Die Konstanzer Marktstätte in Vor-Lockdown-Zeiten. Eine Stimme aus dem Hintergrund fragt: „Warum ist die Schweiz so reich?“ Ein Mann mit Glatze, schwarz umrandeter Brille und Schweizer Akzent antwortet: „Natürlich die Banken.“ Ein junger Mann, ohne Brille und mit vollem Haar, hingegen fragt zurück: „Steuerhinterziehung und Nazigold? Das hört man immer so.“
Die Szenen stammen aus einem Dokumentarfilm von Dave Leins, den der Konstanzer mit seinem Schweizer Kollegen Roger Brunner gedreht hat. Die Frage „Warum ist die Schweiz so reich?“ ist auch der Titel des Films.
Aufwendige Recherchen vor Ort
„Das Ganze war aufwendiger als eine Reisereportage, weil wir extrem viel recherchieren mussten, Archivmaterial finden und sichten. Und die Zahlen mussten ja auch stimmen“, erzählt Dave Leins im Gespräch mit dem SÜDKURIER an einem frühlingshaften Februarnachmittag am Konstanzer Seerhein.
In den vergangenen Jahren hat Dave Leins für 3Sat vor allem Reisedokumentationen gedreht: Er ist mit ehemaligen Korrespondenten des Schweizer Fernsehens SRF in das Land gereist, über das seine Protagonisten einst berichtet haben – etwa nach Russland oder China.
Doch Corona machte auch dem Dokumentarfilmer einen Strich durch die Rechnung. „Da wir nicht reisen konnten, haben Roger Brunner und ich uns gefragt, welches Thema wir umsetzen können, für das sich das größte Zielpublikum von 3Sat, die Deutschen, interessiert.“ Und so kamen sie schließlich auf die Frage: „Warum ist die Schweiz so reich?“
Dass diese Frage durchaus berechtigt ist, zeigen Dave Leins und sein Kollege in ihrem Film anhand von Zahlen auf: Während ein deutscher Angestellter im Schnitt 3535 Euro brutto im Monat verdiene, komme ein Schweizer auf umgerechnet 6655 Euro.
Und auch wenn die Preise in der Schweiz sehr hoch sind, hatten Schweizer 2019 kaufkraftbereinigt am Ende 11 Prozent mehr Geld zur Verfügung als ihre deutschen Nachbarn, wie eine Expertin im Film ausführt.
Das Geheimnis des eidgenössischen Reichtums
Der Dokumentarfilm liefert eine erste Antwort auf seine titelgebende Frage anhand von Obst – genauer gesagt anhand der „blauen Banane“. Bitte was? Wie erklärt wird, bezeichnet diese Banane eine der dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt, einen Städtegürtel, der sich von England über die Benelux-Länder, Teile Frankreichs, West- und Süddeutschland sowie Teile Österreichs bis nach Norditalien erstreckt – und mittendrin: die Schweiz.

Ihr heutiges Staatsgebiet liegt fast gänzlich innerhalb der „blauen Banane“, die seit rund 1000 Jahren das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bildet, wie ein Experte im Film erklärt. „Dass ihre geografische Lage für die Schweiz so entscheidend war, fanden wir am überzeugendsten“, betont Dave Leins.
Eine beinahe märchenhafte Erfolgsgeschichte
Doch es waren nicht nur die guten Ausgangsbedingungen, die den heutigen Reichtum der Schweiz erklären. Beinahe wie in einem Märchen scheint sich in der Geschichte des Landes eine glückliche Fügung an die nächste zu reihen. Angefangen im Spätmittelalter, als das lukrative eidgenössische Söldnerwesen eine wichtige Grundlage für den späteren Erfolg bildet.
Schon früh zwingt die Rohstoffarmut ihres Landes die Eidgenossen dazu, sich zu spezialisieren und innovativ zu sein. Diese Entwicklung erhält zusätzlichen Schub, als protestantische Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, die Hugenotten, im 16. und 17. Jahrhundert in Massen in die Schweiz strömen.
In ihrer neuen Heimat etablieren die Hugenotten das Uhrenhandwerk und setzen wichtige Impulse für die Textilindustrie, auf der wiederum die späteren wirtschaftlichen Zugpferde fußen: der Maschinenbau und die Pharmaindustrie.
Schließlich wird die Schweiz bereits Mitte des 19. Jahrhunderts nach England das am stärksten industrialisierte Land Europas. Direkte Demokratie und – von außen bestimmte – Neutralität bringen zudem politische Stabilität mit sich. Damit seien nur einige Beispiele genannt, die zur Schweizer Erfolgsgeschichte beitrugen, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt, wie der Film aufzeigt.
Und das Bankgeheimnis sowie das Nazi-Gold?
„Es ist schon so, dass die Schweiz oft keine Skrupel hatte, bestimmte Situationen oder Gegebenheiten auszunutzen“, sagt Dave Leins. So zeichnet der Dokumentarfilm unter anderem nach, wie einzelne Schweizer beim transatlantischen Sklavenhandel mitmischten.
Und ja, die Schweiz fungierte auch als Hehler Nazi-Deutschlands, indem es dessen Gold – darunter Raubgold und solches von KZ-Häftlingen – gegen Schweizer Franken eintauschte. Später sorgte das inzwischen stark aufgeweichte Schweizer Bankgeheimnis dafür, dass anderen Staaten weltweit Billionen an Steuereinnahmen entgingen, wie eine Expertin im Film betont.

Dennoch kommen Dave Leins und Roger Brunner am Ende ihres Films zum Schluss, dass einzig eine „Prise Schamlosigkeit“ zum wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz beigetragen habe. „Mich hat es auch überrascht, dass die Auswirkungen davon kleiner sind, als vermutet. Aber in Relation zum gesamtwirtschaftlichen Erfolg war all dies eben nur eine Prise und relativ unbedeutend“, erklärt Dave Leins.
Geografische Lage, Glück, Ideenreichtum und clevere politische Entscheidungen seien wichtiger gewesen, betont der Dokumentarfilmer. Und am Ende, so resümiert eine Stimme aus dem Hintergrund vor dem Abspann des Films, gelte wohl auch für die Schweiz „die alte Regel: Geld fließt zu Geld.“
Hier finden Sie den Dokumentarfilm "Warum ist die Schweiz so reich?" in der 3sat- Mediathek. (Verfügbar bis 3. März 2022)
(Dieser Artikel wurde erstmals im März 2021 veröffentlicht)