Es gärt auf dem Bodanrück. Schiebt sich künftig eine Blechlawine durch Dettingen, durch Dingelsdorf, durch Litzelstetten? Schadet ein vermeintlicher Umweltbonus womöglich sogar dem Klima? Und warum überhaupt wird ein Stück funktionierende Straße kaputtgemacht, das so lange und so gut als kürzeste Verbindung aus Richtung Radolfzell oder Allensbach zur Mainau oder zu Fähre gedient hat?

Hier ist bald dicht: Die Durchfahrt auf der Landesstraße 220 nördlich der Reichenauer Waldsiedlung soll im Juli 2022 gekappt werden.
Hier ist bald dicht: Die Durchfahrt auf der Landesstraße 220 nördlich der Reichenauer Waldsiedlung soll im Juli 2022 gekappt werden. | Bild: Google Maps

Das ist in etwa die Stimmungslage bei Menschen wie Roland Ballier. Er ist Ortschaftsrat in Konstanz-Litzelstetten und spricht nur noch von einem „Schildbürgerstreich“. Die Landesstraße 220, die direkte Verbindung von Hegne, nördlich an der Reichenauer Waldsiedlung vorbei und bis an den Ortsrand von Wollmatingen, wird bald gekappt. Und das verärgert ihn.

Er kann nicht verstehen, warum eine direkte Straßenverbindung aufgegeben wird und tausende Autos täglich einen Umweg machen müssen: ...
Er kann nicht verstehen, warum eine direkte Straßenverbindung aufgegeben wird und tausende Autos täglich einen Umweg machen müssen: Roland Ballier, CDU-Ortschaftsrat in Litzelstetten. | Bild: Marcel Jud | SK-Archiv

Was ist da los? Woher kommt die harsche Kritik an der Maßnahme, was spricht für die Sperrung der Verbindung? Und wie sind die Aussichten, dass die bisherige Verbindung doch noch bestehen bleibt? Eine Spurensuche in acht Teilen.

1. Die neue Strecke ist nachweislich länger als die bisherige.

Wer sich bisher auf dem Weg von Allensbach in Richtung Mainau oder Fähre nach dem Passieren der Ortschaft Hegne geradeaus einordnete, an der Waldsiedlung vorbeifuhr und bei der Ampelkreuzung am Westrand Wollmatingens links abbog, hatte einen um etwa 2,5 Kilometer kürzen Weg als künftig. Denn ab Juli müssen Autofahrer auf der B33 weiterfahren, die Abfahrt Reichenau passieren und dann an der großen Ampelkreuzung nahe dem Konstanzer Flugplatz links auf die Westtangente abbiegen. Dort gelangen sie wieder an die erwähnte Kreuzung am Wollmatinger Ortsausgang und auf die gewohnte Route.

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2. Berechnungen zeigen, dass der CO2-Ausstoß durch die Veränderung steigen kann.

Bei einem angenommenen Verbrauch von sieben Litern Superbenzin pro 100 Kilometer verbrennt ein einzelnes Auto durch den Umweg knapp 200 Milliliter Benzin zusätzlich. Hört sich wenig an, aber bei 11.000 Fahrten pro Tag – diesen Wert nimmt das Regierungspräsidium auf eine Anfrage des SÜDKURIER hin aktuell an – sind das 2200 Liter. Mit der gleichen Menge Treibstoff könne die Fähre zwischen Konstanz und Meersburg einen halben Tag betrieben werden, rechnet der Litzelstetter Ortschaftsrat Roland Ballier vor; seine Zahlen sind nach Recherchen des SÜDKURIER korrekt.

Direkte Durchfahrt gesperrt: Die Landesstraße 220 nördlich der Reichenauer Waldsiedlung fällt als Verbindung schon bald weg.
Direkte Durchfahrt gesperrt: Die Landesstraße 220 nördlich der Reichenauer Waldsiedlung fällt als Verbindung schon bald weg. | Bild: Steller, Jessica

Bezogen auf das Klimagas CO2, wären dies in der Modellrechnung (es gibt in der Realität auch durstigere und sparsamere Autos, Diesel- und Elektrofahrzeuge) etwa 5,1 Tonnen pro Tag. Oder umgerechnet die gesamten Emissionen von rund 220 Durchschnittsbürgern an diesem Tag.

