Kurz nach 7.40 Uhr liegt Konstanz an diesem Montag noch im Dunkeln, der Tag erwacht langsam. Doch in der Wohnung der Familie von Albedyhll herrscht Hochbetrieb: Julia von Albedyhll druckt für ihre ältere Tochter Helena gerade die Französisch-Übungsblätter aus.

Denn die zwölfjährige Gymnasiastin muss sich um punkt 7.45 Uhr auf der Online-Lernplattform Moodle anmelden. So ist der Schulstart im Homeschooling genannten Haus- und Fernunterricht. Durch die Anmeldung auf der Plattform wird die Präsenz der Schüler überprüft.

Für die Jüngere der beiden Töchter, Cecilia, beginnt der Unterricht fünf Minuten später. Auf dem Stundenplan ihrer Gymnasialklasse stehen jetzt zwei Schulstunden Deutsch: Die Zehnjährige muss ein Gedicht interpretieren und es auswendig lernen.

Deutschstunde für Cecilia von Albedyhll.
Deutschstunde für Cecilia von Albedyhll. | Bild: Marcel Jud

Aus zwei anderen Zimmern sind Musik und die Motivationssprüche eines Sporttrainers zu hören: Die beiden jüngsten von Albedyhll-Kinder, der neunjährige Marius und der sechsjährige Raphael, machen gerade Aufwärmübungen, die ihnen per Video vorgeturnt werden.

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„Der Montag ist irgendwie chaotischer als Donnerstag oder Freitag“, sagt Julia von Albedyhll. Aber immerhin funktioniere diesmal die Moodle-Plattform einwandfrei, nicht so wie vor einer Woche, ergänzt die vierfache Mutter und Erzieherin. Sie selbst arbeitet derzeit 25 Prozent in der Notbetreuung. Dann springt jeweils die Schwiegermutter ein. Ihr Mann arbeitet in der Schweiz.

Viel Zeit zum Plaudern bleibt Julia von Albedyhll aber nicht, denn Raphael hat seine Aufwärmübungen beendet und kommt in die Küche. Auf dem Programm des Sechsjährigen steht Silbentrennung, und Mama hilft dabei. Die beiden klatschen in die Hände und sprechen dazu einzelne Wortsilben: „Ba (klatsch) – na (klatsch) – ne (klatsch).“

Bild 2: Was bedeuten Haus- und Fernunterricht für die Familien? Wir haben eine besucht und nehmen Sie mit auf eine Tour ins Homeschooling-Chaos
Bild: Marcel Jud

„Je jünger die Kinder sind, desto mehr Arbeit hat man selbst“, sagt Julia von Albedyhll und lacht. Hilft ihr der eigene pädagogische Hintergrund im Zweitjob als Hauslehrerin? „Es geht: Bei den Kindern, die ich betreue, besteht nicht dieselbe emotionale Verbindung wie zu meinen eigenen.“

Auf die Silbentrennung folgt Rechnen: Sechs Sterne plus drei Sterne ergibt ... Raphaels Ergebnis stimmt, auch wenn die Zahlen teilweise noch spiegelverkehrt auf dem Blatt stehen.

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Wie findet Raphael den Unterricht mit Mama so? „Naja“, sagt der Sechsjährige und ergänzt nach einer kurzen Pause: „In der Schule mag ich es mehr. Da sieht man seine Freunde und kann in der Pause mit ihnen spielen.“

„In der Schule mag ich es mehr. Da sieht man seine Freunde und kann in der Pause mit ihnen spielen“, sagt der sechsjährige ...
„In der Schule mag ich es mehr. Da sieht man seine Freunde und kann in der Pause mit ihnen spielen“, sagt der sechsjährige Raphael von Albedyhll. | Bild: Marcel Jud

Derweil sitzt Marius im Zimmer der beiden von Albedyhll-Brüder an seinem Schreibtisch. Bei ihm ist gerade Kunstunterricht angesagt. Der Neunjährige zeichnet Vögel vom Handy seiner Mutter ab, die er im Internet gefunden hat.

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Marius gefällt der Hausunterricht nicht schlecht, wie er sagt: „Man hat mehr Zeit. Ich finde es gut, dass man draußen spielen kann, wenn es schneit.“ Nur den Sport- und Mathe-Unterricht vermisse er manchmal, so der Neunjährige. Aber ihn beschäftigt derzeit sowieso etwas anderes: „Ich finde es blöd, dass die Grenzen zu sind und ich meinen besten Freund nicht sehen kann.“

„Ich finde es blöd, dass die Grenzen zu sind und ich meinen besten Freund nicht sehen kann“, sagt Marius von Albedyhll.
„Ich finde es blöd, dass die Grenzen zu sind und ich meinen besten Freund nicht sehen kann“, sagt Marius von Albedyhll. | Bild: Marcel Jud

Als Marius mit seinen Zeichnungen fertig ist, will er sein Werk natürlich der Mutter zeigen. Doch er muss sich hinten anstellen. Denn Julia von Albedyhll hilft ihrer älteren Tochter Helena gerade bei den Französischaufgaben. „Da musste ich mich auch erst mal wieder reinfuchsen, denn meine drei Jahre Französischunterricht liegen ja bereits eine Weile zurück“, sagt Julia von Albedyhll mit einem Schmunzeln.

