markus Schubert bewertet die Lage als höchst dramatisch: „Das System kollabiert gerade, wir müssen es neu und zukunftsfähig gestalten.“

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Die Ausschussmitglieder beurteilen die Lage exakt wie der Mann fürs Soziale und sie räumten eigene Versäumnisse ein. SPD-Stadträtin Zahide Sarikas sprach angesichts der Not der Kinder und ihrer Eltern von Seelenschmerz. Angesichts von vorausgegangenen Fachtagungen ist sie der Meinung, dass „wir eigentlich schon gestern gehandelt haben müssten“. Sie wies dabei auch auf die langfristigen Folgen beispielsweise für die schulpflichtigen Kinder hin, deren Bildungs- und Entwicklungschancen durch die prekäre Lebenssituation beeinträchtigt würden.

Und was, wenn in der Notunterkunft Corona ausbricht?

Was längst bekannt ist, gelangte den Räten offensichtlich erst durch Corona so richtig ins Bewusstsein. Anlass für die Sitzung war die Frage nach den Möglichkeiten zur Unterbringung von Obdachlosen unter Pandemiebedingungen. Die Antwort fällt ernüchternd aus: Es gibt keine, jedenfalls keine ohne schwerwiegende Folgeprobleme.

Zum Beispiel im Fall der Menschen, die im Haidelmoosweg untergebracht sind. Die Unterkünfte stehen grundsätzlich nur für die Übernachtung zur Verfügung, tagsüber konnten die Bewohner die Tagesstätte der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) am Lutherplatz als Treffpunkt beziehungsweise Aufenthaltsort nutzen.

Die AGJ-Beratungsstelle am Lutherplatz steht Obdachlosen wegen der Pandemie nur noch an zwei Nachmittagen als Treffpunkt zur Verfügung.
Die AGJ-Beratungsstelle am Lutherplatz steht Obdachlosen wegen der Pandemie nur noch an zwei Nachmittagen als Treffpunkt zur Verfügung. | Bild: Scherrer, Aurelia

Letzteres aber ist wegen der Pandemie seit April nur noch an zwei Nachmittagen in der Woche möglich, weshalb die Unterkunft im Haidelmoosweg ganztägig geöffnet wurde. Die Folge: Wegen der räumlichen Enge und den persönlichen Umständen der Bewohner nehmen die Konflikte zu.

Und natürlich bietet die Situation gute Voraussetzungen für einen Corona-Hotspot. Die räumliche Enge etwa ist auf den Bedarf an Unterkünften beziehungsweise die Kapazitätsverbesserung zurückzuführen. Konkret sieht das so aus, dass das gesamte Erdgeschoss des Gebäudes zu einem Männertrakt mit 24 Bettenplätzen in acht Doppel- und zwei Vierbettzimmer ausgebaut wurde. Zurzeit sind noch zwei Betten frei – und das lange vor dem Winter, in dem erfahrungsgemäß der Bedarf steigt.

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Etwas besser sieht es bei der Unterbringungsmöglichkeit für Frauen aus. Im ersten Geschoss des Hauses gibt es in vier Zimmern acht Plätze, von denen momentan zwei belegt sind. Allerdings kann sich das rasch ändern, nach Angaben des Sozial- und Jugendamts herrschte auch bei den Frauen noch vor wenigen Wochen nahezu Vollauslastung.

Gefahr von Hotspots

Für Verwaltung und Ausschussmitglieder liegt es auf der Hand, dass die Situation im Fall einer Corona-Infektion zu enormen Problemen führen wird. Es gibt keine Ausweichquartiere, so dass im unter Umständen die gesamte Unterkunft unter Quarantäe gestellt werden müsste – und das über mehrere Wochen. „Eine 24-stündige Security-Präsenz wäre die unvermeidliche Folge“, heißt es in der Einschätzung der Stadtverwaltung.

Die Botschaft kam an. Normen Küttner von der FGL geht von einer Notfallsituation aus, die eine unmittelbare Entscheidung erfordere. Er plädierte dafür, das Thema ohne Rücksicht auf die rechtlichen Veröffentlichungsfristen in der Corona-Sondersitzung am Freitag im Bodenseeforum zu behandeln und einen Katalog an Maßnahmen auf den Weg zu bringen.

Normen Küttner
Normen Küttner | Bild: SK

Wohl wissend, dass es sich um die zweitbeste Lösung handle, schlug er die Bereitstellung von Containern, die Aufstockung des Security-Dienstes und die Ausweitung der sozialpädagogischen Betreuung um 0,5 Stellen vor.

Wobak soll in die Pflicht genommen werden

Christine Finke vom Jungen Forum Konstanz (JFK) geht das nicht weit genug. „Was können wir als Gemeinderäte tun, um die städtische Wohnbaugesellschaft Wobak mehr in die Pflicht zu nehmen“, wollte sie von Sozialbürgermeister Andreas Osner wissen. Nach dessen Aussage ist eine strukturelle Neuordnung bei der Verfügungstellung von Wohnraum in Arbeit, wobei die „internen Gespräche sehr deutlich ablaufen“.

Dr. Christine Finke
Dr. Christine Finke | Bild: SK

Mit Beruhigung versuchte er es auch beim vorgeschlagenen Notfallplan von Normen Küttner. Eine Entscheidung in der Ratssitzung am Freitag sei wegen der rechtlichen Fristen nicht möglich, doch im Zweifel werde die Verwaltung „zivilen Ungehorsam begehen und einfach anfangen zu arbeiten.“

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