3. Die Bodanrück-Orte wollen nicht noch mehr Teil einer Schleichweg-Route werden.

Der Protest gegen die L220-Schließung hat aber auch einen anderen Hintergrund. Weil diese Strecke etwas kürzer scheint, fürchtet Ballier, dass Navigationsgeräte oder Handys die Autos ab Allensbach künftig über Dettingen, Dingelsdorf und Litzelstetten in Richtung Mainau und Fähre lotsen. Das weckt die Sorge, dass neben dem normalen Bodanrück-Schleichverkehr in Richtung Westen – gerade zur Feierabendzeit – noch eine weitere Belastung kommt. Allerdings legen die meisten Navis und Apps auch den tatsächlichen oder vorausberechneten Zeitbedarf zugrunde. Und ob da die Route mit drei engen Ortsdurchfahrten und vielen Tempolimits wirklich noch empfohlen wird, ist schwer zu sagen.

4. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Staufalle nur um zwei Kilometer verschoben wird.

Bisher staut es sich auf der B33 zwischen Konstanz und Allensbach fast immer an die Kreuzung bei der Waldsiedlung. Diese fällt bald weg, aber dafür muss der ganze Verkehr ja über den Knoten am Flugplatz. Und der ist nicht, wie die Abfahrt Reichenau, kreuzungsfrei. Das Regierungspräsidium als zuständige Behörde hat aber immer betont und bekräftigt auch wenige Wochen vor der beabsichtigten Sperrung der L220 noch, die Ampel könne die Verkehrsmengen bewältigen. Der Knoten sei auf die Verkehrsmenge ausgelegt, erklärte eine Sprecherin am Mittwoch.

Wird das die neue Staufalle? B33 (diagonal von oben links) und Westtangente (nach rechts) sind mit einer Ampel verbunden. Für die Tiere ...
Wird das die neue Staufalle? B33 (diagonal von oben links) und Westtangente (nach rechts) sind mit einer Ampel verbunden. Für die Tiere wurde dagegen eine Grünbrücke errichtet. | Bild: Rau, Jörg-Peter | SK-Archiv

Bisher ist das tatsächlich so – allerdings bei vergleichsweise wenigen Linksabbiegern, wie zum Beispiel Roland Ballier einwendet. Er glaubt, dass sich das Nadelöhr einfach verlagert dass und gar nichts besser wird. Seine Einschätzung ist anders als die der Planungsexperten: „Für Hasen und Igel hat man eine kreuzungsfreie Überquerung zirka 300 Meter vorher realisiert, ebenso für den Verkehr Richtung Reichenau und Göldern, für den Individualverkehr Richtung Litzelstetten, Mainau, Staad, Fähre und Egg, der wesentlich umfangreicher ist, muss wieder die Ampel reichen.“

5. Die neue Verkehrsführung könnte für die Mehrzahl der Autofahrer deutliche Vorteile bringen.

Es gibt aber auch die andere Seite. Der wenig leistungsfähige Knoten an der Waldsiedlung wird durch eine moderne, große Ampelkreuzung mit zwei Linksabbiegespuren ersetzt, so das Regierungspräsidium. Bisher ist der schon lange befürchtete Stau-Effekt an der Ampel bei der Einmündung der Westtangente in der Tat nicht eingetreten. Ein Grund dafür ist die ausgeklügelte Steuerung, die die Ampelschaltung sehr gut dem tatsächlichen Verkehr anpasst. Und wenn der Verkehr besser fließt, müssen Autos seltener beschleunigen und sparen womöglich trotz des Umwegs sogar Sprit.

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6. Die Kritik gegen die Sperrung der L220 bei der Waldsiedlung wurde schon vor fast 20 Jahren geprüft und zurückgewiesen.

