Die Stadt Konstanz hat in den Jahren 2021 und 2022 bisher fast 300.000 Euro aus Steuergeldern ausgegeben, damit der Gemeinderat und einige seiner Ausschüsse an einem anderen Ort als dem dafür vorgesehenen Ratssaal tagen können. Diese Kosten legte die Stadtverwaltung auf ein entsprechendes Verlangen des SÜDKURIER offen. Zuvor hatte der Gemeinderat über das Thema beraten, wobei die Kosten eine Geheimsache bleiben sollten. Nun hat die Verwaltung zumindest in Teilen Transparenz geschaffen.

Worum geht es? Der Rat und die größeren seiner Ausschüsse waren in den vergangenen eineinhalb Jahren vielfach im Bodenseeforum oder auch im Saal des Restaurants Terracotta beim Klinikum zusammengekommen, hatte aber auch das Konzil genutzt. Der Ratssaal stand während der ganzen Zeit zwar theoretisch zur Verfügung, wurde wegen der Corona-Abstandsgebote aber für zu eng befunden. An dieser Praxis sind nun auch in der Politik Zweifel aufgetaucht.

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Verwaltung wollte Kosten geheim halten

Wie viel die Stadtverwaltung im Bodenseeforum oder im Terracotta (vollständiger Name: Hedicke‘s Terracotta) bezahlt, will sie nach wie vor nicht detailliert offenlegen. Die Kostenaufstellungen, die einen Vergleich zwischen den Veranstaltungsorten ermöglichen, wurden dem Konstanzer Gemeinderat dann jüngst auch in nichtöffentlicher Sitzung vorgelegt. Der Grund für die Geheimhaltung seien die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber der Veranstaltungsräumlichkeiten, heißt es in der Beschlussvorlage der Stadtverwaltung.

Immerhin ist jetzt klar, um wie viel Geld es in Summe geht: Für alle Sitzungen, die im Jahr 2021 im Ratsaal, Konzil, Bodenseeforum und Hedicke‘s Terracotta stattfanden, entstanden insgesamt Kosten für Saalmiete und Technik (ohne Podcast) in Höhe von 197.580,87 Euro; in den ersten sechs Monaten 2022 sind es bislang 80.769,39 Euro. Das teilte Rathaus-Sprecher Walter Rügert mit. Welcher Betrieb welchen Anteil der Gesamtsumme erhalten hat beziehungsweise wie viel Geld aus dem Städtischen Haushalt zum Beispiel ans ebenfalls städtische und verlustträchtige Bodenseeforum floss, bleibt Verschlusssache.

Hedicke‘s Terracotta in der Luisenstraße ist ein alternativer Sitzungsort. Allerdings sollte nach Meinung einiger Gemeinderäte die ...
Hedicke‘s Terracotta in der Luisenstraße ist ein alternativer Sitzungsort. Allerdings sollte nach Meinung einiger Gemeinderäte die Sitzordnung verändert werden, damit sich die Bürgervertreter gegenüber sitzen. | Bild: Pressestelle Stadt Konstanz

Geht es zurück in den alten Ratssaal?

Keine leichte Entscheidung hatte vor diesem Hintergrund also der Konstanzer Gemeinderat zu treffen. Es ging um die Frage, wo künftig die Sitzungen von Gemeinderat und großen Ausschüssen stattfinden sollen, denn im Herbst ist aller Wahrscheinlichkeit nach die nächste Corona-Welle zu erwarten. Reicht der historische Ratssaal, der keine hohen Mehrkosten erzeugt, oder soll erneut für viel Geld an alternative Orte ausgewichen werden?

Dass der Saal im historischen Rathaus maximal ungeeignet ist, wenn es um die Umsetzung von Infektionsschutz-Maßnahmen geht, steht zumindest für die Stadtverwaltung seit zwei Jahren fest. Nun aber gibt es auch viele andere Anfragen für die bisherigen Alternativ-Orte, und die Säle müssen nach Darstellung der Verwaltung frühzeitig gebucht werden. Da die Verlegung mit Mehrkosten verbunden ist, braucht die Verwaltung die Zustimmung des Gemeinderats, damit große Sitzungen bis zum 30. April 2023 an den Alternativ-Orten stattfinden können.

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„Jeder Saal hat Vor- und Nachteile“

Für die Politiker stellten sich schwierige Fragen: Geld sparen und Infektionsrisiko eingehen? Oder trotz angespannter Haushaltslage tief in die Tasche greifen, um Prävention zu betreiben? Diese Aspekte diskutierten die gewählten Vertreter der Bürger durchaus kontrovers. Zwei Jahre sei experimentiert worden, meinte Christel Thorbecke (FGL), die unbedingt an den „Traditionsort“, den Ratssaal, zurück will, denn „das Bodenseeforum ist ein teurer Ort und hat keine gemütlichen Stellen“. Zurück in den Ratssaal will auch die SPD. Die Ratsmitglieder sollten dann Maske tragen, und die Verwaltungsmitglieder könnten sich online zuschalten, regte Tanja Rebmann (SPD) an. Sie meinte: „FFP2-Maske tragen ist für viele selbstverständlich“.

