Freitagmittag, 10. Mai, in der Luft liegen noch die Klänge des letzten Soundchecks und die Sonne strahlt gemeinsam mit den Festivalbesucherinnen und -besuchern um die Wette, die vor den Eingängen des Bodenseestadions auf Einlass warten. Bald kann es losgehen, das Campus-Festival 2024, das auch in diesem Jahr wieder mehr als 20.000 Menschen angelockt hat.

Einige von ihnen erleben das Wochenende auf eine besondere Art und Weise, nämlich kostenlos. Dabei haben die 600 Menschen allerdings nicht mit viel Glück bei einem riesigen Preisausschreiben gewonnen oder eine geheime Lücke im Verkaufssystem entdeckt. Stattdessen haben sie sich in den Monaten und Wochen ab Verkaufsstart der Karten für den Erhalt eines sogenannten Solitickets bei den Veranstaltern gemeldet. Das Ticket soll das frühlingshafte Festival am See erfahrbar machen, auch wenn das Einkommen und die soziale Lage es sonst vielleicht nicht zulassen würden.

Ein ganzes Wochenende umsonst?

Das Konzept eines Solidaritätsbeitrags ist nichts grundlegend Neues. „Eigentlich ist es ziemlich einfach“, erklärt Werner Rietzschel, einer der verantwortlichen Festivalplaner, im Gespräch. „Man schreibt eine E-Mail an info@campusfestival.de und sagt einfach ,Hallo, ich möchte mich gerne auf das Soli-Ticket bewerben‘. Wir antworten dann mit einem ‚Ja‘ und setzen die Leute auf eine Liste.“ Und umgekehrt: Mit einem Klick kann beim Kauf der eigenen Karte eine Spende im Wert von einem bis 99 Euro hinzufügt werden, die den Festivalbesuch einer anderen Person mitfinanziert.

Das trifft auf einen Nerv. Mit seinem Line-Up und den Angeboten auf dem Gelände richtet sich das Campus-Festival an eine besonders junge Zielgruppe. „90 Prozent der Karten werden von Schüler:innen, Azubis und Studierenden gekauft und genau so ist das Festival angelegt“, meint Rietzschel.

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Für manche wird ein Ticket unbezahlbar

Nach dem Umzug der Veranstaltung vom Gelände der Universität auf die Flächen des Bodensee-Stadions 2022 haben sich die Ticketpreise erhöht. Zwar gab es die Möglichkeit, ein ermäßigtes Ticket zu erwerben, bei den Planern seien aber trotzdem mehr und mehr Nachrichten eingegangen, in denen vor allem Menschen dieser Zielgruppe schilderten, sich das Wochenende in Konstanz nicht mehr leisten zu können.

2023 kam nochmal eine Preiserhöhung von 30 Euro dazu. „Es ist bitter, dass junge Leute keine Chance haben, mal ihre Lieblingsacts zu sehen. Das Campus-Festival Konstanz ist ein Projekt für alle Menschen. Deshalb ist uns das Soli-Ticket und die Botschaft dahinter eine Herzensangelegenheit“, erklären die Festivalmacher. Kosten für das Konzept, die nicht durch Förderungstöpfe oder Spenden gedeckt werden können, trägt die Veranstaltung deshalb selbst. Damit solle eine Gelegenheit entstehen, die in Konstanz fehle: die Möglichkeit für 16 bis Mitte 20-Jährige in Konstanz feiern zu gehen und etwas zu erleben.

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Wocheneinkauf oder Festival-Eintritt?

„Ich bin ehrlich, ich habe dieses Jahr zwei Wochen lang darüber nachgedacht, ob ich aufs Campus-Festival komme“, erzählt Studentin Anne Held aus Freiburg. „Nicht mal, weil ich 90 Euro an sich extrem teuer finde, aber ich denke da immer in Wocheneinkäufen.“ Es ist das alte Problem, das durch Einflüsse, wie die aktuelle Inflation, immer noch stärker angekurbelt wird. Da fehlt dann schnell das Budget für die Freizeit.

Personen dieser Altersgruppe haben oft wenig Budget. Wenn von 538 Euro Lohn aus dem Nebenjob noch etwas für die Miete und Lebenshaltungskosten abfließen muss oder Taschengeld im eigenen Haushalt nicht möglich ist, bleibt nicht viel übrig, um in die Freizeit und vor allem um in Kultur zu investieren. Der vom Bund eingeführte Kulturpass deckt die Lücke bei weitem nicht ab. 1000 Anfragen sind für 2024 bei den Festivalverantwortlichen für einen Eintrag auf der Soli-Liste eingegangen, so viele wie noch nie zuvor. „Was macht das mit der Kultur?“, fragt sich Rietzschel.

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Ein Festival und Kultur

Das Thema bleibt heiß diskutiert. „Ich finde Festivalbesuche sind ein Luxus, aber kein Grundrecht“, findet Mara Mendez, ebenfalls Studentin. Klar, ein Bier kann man auch gemütlich zu Hause trinken. Neben stimmungsvollen Shows bietet das Festival allerdings weitaus mehr als nur Party und eine unbeschwerte Zeit. Die Angebote zahlreicher Stände lokaler Gruppen aus Konstanz auf dem Gelände schaffen Raum für Begegnung.

Rietzschel macht dazu deutlich: „Es gehört zur Gesellschaft dazu, sich zu begegnen und miteinander zu feiern“. Das sei nicht nur wichtig für die vielen jungen Erwachsenen, die nach Corona das Rausgehen verlernt haben, sondern sogar grundlegend für die Demokratie. Neue Leute, andere Perspektiven, Künstler:innen, die sich für ihre Überzeugungen auf der Bühne starkmachen.

Wer braucht ein Soli-Ticket wirklich?

Was angenehm klingt, schafft aber auch Raum, das Konzept eines kostenlosen Erlebnisses zu missbrauchen. Kann das Ticket so überhaupt dort ansetzen, wo es hin möchte, und ist das wirklich fair? Bei 600 Tickets und 1000 Anfragen, sind da nicht ein paar Anfragen dabei von Menschen, die eigentlich auch ein Ticket kaufen könnten?

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Das könne man nicht verhindern, sagen die Organisatoren. Und so mussten sie es dieses Jahr auch erleben, als manche der großzügig verschenkten Karten auf einer Onlineplattform zum Verkauf angeboten wurden. „Wir schreiben beim Versand der Mail immer dazu, dass das Ticket jederzeit wieder abgeben werden kann, falls es doch nicht gebraucht wird.“ Rietzschel macht deutlich: „Das müssen wir uns auf jeden Fall nochmal durch den Kopf gehen lassen.“ Vielleicht, meint er, könne man das Konzept so anpassen, dass es nicht zum Nachteil der Nutzenden wird.

Oder ganz damit aufhören? Gefährdet ist das Soli-Ticket trotz des Missbrauchs noch nicht, sagt Rietzchel. Er ist sich sicher: „Wenn wir das als mittelgroßes, gemeinnütziges Festival können, können sich die Akteure, die ganz groß im Geschäft sind, das eigentlich noch mehr leisten.“