Als 2007 der Planfeststellungsbeschluss, also die Baugenehmigung, für die neue, vierspurige Bundesstraße 33 zwischen Konstanz erlassen wurde, ging es schon einmal um Einwände gegen die Schließung der Direktverbindung L220. In dem Dokument ist mehrfach ausgeführt, dass der ökologische Nutzen überwiege, unter anderem weil wertvolle Biotope wieder verbunden würden und weil in der Summe weniger Lärm entstehe (Seiten 50 und 246 im Beschluss). Diese Punkte sind aber in den 15 Jahren seither kaum mehr diskutiert worden. Jetzt sind die Schließungspläne freilich akut geworden, doch an die Vorgeschichte erinnern sich viele nicht mehr.

7. Der Rückbau der L220 ist in der Planung rechtlich verpflichtend festgelegt.

Beim Bau der Westtangente wurde tatsächlich die rechtliche Auflage erlassen, die Direkt-Zufahrt in Richtung Wollmatingen von Hegne aus zu kappen (Planfeststellungsbeschluss B33, Seite 244). Ziel war unter anderem, dass Verkehr aus Wollmatingen vertrieben und auf die B33 sowie die eigens dafür errichtete Westtangente verlagert wird. Auch sollten die Autos in Richtung Konstanz-Zentrum am Flugplatz entlang und über die Reichenaustraße fahren statt durch Wollmatingen und Fürstenberg. Daran erinnert Rechtsanwalt Matthias Heider, der in den entscheidenden Jahren CDU-Stadtrat in Konstanz war und sich für die Verkehrsentlastung seines Heimat-Stadtteils Wollmatingen einsetzte.

Er besteht darauf, dass die direkte Zufahrt von der B33 nach Wollmatingen wie geplant gekappt wird: Matthias Heider, früherer ...
Er besteht darauf, dass die direkte Zufahrt von der B33 nach Wollmatingen wie geplant gekappt wird: Matthias Heider, früherer CDU-Stadtrat und Vorsitzender der Bürgergemeinschaft Fürstenberg-Wollmatingen. | Bild: privat | SK-Archiv

Das Verkehrskonzept für Wollmatingen und der Bau der Westtangente waren Voraussetzungen für die Zustimmung zur B33-Planung. Diese könne politisch und juristisch nicht wieder ausgehebelt werden. Heider, der bis heute die Bürgergemeinschaft Fürstenberg-Wollmatingen (BGFW) leitet, hält fest, dass dies für die BGFW weiterhin ein nicht verhandelbarer Grundsatz ist.

8. Unklar ist, ob die Sperrung der L220 schon dieses Jahr rechtlich gesichert ist.

Vertraglich fixiert war mit damaligen Beschwerdeführern aus dem Bereich Eichbühl (sie hatten Angst vor Schleichverkehr bei sich) dass die L220 abgeklemmt wird, wenn B33 ganz fertiggestellt ist (Pressemitteilung der Stadt Konstanz vom Oktober 2013). Das ist im Juli 2022 natürlich noch lange nicht der Fall. Allerdings, so das Regierungspräsidium, ist die Anbindung der L220 nach Eröffnung des Tunnels Waldsiedlung in gewohnter Form schlicht nicht mehr möglich, weil es keinen Platz für einen entsprechenden Knoten gibt. Es kann also sein, dass technische Voraussetzungen schon Fakten schaffen, bevor eine rechtliche Voraussetzung dafür besteht.

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Soweit die Spurensuche mit Experten von heute, Zeitzeugen von damals und hunderten Seiten von Dokumenten. Zurück zur Ausgangsfrage. Zeichnet sich also rund um die Reichenauer Waldsiedlung, ausgerechnet aus angeblich ökologischen Gründen, ein umweltschädlicher Schildbürgerstreich ab, wie Roland Ballier und seine Mitstreiter aus dem Litzelstetter Ortschaftsrat sagen? Oder wird, auch im Interesse der Natur und der Menschen, der Verkehr sogar flüssiger, sicherer und leiser?

Als vor rund 20 Jahren die bis bis heute verbindlichen Planungen aufgestellt wurden, galt die Schließung der L220 bei Reichenau-Waldsiedlung als sinnvoll. Viele sagen, daran hat sich bis heute nichts geändert. Aber erst wenn die Durchfahrt wirklich gesperrt ist, wird sich zeigen, ob die Sorgen auf dem Bodanrück nicht vielleicht doch berechtigt waren.