Irgendwann in den 1980er-Jahren. Es ist die Geburtsdekade des Synthesizers und Dépêche Mode gehört zu den Bands, die mit dem elektronischen Sound die Musikwelt erobern. Deren Performance prägt das Jahrzehnt ebenfalls – so sehr, dass Stephanie Ruppaner bei der Nennung der englischen Popgruppe noch heute ins Schwärmen gerät.

Jedes Jahrzehnt hat seinen Charme und seine Trends

Zusammen mit ihrer Freundin Fanny Zimmermann sitzt sie am Hintereingang des Konstanzer Klimperkastens und himmelt auch bei anderen Zeiten mit den Augen, zum Beispiel den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Sie weiß, die Zeiten sind vorbei, und doch gibt es für sie die Chance des Nachkostens. In Kleidern. Oder beim Betrachten und Befühlen von Gegenständen. „Each piece has a story and the story has to continue“, sagt sie.

Es passt, dass Stephanie Ruppaner auch sprachlich eine Anleihe nimmt. Neudeutsch wird bei dem Trend von Vintage gesprochen – ein Begriff, mit dem Second-Hand-Ware zu einem Markenartikel mutiert. Im Idealfall hat jedes Stück Stoff, jedes Möbel, jede Handtasche eine eigene Legende.

Der Charme dieses sich ein wenig morbid anfühlenden Kults: Seht her, so die Botschaft des Trägers, dieses T-Shirt wurde bei einem David-Bowie-Konzert getragen. Andere Vintage-Anhänger sind weniger an der Klamotte interessiert, sondern nehmen beispielsweise eine Vase im krassen Schmuddel-Look der 1970er Jahre als stummen Zeugen einer vergangenen Zeit in häusliche Pflege. Es ist eine Nostalgie, die im Prinzip keine gegenständlichen Grenzen kennt.

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Vintage ist zugleich ein politisches Statement, sagt Fanny Zimmermann. Die alte Idee des Verzichts auf den Überkonsum, einst als Konsumterror angeprangert, lebt darin weiter und will doch mehr sein. Zum Gedanken eines nachhaltigen Umgangs mit den Dingen gesellt sich die Hoffnung, durch das Tragen der Geschichtsklamotte zugleich auch die Individualität in einer Zeit zu retten, die den Prägestempel der Masse trägt. Deshalb gehe es bei Vintage nicht nur um das bloße Überziehen eines leicht verblassten Stoffs, der Witz liegt in der Kombination. So kann es sein, dass die Schlaghose der 1970er-Jahre mit der Bomber-Jacke der 1990er Jahre ein Revival erlebt.

Modewelt recycelt ohnehin vergangene Trends

Ein gemischter Style also, eine Hybrid-Form in einer Fashion-Welt, die nach Ansicht von Stephanie Ruppaner und Fanny Zimmermann mangels wirklich neuer Modeschöpfungen ohnehin nur noch vom Recycling alter Ideen zu leben scheint. Natürlich nähme die Textilindustrie den spürbaren Bedarf am Schick vergangener Jahrzehnte auf, nur fehle der Ware das gewisse Extra.

„Viele Menschen ziehen das Original vor“, sagt Stephanie Ruppaner, „weil es ihnen ein besonderes Lebensgefühl gibt.“ Was das anbelangt gibt es ihrer Wahrnehmung zufolge übrigens keinen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Vintage-Anhängern – ebenso wie der Trend zum Retro-Look mit Authentizitätsgarantie keine Frage des Alters sei.

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Doch wie kommt man an solche Teile? Eingekauft wird auf Märkten in aller Welt, im Gespräch fallen Städtenamen wie Paris, London, Kapstadt. Auch private Kontakte oder Hinweise auf Zuruf nutzen die beiden Frauen, um an den historischen Stoff zu kommen – eine wegen der Reisebeschränkungen zurzeit besonders bedeutsame Lieferanten-Quelle.

Vintage-Idee wird zur Win-Win-Situation für alle

Dennoch kann das Duo der Pandemie etwas Positives abgewinnen. Als Veranstaltungskauffrau beziehungsweise Auftragnehmerin von Projekten in der Film- und Fotoproduktion sitzen die Store-Betreiberinnen derzeit beruflich einigermaßen auf dem Trockenen. Die Zeit wollen sie für die Etablierung der Vintage-Idee in Konstanz nutzen.

„Wir könnten auch zuhause sitzen und Trübsal blasen“, sagt Stephanie Ruppaner, stattdessen halsten sie sich jede Menge Arbeit auf. Die beiden Frauen sprechen von 15-Stunden-Tagen, die sie fürs Waschen und Bügeln samt dem Herrichten der Räume im Klimperkasten benötigten. Sie hoffen, dass sich dieser Geist auf die Besucher überträgt und für ein bisschen Heiterkeit im Corona-November-Blues sorgt.

Bei Marcel Beck rannten Fanny Zimmermann und Stephanie Ruppaner übrigens offene Türen ein – schon beim Lockdown im Frühjahr stellte der Betreiber des Klimperkastens das Lokal für ein Tanzprojekt zur Verfügung.

Marcel Beck
Marcel Beck | Bild: Lucht, Torsten

„Es ist schade, wenn die Bar leer steht“, sagt der Geschäftsführer der Bar, „der Raum lässt sich für sinnvolle Dinge nutzen.“ Da er außerdem selbst voll hinter dem textilen Nachhaltigkeitsgedanken steht, bedurfte es keiner Überzeugungsarbeit, „um meine heiligen Hallen den beiden zu überlassen“.

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