Kurz vor Mitternacht gab es für Rainer und Mareike Pohl kein Zurück mehr. Am 31. Dezember 2020, um 21.30 Uhr, saßen sie abfahrbereit in „Sir Franz-Wilhelm I.“, ihrem Reisebus. Der Schlüssel steckte in der Zündung und sie waren gerüstet für zwei Jahre auf Achse.
Aufregung, Gänsehaut, ein mulmiges Gefühl. Aber keiner war da, um sie zu verabschieden. Denn es war Lockdown und seit 20 Uhr galt die Ausgangssperre. Nur ihr Hund Yoko leistete ihnen bei der Abfahrt Gesellschaft.
Beruflich und privat alles auf den Reisetraum ausgerichtet
Mehr als zehn Jahre hatten sie auf diesen Tag hingearbeitet, auf ihren Traum von zwei Jahren „Wärme, Sonne und Meer“. Bereits zuvor waren sie oft im Reisebus unterwegs gewesen. Aber dieses Mal sollte es eine „Langzeitreise“ werden, sagt das Paar. Entschleunigen, entspannen, die Welt sehen.
„Wir haben beruflich und privat alles darauf ausgerichtet. Wir haben wie wild gespart“, erzählen sie. Mareike Pohl hatte vor der Reise in Konstanz den Hundesalon und die Scherschule mit dem Namen „Style a Dog“ betrieben, Rainer Pohl die Hundebetreuung und -schule mit dem Namen „Walk a Dog“. Beide Hundeliebhaber übergaben ihre Betriebe vor der Reise komplett an Nachfolger und verpachteten die Räumlichkeiten.
Ihr Haus hatten sie zu Wohnungen umgebaut und die entstandenen Räumlichkeiten vermietet. Das Abreisedatum war bereits lange vor Ausbruch der Pandemie festgelegt und daran hielten sie fest, sagt Rainer Pohl: „Covid hin oder her.“
„Den Blinker“ nach Spanien gesetzt
Und kurz vor dem Jahreswechsel war es so weit: Rainer Pohl drehte den Schlüssel in der Zündung. Mit ihrem Hund Yoko an Bord und einem negativen PCR-Test im Gepäck überquerten sie die Grenze zu Kreuzlingen und rollten südwärts ins neue Jahr. Die Straßen waren wie leer gefegt. Die meisten Konstanzer feierten derweil in ihrem Zuhause ein Corona-konformes Neujahrsfest.

Italien? Griechenland? Spanien? Das hatten sie bis wenige Wochen vor ihrer Abfahrt selbst nicht gewusst, sagen sie. Abhängig von den Corona-Zahlen hätten sie „den Blinker gesetzt“, so Rainer Pohl. Die Wahl fiel auf Spanien. „Und das war absolut richtig.“
„Schnell über die Alpen in Richtung Mittelmeer“
In der ersten Nacht schliefen sie in ihrem Van auf einem Rasthof nahe Bern „völlig geschafft“ ein. Am nächsten Morgen wurden sie vom Lärm der Straßenwacht um kurz nach 6 Uhr geweckt. In der Nacht waren bis zu 50 Zentimeter Neuschnee gefallen.

„Wir wollten in dem Moment schnell über die Alpen in Richtung Mittelmeer“, sagt Rainer Pohl. Sie packten zusammen, nach einem Kaffee ging es weiter – der Sonne hinterher.
Atlantikküste vor der Haustür
Fünf Monate später. Barfuß, braun gebrannt und bester Laune meldet sich das Konstanzer Ehepaar aus ihrem Van auf den Kanarischen Inseln. Per Videoanruf sind sie dem SÜDKURIER von einem Parkplatz an der Küste der Insel La Gomera zugeschaltet. Frankreich, Spanien, wieder Frankreich und nun die Kanarischen Inseln – das war seit dem Jahreswechsel ihre Reiseroute, erzählen sie.

Rainer Pohl zeigt das Innere des Vans: Kochnische, Drehtisch, Fliegengitter und „Hundehütte“ unter dem Bett. Während der Tour schläft Hund Yoko im Gang und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Das Highlight: Der Blick aus dem Doppelbett im hinteren Bereich des Busses. Von hier aus können sie den Sonnenuntergang über dem Atlantik sehen, erklärt Rainer Pohl und zeigt aus dem Fenster. „Dort hinter den Steinchen geht die Sonne unter.“
Ihr ursprüngliches Reiseziel war Marokko
Anschließend verlässt Pohl mit dem Handy den Bus. Er zeigt die Brandung mit Stein- und Sandstränden vor ihrer „Haustür“. Der Wind rauscht in das Mikrofon. „Dort unten ist eine kleine Leiter zum Frischmachen und Baden“, sagt er.

Zurück im Bus erzählt Mareike Pohl: „Unser ursprünglicher Plan war es, nach Marokko zu fahren.“ Doch die Summe aus Wetter, Dauer der Überfahrt von Frankreich über das Mittelmeer und einer ungewissen Reiselage in Marokko überzeugte sie davon, ihren Plan zu ändern: Sie nahmen von Spanien aus eine Fähre auf die Kanarischen Inseln.
Auf den Kanaren „das Paradies“ gefunden
„Auf den Kanaren ist für uns das Paradies aufgegangen“, erzählt Rainer Pohl. „Jede Insel für sich bietet ein Paradies, die Vielfalt ist wunderbar.“ Tagsüber genießen sie die Strände, die Natur und die Kultur, abends schlafen sie in ihrem Van nahe der Küste am Straßenrand oder auf Parkplätzen.
„Viel von der Corona-Pandemie merken wir hier gar nicht“, sagt Mareike Pohl. Natürlich gebe es auch in Spanien Maskenpflicht, unter anderem in Supermärkten, in der Öffentlichkeit und im Einzelhandel. Die Ausgangssperre betreffe sie in ihrem Bus aber kaum. Sie gingen früh ins Bett, sagen sie. Campingplätze meiden sie und Wasser holen sie sich bei öffentlichen Quellen. „Wir sind autark“, sagt Rainer Pohl.
Seit Beginn ihre Reiseerfahrungen halten sie auf ihrem Instagram-Kanal und ihrer Webseite 'Happy2Travel' ihre Reiseerfahrungen fest. „Wir wollen Spaß und Liebe verbreiten und schöne Momente zeigen.“
Mit ihrer Zukunft beschäftigen sie sich kaum
Ob sie den Bodensee und ihre Heimat vermissten? Nein, meint Mareike Pohl. „Wir haben kein Heimweh, nicht einmal ansatzweise.“ Für sie gelte nur der Augenblick. „Wahrnehmen, spüren, sehen. Das ist der Sinn und Zweck unserer Reise“, so Rainer Pohl.
Mit ihrer Zukunft beschäftigen sie sich daher kaum, sagen sie. Sie wüssten nur, dass als Nächstes die kanarische Insel El Hierro bereisen und im Oktober auf ihrer Lieblingsinsel Sardinien bei Freunden sein wollen. Wo sie im kommenden Monat seien, stehe noch nicht fest. „Das entscheiden wir spontan. So machen wir das seit Beginn.“