Anmerkung der Redaktion
- Stadtentwicklung, Mobilität und Klimafreundlichkeit – das waren die Schwerpunkte des ersten Teils des großen Sommerinterviews mit Uli Burchardt. Darin betonte der Oberbürgermeister: „Probleme, die andere haben, haben wir nicht: Keine Stadtteile, die politisch abfallen, die man nicht mehr erreicht, wo die Polizei nicht mehr rein will.“
Lesen Sie hier den zweiten Teil des Gesprächs
Was ist denn Ihrer Meinung nach der Grund, warum es hier weniger Schwierigkeiten gibt als anderswo? Ist es denkbar, dass es manche sozialen Probleme in Konstanz nicht gibt, weil sich bestimmte Gesellschaftsschichten die Stadt gar nicht leisten können?
Das glaube ich nicht. Wir haben in unserer Stadt alle Gesellschaftsschichten vertreten. Wir haben rund 4000 Wohnungen mit einer durchschnittlichen Kaltmiete um 7 Euro. In unseren Quartieren haben wir immer Wert auf eine gute Durchmischung gelegt. Wir haben zum Beispiel jetzt als eine der wenigen Kommunen im Landkreis unsere Quote der Anschlussunterbringung erfüllt.

Nachdem Sie sie jahrelang nicht erfüllten. Wir reden außerdem nicht von Geflüchteten.
Das ist vom Einkommen her aber die schwächste Gruppe. Danach kommt die große Gruppe des Wohnberechtigungsscheins...
... welchen es bis 69.000 Euro Familieneinkommen gibt! In anderen, auch großen Städten, würde man mit dieser Summe ein sehr gutes Leben führen können – ohne sich wie ein Hilfsbedürftiger zu fühlen.
Sie sagen es: bis 69.000 Euro. Wir haben viele Arbeitskräfte in der Größenordnung 1600 bis 1800 Euro Monatseinkommen, brutto. Die bringen wir auch unter. Natürlich ist vieles teurer als im deutschen Durchschnitt. Aber dass Konstanz zu teuer zum Leben ist, dem widerspreche ich. Wir tun viel, um das zu vermeiden: Angefangen beim Sozialpass über kostenlose Strandbäder bis hin zum frei zugänglichen Seeufer. Wir wollen eben nicht, dass sich Konstanz nur noch die leisten können, die Geld haben. Aber, wenn wir aufhören zu bauen, wie es einige möchten, passiert genau das.
Wenn wir als Stadt nicht eingreifen, dann würden hier irgendwann tatsächlich nur noch Wohlhabende leben. Wenn Sie sich vor ein neu von uns gebautes Haus stellen – wie das Wobak-Haus am Zähringer Platz – dann gehen da Leute ein und aus mit ganz normalen Berufen, die vom Einzelhandel mit geringem Einkommen bis zum oberem Rand der Doppelverdiener reichen. Und ihre Kinder. Das zeigt, dass wir für die richtigen bauen. Bei der letzten Studie, die ich angesehen habe, waren wir bei den Mieten pro Quadratmeter auf Platz 9 oder 11 in Baden-Württemberg. Vor uns der ganze Ballungsraum Stuttgart.
Laut einer Studie der Uni Maastricht aus 2019 ist für Studenten das Wohnen nirgends so teuer wie in Konstanz.
Ich kenne diese Studie nicht. Wie das Ergebnis zustande gekommen ist, müsste man sich genauer anschauen. Wir sind in der Versorgung mit Plätzen in Studentenwohnheimen im landesweiten Vergleich sehr gut und die sind bezahlbar. Hier bekommt man für 330 Euro eine Unterkunft, warm, mit allem. Konstanz ist zweitens in den WGs relativ teuer, das ist ein Schicksal dieser hochattraktiven Städte und das ist aber nun auch einmal eine der attraktivsten Städte in Deutschland. Das macht sich bemerkbar.
Müssen also die ärmeren Studenten in Städte, die nicht so attraktiv und günstiger sind?