Matthias Schäfer (Junges Forum) teilte die SPD-Meinung, denn „es geht auch um die Kosten“. In der aktuellen Haushaltslage sollte der Gemeinderat „mit gutem Beispiel vorangehen“. Die Bürger, für die es je nach Infektionsgeschehen keinen Platz im Ratssaal gibt, könnten „notfalls in die Galerie“, meinte Schäfer mit Bezug auf den Raum der Ratshaus-Galerie im Erdgeschoss unter dem Ratssaal. Auch Heinrich Everke (FDP) teilte größtenteils die Ansichten der Ratskollegen und regte an, den Bürgersaal auf seine Eignung prüfen.

Das Bodenseeforum ist seit mehr als zwei Jahren alternativer Veranstaltungsort für Gemeinderatssitzungen. Corona-Auflagen können hier ...
Das Bodenseeforum ist seit mehr als zwei Jahren alternativer Veranstaltungsort für Gemeinderatssitzungen. Corona-Auflagen können hier umgesetzt werden. | Bild: Marcel Jud | SK-Archiv

„Schwierig zu lösen“, grübelte Simon Pschorr (Linke Liste). „Ich weiß nicht, ob das Terracotta besser ist als der Ratssaal. Die Abstände sind marginal größer, aber im Foyer können sie nicht eingehalten werden; dazu der Lärm von draußen…“, überlegte er und fügte an: „Jeder Saal hat Vor- und Nachteile. Im Terracotta und Bodenseeforum sind die Preise hoch. Beim Sparen müssen wir bei uns anfangen.“ Wenn schon Steuern erhöht würden, dann sei es nicht vertretbar, die teuren Alternativen zu favorisieren, denn: „Auf Dauer fällt das haushalterisch ins Gewicht.“

Große Sorge vor Infektionswelle in Herbst und Winter

„Nicht alle wollen zurück in den Ratssaal“, stellte Roger Tscheulin (CDU) fest. „Trotz der warmen Jahreszeit steigen die Inzidenzen. Im Herbst/Winter wird es dramatischer werden.“ Die Sitzungsteilnahme sei verpflichtend; man dürfe nicht nur an sich selbst denken, vielmehr „haben wir Fürsorgepflicht den Mitarbeitern der Stadt gegenüber“. Er sprach sich für die Alternativvarianten aus und regte zudem reine Online-Veranstaltungen an. Auch wenn die Alternativorte mehr Geld kosteten, so würde die Ansteckungsgefahr reduziert und Lohnfortzahlungskosten gespart.

Gegen Sitzungen im Ratssaal sprach sich auch Jürgen Faden (Freie Wähler) aus, denn dieser Raum sei für das große Gremium ungeeignet, auch wegen der Säulen. „Wer weiß, was im Herbst kommt“, gab er zu bedenken und „digital ist nervig und ätzend“. Es sei wichtig, sich „Gedanken zu machen, wo für den Gemeinderat eine adäquate Stätte gefunden werden kann, wo man sich gegenübersitzt.“ „Mit dem Ratssaal täte ich mich schwer, wegen der Enge. Im Terracotta ist die Sitzordnung nicht gut“, so Marvin Pfister (FGL), der eine Änderung der Sitzordnung forderte.

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Auch für mögliche Zuhörer muss genügend Platz sein

In die Rathausgalerie könne man Bürger keinesfalls verbannen, stellte Oberbürgermeister Uli Burchardt fest, da dieser Raum nicht einmal über eine Heizung verfüge. Zudem müssten sich der Sitzungsort des Gemeinderats und der Zuhörersaal im selben Gebäude befinden; dies sei gesetzlich so vorgeschrieben, erläuterte Verena Mohr, Leiterin Geschäftsstelle Gemeinderat. Ebenso wenig gebe es aktuell eine Rechtsgrundlage, die Maskenpflicht bei Sitzungen einzuführen.

Burchardt befand, es solle die „Vorsorge über die Wirtschaftlichkeit“ gestellt werden. Bei 22 Ja- und 15 Nein-Stimmen gab der Gemeinderat sein Okay, dass große Sitzungen weiterhin in Hedicke‘s Terracotta oder im Bodenseeforum abgehalten werden können. Werden dafür die bisherigen Preise aufgerufen, dürften die Mehrkosten bis zum Ende des Winters bei weit über 100.000 Euro liegen.