„Alles wird gelockert, alles wird Stück für Stück geöffnet“, sagt Julia Johannsen, zweifache Mutter, „nur die Kinder haben keine Lobby und müssen weiterhin leiden unter der teilweisen Schließung der Kindertagesstätten. Dafür haben wir langsam kein Verständnis mehr.“

Julia und Thies Johannsen auf dem Spielplatz am Hörnle. Im Hintergrund spielt Karlo im Sandkasten, Tonio schläft im Kinderwagen.
Julia und Thies Johannsen auf dem Spielplatz am Hörnle. Im Hintergrund spielt Karlo im Sandkasten, Tonio schläft im Kinderwagen. | Bild: Schuler, Andreas

Sie als Ärztin ist zwar offiziell systemrelevant, doch da ihr Mann Thies als Informatiker nicht in diese Kategorie fällt, hat das Ehepaar mit den Söhnen Karlo und Tonio keinen Anspruch auf Notbetreuung im Kinderhaus Salzberg.

Chefs und Großeltern als Garanten

Die Aussichten sind nicht wirklich rosig: Bis Mitte Juni wird die Familie noch warten müssen, ehe eine Besserung der Lage in Sicht ist. „Ich habe meine Präsenzpflicht in der Klinik in Münsterlingen, mein Mann arbeitet von daheim“, berichtet Julia Johannsen. „Wenn meine Chefs nicht so verständnisvoll wären und meine Eltern uns nicht helfen würde, hätten wir Probleme.“

Und so kommt es nicht selten vor, dass sie am Abend, wenn die Kinder im Bett sind, noch lange am Laptop sitzen und arbeiten muss. Angesichts der angespannten Situation merkt die Familie nun, wie umfänglich die Betreuung in ihrer Tagesstätte ist.

Sorge um die Psyche des Kindes

„Wir Eltern werden regelmäßig begleitet und die Kita schickt uns Mails und für die Kinder Bilderrätsel aus dem Gebäude, bei denen diese herausfinden sollen, um was es sich genau handelt“, erzählt Thies Johannsen. „Das ist schon wirklich gut. Die Betreiber und Mitarbeiter können für die Situation ja nichts. Doch wir sorgen uns um die Psyche unseres Dreijährigen, den die Abwesenheit von seinen Freunden und der Kita arg zu schaffen macht.“

Die fehlenden sozialen Kontakte würden ihm Probleme bereiten, wie die Mutter berichtet: „Am Anfang war es ein bisschen wie Urlaub“, sagt sie. „Doch irgendwann fing er an, darüber nachzudenken. Er wollte nicht mehr darüber reden und leidet seither unter der Situation.“ Die Öffnung der Spielplätze sei ja schön und gut, „aber das bringt uns in dieser Situation nicht weiter. Es geht um den Kontakt mit den Gleichaltrigen und mit den Erzieherinnen“.

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Gesa Hansen ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Konstanz und selbst fünffache Mutter. „Ich erlebe die aktuelle Situation also privat daheim und dienstlich in der Praxis“, sagt sie. „Für Studien ist es interessant zu beobachten, wie meine Kinder mit der Situation umgehen.“

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Gesa Hansen mit ihrem Mann Hauke. Im Hintergrund genießen vier der fünf Kinder das Trampolin ...
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Gesa Hansen mit ihrem Mann Hauke. Im Hintergrund genießen vier der fünf Kinder das Trampolin im Garten: Luisa, Emma, Henrik und Ida. | Bild: Schuler, Andreas

Ihre Älteste ist bereits 19 Jahre alt und nicht mehr in der Schule, die Jüngste ist im Kindergartenalter, dazwischen liegen drei Schulkinder. „Die vier beschäftigen sich wunderbar miteinander und organisieren sich als Gruppe ganz toll“, berichtet Gesa Hansen. „Doch es ist mir klar, dass das nicht repräsentativ ist.“

Schon bei ihrer Jüngsten, der sechsjährigen Ida, beobachte sie, dass sie ein wenig das Nachsehen habe, „wenn man ihr nicht genau sagt, was sie machen soll. Wenn Programm und Herausforderungen fehlen, tun sich Kinder im Kindergartenalter schwer“. Wenn ein Elternteil kommt und Aufgaben verteilt, „dann heißt es schnell beispielsweise: Nein, das will ich nicht, das ist mit zu schwer“.

Zeit für Hausaufgaben, basteln und malen: Am Küchentisch der Familie Hansen sitzen vier der fünf Kinder und verbringen jeden Tag viel ...
Zeit für Hausaufgaben, basteln und malen: Am Küchentisch der Familie Hansen sitzen vier der fünf Kinder und verbringen jeden Tag viel Zeit miteinander. | Bild: Schuler, Andreas

Die höhere Instanz, wie in einer Kindertagesstätte gegeben, fehle den Kindern sehr. „Wie sollen die kleinen Kindern verstehen, was sich derzeit abspielt? Für Kindergartenkinder ist es schwer zu begreifen, dass eine Pandemie herrscht und daher der gewohnte Gang in den Kindergarten zu den gewohnten Freunden weg fällt.“

„Wenn Kinder Angst vom Alleinsein haben...“

In ihrer Praxis kümmert sich Gesa Hansen primär um Kinder mit Aufmerksamkeitsdefiziten, Störungen des Sozialverhaltens oder Angst- und Zwangserkrankungen. „Ich beobachte, dass diese Kinder von der neuen familiären Situation profitieren und ausgeglichener wirken“, berichtet sie aus ihrem beruflichen Alltag. „Wenn Kinder Angst vom Alleinsein haben, ist das aktuell ja wie ein Fest, wenn sie immer bei der Mama sind.“

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Extrem wichtig seien Strukturen und klare Regeln, wenn die Kleinen wochenlang daheim bleiben müssen. Ausschlafen, lange Fern sehen und noch am Mittag mit Pyjama herumlaufen sei ein paar Tage lang vielleicht gut, „doch dann sollten Grenzen gesetzt werden, innerhalb derer man sich bewegen sollte“.

Der Tag, an dem alle Kinder wieder in die Kita dürfen...

Sie erwartet für den Tag X, wenn alle Kinder wieder die Tagesstätten besuchen dürfen, zwei Arten von Reaktionen. „Die ganz Kleinen werden sich wieder von ganz vorne eingewöhnen müssen“, sagt Gesa Hansen. „Wenn man im Alter von beispielsweise zwei Jahren mehrere Monate nur daheim war, ist das ja ein Großteil des bisherigen Lebens.“ Bei größeren Kindergartenkinder erwartet sie keine Probleme. „Kinder besitzen ja die Gabe, schnell neue Begebenheiten anzunehmen.“