Nein. Ich würde eher sagen, dass die Studierenden in Konstanz immer noch eine leichtere Situation haben als die jungen Familien. Vier Studierende, die zusammen eine WG mieten, sind wirtschaftlich oft leistungsfähiger als eine junge Familie. Die Studierenden sind außerdem eine Gruppe, die seit Jahren nicht wächst. Die Studierenden haben hier ihre Quartiere längst gefunden. Und manche verdienen sich auch noch ein bisschen was dazu – habe ich auch so gemacht im Studium. Aber ich habe noch keinen getroffen, der sagt: „Es ist so teuer, dass ich mir Konstanz nicht leisten kann.“
Vielleicht, weil die Betroffenen gar nicht erst hierherziehen.
Das ist Spekulation. Ich bleibe dabei: Hauptfokus unseres Wohnungsbaus müssen die jungen Familien sein. Die Wohnraumsituation für die jungen Familien macht mir am meisten Sorgen. Das ist aber nicht nur eine Frage des Preises, sondern weil es diesen Wohnraum einfach nicht gibt. Junge Familien heißt übrigens: das sind in der Regel Konstanzer, für die wir bauen.
Sie sagen oft, dass für die Konstanzer gebaut wird. Will die Stadt dicht machen? Was würden Sie denn etwa einem Paar sagen, das sich hier niederlassen, etwas Eigenes kaufen und eine Familie gründen möchte? Er Handwerker, sie Lehrerin. Aus Tuttlingen.
Ich würde zuerst sagen: „Herzlich Willkommen!“ Wir brauchen die beiden dringend in Konstanz. Also zunächst ist jeder und jede, der oder die sich hier in Konstanz irgendwie einbringen will, willkommen. Ein Problem wird in der Zukunft sein, dass uns die Arbeitskräfte fehlen: in der Pflege, in den Kitas, bei der Feuerwehr, im Handwerk – einfach überall. Was rate ich ihnen also? Sich auf dem freien Wohnungsmarkt umschauen? Ja, das ist schwierig. Ich würde die Wobak fragen. Wir haben einen Kriterienkatalog und gerade junge Familien wollen wir prioritär versorgen.
Willkommen auf der Warteliste der Wobak! 4000 ist die aktuelle Zahl. Das ist als Modell gut. Aber bevor die beiden bei der Wobak ein Dach über dem Kopf bekommen, machen die Kinder ihr Abi.
Es lohnt sich, zu schauen. Wir haben aktuell einige größere Gebiete in der Pipeline. Die Zukunft des Wohnbaus für die normalen Menschen in der Stadt sind meiner Meinung nach genossenschaftliche und baugemeinschaftliche Wohnprojekte wie wir sie am Hafner, auf den Christiani-Wiesen oder auch am Döbele realisieren. Man baut als Genossenschaft, bringt sich ein und kann bis ans Ende seiner Tage bleiben. In der Schweiz sind solche Modelle verbreitet. Zu diesen und den Wobak-Projekten: Auch für mich dürfte es schneller gehen und es liegt nicht an uns, dass es langsam geht. Die Verfahren sind sehr aufwendig in Deutschland. Die Wobak arbeitet sehr schnell und hat noch nie so viel gebaut.
Sie können die Gegner ruhig klar benennen – Stichwort Jungerhalde/West und die Bürgervereinigung Allmannsdorf.
Dort könnte es schneller gehen. Wir haben das Baurecht, das Grundstück gehört uns. Meine Position ist klar: Wir bauen für Menschen, und Menschen sind zumindest in meiner Vorstellung auch Teil der Natur. Einen Acker gegen einen Menschen auszuspielen, ist nicht fair. Ich habe immer gesagt, dass dieses Grundstück bebaut werden muss.
Zurück zu unserem jungen Paar in der Familiengründungsphase. Was raten Sie den beiden?
Sich beim heutigen Preisniveau in Konstanz eine Wohnung kaufen zu wollen ist ein extrem ambitioniertes Vorhaben. Ich habe mir auch keine Wohnung gekauft. Die Kaufpreise haben sich vermehrfacht, Mieten nicht annähernd. Und es driftet immer weiter auseinander. Das besorgt mich sehr. Schuld ist die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Solange Geld leihen nichts kostet, treibt das die Preise. Und sie steigen, je attraktiver die Stadt ist. Insofern sind wir ein stückweit auch Getriebene.
