Es ist fast schon eine Glaubensfrage: Für die einen ist der Rückbau der Landesstraße 220 zwischen der Waldsiedlung und Wollmatingen eine ökologische Notwendigkeit, weil es mit der (teilweise) ausgebauten B33 samt Tunnel Waldsiedlung und Westtangente ja eine Alternative gibt, um in die nördlichen Stadtteile von Konstanz zu gelangen. Die anderen wiederum schlagen vor Empörung die Hände über dem Kopf zusammen: Wie können die Behörden nur eine Straße vom Netz nehmen, die bei einem Unfall eine wichtige Ausweichroute wäre?
Und auch viele Bewohner des Bodanrücks verstehen nicht, warum Autofahrer durch die Schließung der L220 nun einen mehrere Kilometer langen Umweg über die Westtangente nehmen müssen, um in einen Konstanzer Vorort zu gelangen. Das sei auch aus Gründen des Umweltschutzes widersinnig. Doch der Rückbau kommt. Definitiv. Los gehen die Arbeiten am Montag, 24. März, wie das Regierungspräsidium (RP) Freiburg jetzt mitteilt.
Verkehr fließt in einer Ringführung durch die Waldsiedlung
Danach wird die Radolfzeller Straße (L220) zwischen der Kreuzung Waldsiedlung und der Kreuzung Wollmatingen/L221 zu einem kombinierten Rad- und Wirtschaftsweg zurückgebaut. Das hat zur Folge, dass die Zufahrt zur Waldsiedlung und dem dortigen Gewerbegebiet aufgrund der anstehenden Arbeiten ab Beginn der Maßnahme nur noch über den Kreisverkehr im Westen (siehe Infografik) erfolgen kann.
Die bisherige Zufahrt über die Radolfzeller Straße und die Straße Am Dachsberg steht für Autofahrer damit nicht mehr zur Verfügung und wird durch eine neue Anbindung ersetzt. Der Verkehr mit Ziel Gewerbegebiet wird in einer sogenannten Ringführung durch die Siedlung geleitet. Die Umleitung wird ausgeschildert.
Betreutes Fahren für Brummi-Piloten
Um die Belastung der Anwohnerinnen und Anwohner durch Schwerverkehr während der Bauphase möglichst gering zu halten, können Gewerbetreibende nach Rücksprache mit dem Regierungspräsidium den Lieferverkehr (Lastwagen schwerer als 7,5 Tonnen) in Begleitung der Neubauleitung die Baustelle unter die Räder nehmen und so auf direktem Weg ins Gewerbegebiet gelangen. Damit ist ein Problem gelöst, das auch in der jüngsten Sitzung des Reichenauer Gemeinderats angesprochen wurde. Der Dachsparkplatz, beliebt bei Spaziergängern und Joggern, werde während der Bauarbeiten mit verschiedenen provisorischen Zufahrten anfahrbar bleiben, schreibt das RP.
Warum wird die L220 überhaupt zurückgebaut? Immer wenn durch den Bau von neuen Gebäuden, Straßen oder anderen Infrastrukturprojekten ein Stück unbebauter Natur verschwindet, muss dieser Verlust an anderer Stelle ersetzt werden. Ziel ist es, dass sich Natur und Landschaft in Summe nicht verschlechtern sollen. Für den Bau der B33-neu dient die stillgelegte L220 als Ausgleichsfläche.
„Der Rückbau ist Teil des Planfeststellungsbeschlusses für den Neu- und Ausbau der B33 zwischen Konstanz und Allensbach von 2007 und wurde auch im Beschluss für die Westtangente 2008 verbindlich festgelegt. Zudem gilt der Rückbau als zentrale Ausgleichsmaßnahme für die zusätzliche Flächenversiegelung durch den vierspurigen Ausbau der B33“, so Heike Spannagel, Pressesprecherin des Regierungspräsidiums.

Die bisherige Landesstraße werden sich damit bald Fußgänger, Radler und Landwirte teilen, wird sie doch zu einem asphaltierten gemeinsamen Rad- und Wirtschaftsweg mit einer Breite von 3,50 Metern zurückgebaut. Die so gewonnenen Flächen werden rekultiviert, Bäume sollen den neuen Weg einfassen. Die Restfahrbahn wird saniert.
Parallel zum Rückbau erhält die Waldsiedlung eine neue Anbindung. Auch der Knoten Wollmatingen wird umgestaltet: Hier wird die Ampelanlage erneuert und die Wegeführung für Fußgänger und Radfahrer optimiert. Die Arbeiten sollen im Oktober beendet sein. Die Neubauleitung kündigt aber an, verkehrssicher fertiggestellte Abschnitte so früh wie möglich für die Öffentlichkeit freizugeben.
Bürgerinitiative: „Wir hätten keine Chance gehabt“
Die mit dem L220-Rückbau einhergehende Verkehrszunahme im Lindenbühl ließ Anwohner vor Gericht ziehen – da immer mehr Autofahrer offensichtlich die Kindlebildstraße als Abkürzung nutzen, anstatt über die Westtangente zu fahren, wie sich das die Neubauleitung Singen gedacht hatte. Über die Verkehrszunahme klagten die Bürgerinitiative Eichbühl (BI) auf Konstanzer Seite wie auch viele Anwohner des Reichenauer Lindenbühls. Sie wiesen auf zunehmenden Lärm, Dreck und Gefahren vor allem für Radfahrer und Fußgänger hin.
Doch eine zunächst eingereichte Petition, die innerhalb weniger Tage über 500 Menschen unterschrieben hatten, und auch der zuletzt vor dem Verwaltungsgericht Freiburg unternommene Versuch, mit einem Eilantrag gegen die Sperrung vorzugehen, blieben erfolglos. Zwar hätte auch noch gegen dieses Urteil Beschwerde eingelegt werden können, doch Harald Müller von der BI Eichenbühl hat darauf verzichtet. Denn: „Wir wären vor demselben Richter gelandet, wir hätten keine Chance gehabt.“ Kein Paragraf kann die Asphaltfräse mehr aufhalten.