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Plötzlich ruft Helena mit einem Blick auf die Küchenuhr erschrocken: „Oh, ich glaube, ich habe gleich einen Zoom.“ Also schnell zurück ins eigene Zimmer, an den Rechner und auf den Link zur Videokonferenz-Plattform Zoom klicken, den die Französischlehrerin vorab geschickt hat. Die ganze Klasse ist per Video zugeschaltet und bespricht nun gemeinsam die Aufgaben.

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Helena sieht durchaus Vorteile bei dieser Form des Unterrichts. „Ich finde, man kann sich zuhause besser konzentrieren. Und ich kann morgens ein bisschen länger schlafen und habe auch mehr Freizeit.“ Dennoch vermisse sie auch die Schule, sagt die Zwölfjährige: „Vor allem meine Freunde, die gemeinsamen Pausen und auch die Mitschüler.“ Derzeit könne sie nur eine Freundin regelmäßig sehen.

„Ich finde, man kann sich zuhause besser konzentrieren“, sagt Helena von Albedyhll.
„Ich finde, man kann sich zuhause besser konzentrieren“, sagt Helena von Albedyhll. | Bild: Marcel Jud
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Derweil in der Küche: Die zehnjährige Cecilia hat ihr Gedicht inzwischen auswendig gelernt und trägt es Mutter und Bruder Raphael vor. Beide sind begeistert. Und der Sechsjährige darf auch noch ein weiteres Lach-Smiley auf seinem Aufgabenblatt ausmalen, nachdem er alle Rechenaufgaben gemeistert hat.

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Inzwischen ist es 8.55 Uhr. Während sie mit dem SÜDKURIER-Reporter spricht und nebenbei auch immer wieder Fragen von Raphael beantwortet, bereitet Julia von Albedyhll die Pausenverpflegung für ihre Kinder vor und schneidet Früchte und Obst.

Nach und nach trudeln die von Albedyhll-Kinder zur Pause in der Küche ein. Doch Schluss ist für sie und ihre Mutter noch lange nicht, wie ein Blick auf die prall gefüllten Stundenpläne an der Küchentür zeigt.

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Cecilia etwa hat nach der Pause zwei Stunden Kunstunterricht. Danach steht eine Stunde Sport auf dem Programm. Für die Übungen hat die Sportlehrerin Fotos und Anleitungen auf die Lernplattform gestellt.

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Bild: Marcel Jud

Wie ihre ältere Schwester Helena hat auch Cecilia Schulstunden, die per Videokonferenz stattfinden. Zum Beispiel Musikunterricht. „Der Lehrer spielt dann etwas auf dem Klavier vor, und wir singen mit, mit ausgeschaltetem Mikrofon. Oder wir nehmen ein Lied auf und schicken es ihm dann“, erzählt die Zehnjährige.

Am Hausunterricht gefalle ihr, dass sie zuhause sei, am eigenen Schreibtisch und keine Maske tragen müsse, sagt Cecilia. Manchmal komme auch ihre Freundin vorbei, und dann würden sie zusammen arbeiten.

„Ich finde es dann auch toll, wenn die Schule wieder aufmacht und ich die anderen Freunde wiedersehe“, sagt Cecilia von ...
„Ich finde es dann auch toll, wenn die Schule wieder aufmacht und ich die anderen Freunde wiedersehe“, sagt Cecilia von Albedyhll. | Bild: Marcel Jud

„In der Schule machen wir weniger als hier zuhause, weil es dort immer noch Fragerunden gibt. Hier kann man schnell mal im Klassen-Chat den Lehrer fragen. Aber ich finde es dann auch toll, wenn die Schule wieder aufmacht und ich die anderen Freunde wiedersehe.“

Wieder in der Küche, jetzt ist es kurz vor 11 Uhr. Marius tobt gerade, weil er seine Aufgaben erledigt hat und auf dem Handy seiner Mutter etwas spielen will. Aber sein jüngerer Bruder Raphael ist zuerst dran.

„Man merkt schon, dass die Kinder nicht mehr in ihren Sportvereinen trainieren können. Sie sind körperlich nicht ausgelastet“, sagt Julia von Albedyhll und lächelt, nachdem Marius‘ Empörungswelle wieder abgeflaut ist.

„Andere haben es schwieriger. Da sind wir schon in einer komfortablen Lage“, sagt Julia von Albedyhll.
„Andere haben es schwieriger. Da sind wir schon in einer komfortablen Lage“, sagt Julia von Albedyhll. | Bild: Marcel Jud

Darauf angesprochen, warum sie so entspannt wirkt – trotz Homeschoolings mit vier Kindern und eines Haushalts, der nebenher noch erledigt werden muss – sagt Julia von Albedyhll: „Also ganz ehrlich, ich gehe auch lieber arbeiten, als Hausunterricht zu geben.“

Aber sie wolle sich nicht vorstellen, wie es sei, wenn beide Eltern auswärts oder im Homeoffice arbeiten müssten. „Da sind wir schon in einer komfortablen Lage.“