Schüler sollen wieder mehr Ruhe zum Lernen bekommen, weniger gestresst sein, nachmittags Zeit für Freunde und Vereine haben – so wünschten es sich zigtausend Eltern in Baden-Württemberg und unterschrieben den Antrag einer landesweiten Elterninitiative. Auch 1371 Konstanzer hatten für den Volksantrag G9-Gesetz unterschrieben – das ist fast jede zweite Konstanzer Familie mit einem Gymnasialkind.

Tatsächlich wird das neunjährige Gymnasium ab dem kommenden Schuljahr 2025/26 wieder eingeführt, zunächst für die Klassen 5 und 6. Doch das stellt die betroffenen Schulen und die Kommune als Schulträgerin vor gewaltige Herausforderungen.

So sagte Humboldt-Leiter Thomas Armbruster im Schulausschuss: „Wir werden im Schweinsgalopp in Richtung G9 getrieben, aber die Landesregierung gibt ihre Informationen weiterhin mit Salamitaktik an uns weiter.“

„Wir werden im Schweinsgalopp in Richtung G9 getrieben, aber die Landesregierung gibt ihre Informationen mit Salamitaktik an uns ...
„Wir werden im Schweinsgalopp in Richtung G9 getrieben, aber die Landesregierung gibt ihre Informationen mit Salamitaktik an uns weiter“, kritisiert Thomas Armbruster, Leiter des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums. | Bild: Kirsten Astor

Einige Parameter für das künftige G9 sind immerhin schon bekannt. Fest steht, dass trotz eines zusätzlichen Schuljahres keine größere Menge an Bildungsinhalten dazukommt, sondern der Stoff um ein Jahr gedehnt wird, um den Schulalltag zu entzerren. Die Kinder werden in Klasse 5 nur noch 28 statt bisher 33 Wochenstunden haben.

„Diese Stunden passen alle in den Vormittag“, sagt Patrick Hartleitner, Geschäftsführender Schulleiter der Konstanzer Gymnasien, und kritisiert: „Das ist ein extremer Rückschritt in die 1990er-Jahre. Die Gymnasien werden sich sehr anstrengen müssen, um eine verlässliche Nachmittagsbetreuung sicherzustellen, ohne dafür Ressourcen zu erhalten. Aber wir werden das schaffen und die bestehenden Angebote erweitern.“

„Die Stunden passen alle in den Vormittag. Das ist ein extremer Rückschritt in die 1990er-Jahre“, findet Patrick Hartleitner, Leiter des ...
„Die Stunden passen alle in den Vormittag. Das ist ein extremer Rückschritt in die 1990er-Jahre“, findet Patrick Hartleitner, Leiter des Suso-Gymnasiums und Geschäftsführender Schulleiter der Konstanzer Gymnasien. | Bild: Kirsten Astor

So sieht es auch Thomas Armbruster: „Ich bezweifle, dass in der Landesregierung ein modernes Familienbild vorherrscht“, so der Humboldt-Leiter. Die Schulleiter bedauern darüber hinaus, dass das Land künftig nur noch fünf statt bisher zehn Poolstunden zur Verfügung stellt, die die Schulen nach eigenem Ermessen einsetzen können und die sie bislang etwa für die Unterstufenbetreuung, die Förderung von Fremdsprachen oder Profilen, musische und soziale Aktivitäten oder für gezielte Förderstunden nutzen.

Wird ein Gymnasium weiterhin G8 anbieten?

Das neue Schulgesetz soll Ende Januar oder Anfang Februar 2025 verabschiedet werden, dann gilt das neunjährige Gymnasium als Regelform, beginnend bei den beiden untersten Jahrgängen.

Schulen können theoretisch zwar weiter einen G8-Zug anbieten, doch dafür bekommen sie keine Ressourcen, außerdem ist die inhaltliche Ausgestaltung noch nicht klar. Die Parallelführung von zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf dem Weg zum Abitur bringt auch einiges an Mehraufwand mit sich.