Würden Sie den beiden sagen: Zieht nach Radolfzell, kauft da was?
Als Freund gefragt? Vom Preis-Leistungs-Verhältnis her lohnt sich die Frage, ob man sich vorstellen kann, außerhalb zu leben. Radolfzell ist eine tolle Stadt. Singen? Auch kein Problem! Aber eben nur für den, der die Pendelei auf sich nimmt. Wer aber in Konstanz fußläufig die Kultur, die Innenstadt, den See genießen will, hat als Käufer einer Eigentumswohnung einen schwierigen Weg vor sich. Mit den genossenschaftlichen Modellen versuchen wir das zu knacken. Bei den Mietwohnungen können wir mit unserem Handlungsprogramm Wohnen gut gegensteuern und den Markt direkt beeinflussen. Wollen die beiden also nach Konstanz, rate ich zuerst: Ankommen! Nehmen, was man kriegen kann. Eine Mietwohnung. Und dann sollen sie sich die genossenschaftlichen Modelle und Baugruppen ansehen.
Die meisten Menschen wollen gern in den Städten leben.
Ja, wie reagiere ich da als Stadt Konstanz auf den Megatrend Urbanisierung? Wir haben unsere Stadt gut entwickelt. Hier noch mehr Kitas, da noch mehr Schulsozialarbeit, viel Kultur – nun das neue Schwimmbad. Wir machen Konstanz immer attraktiver. Da können wir aber nicht sagen: Das behalten wir für uns, keiner darf mehr kommen. Wenn Sie die Konstanzer Bevölkerungsentwicklung anschauen, ist sie seit den Römern immer gestiegen und sicher hat in jedem Jahr jemand gesagt: Wie soll das weitergehen? Die Stadt hat sich immer wieder diesen Aufgaben gestellt. Und wir müssen heute beantworten: Wie bringen wir Menschen unter und wachsen und sind trotzdem eine ökologische Stadt?
Das Boot ist voll – solche Parolen mache ich nicht mit. Die gibt‘s, die Strömungen. In Allmannsdorf gibt‘s vereinzelte laute Stimmen, die diesen Duktus haben. Das ist nicht richtig, nicht sozial. Nachhaltige Entwicklung hat auch einen sozialen Aspekt. Wir bauen ausschließlich aus sozialen Gründen, jedes Bauprojekt, hinter dem ich stehe, bauen wir aus sozialen Gründen und aus nichts anderem. Wir wollen keinen Profit machen, wir wollen nicht irgendwelche Leute mit dem Bauen beschäftigen. Es gibt auch andere Bauprojekte, auf privaten Grundstücken. Aber auf unseren Grundstücken, wo wir das Sagen haben, läuft das so, wie ich beschrieben habe, und das ist rund die Hälfte der Bauprojekte.
Als OB müssen sie auch Manager sein: Wie nahbar kann man da noch sein?
Ich bin nicht unnahbar, im Gegenteil. Klar, in der Rolle als Aufsichtsratsvorsitzender muss ich auch professionelle Distanz wahren. Mir schreiben sehr viele wegen einer Wohnung und jeder erhält eine Antwort – auch wenn ich manchmal nicht jedem persönlich schreiben kann. Aber in der Rolle als Bürgermeister kann mich jeder anfassen, ansehen, anschreiben, ansprechen. Ich unterhalte mich mit jedem. Manche machen Selfies mit mir, andere sagen „Das wollte ich Ihnen schon lange Mal sagen“. Dann sage ich: „Ja, warum haben Sie‘s mir nicht schon lange gesagt?“ Meine Emailadresse ist kein Geheimnis. Unter ob@konstanz.de bin ich für jeden erreichbar. Ich bin öfter auf dem Markt unterwegs und nun, nach den Corona-Lockerungen, auch wieder bei Veranstaltungen. Und wer mich dort nicht trifft: Meine Bürgersprechstunde ist für alle Konstanzer offen.