Das achtjährige Gymnasium ist jetzt auch in Baden-Württemberg ein Auslaufmodell. Ab dem Schuljahr 2025/26 gilt G9 als Regelform, ...
Das achtjährige Gymnasium ist jetzt auch in Baden-Württemberg ein Auslaufmodell. Ab dem Schuljahr 2025/26 gilt G9 als Regelform, beginnend bei den Jahrgängen 5 und 6. | Bild: Kirsten Astor

An seiner Schule, dem Suso-Gymnasium, startete Patrick Hartleitner eine Elternumfrage zum Thema G8 und G9, an der rund 300 Personen teilnahmen. „Ein interessantes Ergebnis ist, dass sich etwa ein Drittel der Befragten weiterhin eine Option für ein G8-Gymnasium wünschen“, so Hartleitner.

Doch derzeit könne er nicht sagen, ob eine Konstanzer Schule ab 2025 einen G8-Zug in den Jahrgängen 5 und 6 anbieten wird. „Endgültige Aussagen können erst getroffen werden, wenn wir belastbare Informationen aus dem Kultusministerium haben. Diese werden bis Ende des Monats erwartet.“

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Im Übrigen hätte er sich gewünscht, dass die Schüler sich nicht schon nach der Grundschule für das acht- oder das neunjährige Gymnasium entscheiden müssen, falls es diese Wahlmöglichkeit geben sollte. „Es wäre gut gewesen, diese Wahl in Klasse 8 oder 9 anzubieten, wenn klar ist, welcher Lerntyp ein Kind ist“, so Hartleitner. „In anderen Bundesländern wird dies bereits praktiziert.“

Für die älteren Schüler, die künftig beim achtjährigen Gymnasium bleiben werden, könnte sich auch etwas ändern. „Ich vermute, dass sie ebenfalls von den Schwerpunkten wie mehr Demokratie- und Medienbildung/Informatik profitieren sollen und somit noch mehr Stunden haben werden als bereits jetzt“, sagt Patrick Hartleitner.

Die Raumfrage ist auch noch offen

Zusätzlich zu ungeklärten inhaltlichen Fragen des neunjährigen Gymnasiums ist auch noch offen, wo die Schüler untergebracht werden sollen, wenn sie künftig ein Jahr länger zur Schule gehen. „Die Rechnung ist einfach“, sagt Frank Schädler, Leiter des Konstanzer Amts für Bildung und Sport. „Wir haben vier städtische Gymnasien mit je vier Zügen (Parallelklassen) und brauchen daher 16 neue Klassenzimmer. Keines davon haben wir.“

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Unabhängig davon zeigen Vorausberechnungen, dass die Schülerzahlen in Konstanz steigen werden. Das Argument, dass Ellenrieder-, Suso- und Humboldt-Gymnasium vor einigen Jahren ausgebaut worden seien, entkräftet Frank Schädler: „Damals wurden die Erweiterungsbauten auf die maximale Auslastung von G8-Schulen ausgerichtet. Wir hatten noch kein G9 in den Bestandsgebäuden.“ Dann ergänzt er: „Alle Schulen sind voll, wir müssen dringend ausbauen und hoffen, dass wir dafür genügend Geld bekommen, denn auch Brandschutz und Klimasanierungen werden Millionen verschlingen.“

Thomas Armbruster hat für das Humboldt-Gymnasium erste Ideen, wie mehr Platz generiert werden könnte. „Im Dachgeschoss sind Räume mit Türen vorhanden, die aber noch nicht isoliert sind. Auch im Keller könnte man Platz gewinnen. Oder wir bekommen einen größeren Wurf hin und setzen auf den letzten Neubau nochmal ein Stockwerk in Leichtbauweise drauf.“

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Weitere Räume werden an Grundschulen benötigt, wenn ab 2026 der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung kommt. Die Wunschliste ist lang, aber die Stadt knapp bei Kasse. Frank Schädler macht deutlich: „Wir werden nicht alle Wünsche erfüllen können, aber dass wir neue Schulräume brauchen, ist unbestritten.“