Es war eine brisante Mischung: Zwei Wellen mit Starkregen im Mai, vollgesogene Böden und Unmengen von Schmelzwasser aus den Bergen. Der Bodensee-Pegel schnellte in die Höhe: Am 24. Mai 1999 erreichte er die Jahrhundert-Marke von 5,65 Metern.

Der Sportplatz Reichenau – unter Wasser.
Der Sportplatz Reichenau – unter Wasser. | Bild: Günther Petersilie

Der Damm der Insel Reichenau wurde überschwemmt, lag etwa einen halben Meter unter Wasser, ebenso die Hafenmeile von Konstanz, die Fähre musste zeitweise ihren Betrieb einstellen und beinahe wäre dasselbe auch mit der Bahn passiert. Die Feuerwehr und andere Einsatzkräfte kamen tagelang nicht mehr aus den Uniformen. Fünf Zeitzeugen erinnern sich an die Wochen, in denen das Extrem-Hochwasser die Region im Griff hatte.

Feuerwehr im Einsatz

Sie griffen zu Maurerkelle und Bauschaum: Das Hochwasser vor 25 Jahren forderte von der Feuerwehr immer wieder wagemutige Improvisationen, berichtet Peter Renker, der damalige stellvertretende Kommandant.

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Weil sein früherer Chef im Ausland war, leitete er die Einsätze in der heißen Phase. Zu den kniffeligen Aufgaben habe die Sicherung des Stellwerks der Bahn gehört. Dort drohten Kabelschächte für die Schaltanlagen abzusaufen. Der Zugbetrieb in die Schweiz und in den Schwarzwald wäre in Gefahr gewesen.

Auf der beim Hochwasser 1999 überfluteten Hafenmeile errichtete die Feuerwehr eine Hochwassersperre, pumpte das Wasser dahinter ab (im ...
Auf der beim Hochwasser 1999 überfluteten Hafenmeile errichtete die Feuerwehr eine Hochwassersperre, pumpte das Wasser dahinter ab (im Bild) und schüttete einen Damm aus Sand auf. | Bild: Rindt Claudia

Renker berichtet, wie die Feuerwehr den schlimmsten Fall gerade noch abwenden konnte. Ein im beruflichen Leben auf Kanalarbeiten spezialisierter Kollege der Freiwilligen Feuerwehr sei in den überfluteten Bereich getaucht und habe mit einem speziellen Bauschaum die Löcher gestopft. So sei kaum neues Wasser nachgeflossen, und der Raum dahinter konnte mithilfe einer Tauchpumpe trocken gehalten werden. Als durch Kellerfenster Wasser zu drücken drohte, habe die Feuerwehr dahinter die Mauern erhöht. Zu einem der vielen Brennpunkte gehörte auch die Marktstätten-Unterführung, die wie eine Wanne gebaut ist. Das Hochwasser drohte diese aufzuschwemmen.

Alles trocken – Peter Renker von der Feuerwehr steht im Konstanzer Hafen dort, wo er und seine Kollegen damals gegen die Fluten kämpften.
Alles trocken – Peter Renker von der Feuerwehr steht im Konstanzer Hafen dort, wo er und seine Kollegen damals gegen die Fluten kämpften. | Bild: Rindt Claudia

Die gesamte Konstruktion wäre in Gefahr gewesen. Die Feuerwehr brachte Kies und Sand als Gegengewicht aus. Zum Hochwasser gehörte für die Feuerwehr auch das stundenlange Füllen von Sandsäcken. Dafür sei ein Salzstreu-Wagen zum Sandverteiler umfunktioniert worden. Die genaue Analyse der Lage habe zum Alltag gehört: Als etwa der See vor der Villa Seeheim in den Keller des Anwesens drückte, durfte dieser nicht ausgepumpt werden, sagt Renker. Der Wasserdruck von außen hätte ansonsten das Fundament knacken können.

Wassertreten mit dem Fahrrad. Eine Szene vom Schänzle im Jahr 1999.
Wassertreten mit dem Fahrrad. Eine Szene vom Schänzle im Jahr 1999. | Bild: Rindt Claudia

In der Schlussphase des Hochwassers bereitete Treibholz Probleme. An der alten Rheinbrücke, so befürchteten Fachleute, könnte es sich sammeln und die bis knapp am Wasser stehenden Auflager beschädigen. In Zusammenarbeit mit der Bahn installierte die Feuerwehr eine Art Abwehrkeil. Während des Hochwassers habe die Freiwillige Feuerwehr ihre Vielseitigkeit ausspielen können, die schon dadurch entstehe, dass die Kollegen aus einem breiten Querschnitt an Berufen kommen, wie Peter Renker sagt.

Ausfall der wichtigen Ernte

Vor der Gurkenernte kam die große Schwemme. Gurken gehören zur wichtigsten Einnahmequelle der Landwirte auf der Insel Reichenau. Sie müssen viel dafür investieren. Rund zwei Euro pro Jungpflanze zahle er heute, etwa die Hälfte sei es wohl damals gewesen, erinnert sich Manfred Benz. Er gehörte zu denen auf der Insel, die das Hochwasser von 1999 voll traf, beruflich und privat. Im Wohnhaus und in seinen Gewächshäusern stand kniehoch Wasser. Im Garten schwammen Schwäne. Im Erdgeschoss seiner Wohnräume wurden die Böden zerstört, und unter Glas 8000 Pflanzen – und damit die Ernte von bis zu 168.000 Gurken.

Die damalige Landwirtschaftsministerin Gerdi Staiblin besucht 1999 den überfluteten Betrieb von Manfred Benz auf der Insel Reichenau. ...
Die damalige Landwirtschaftsministerin Gerdi Staiblin besucht 1999 den überfluteten Betrieb von Manfred Benz auf der Insel Reichenau. Seine wichtige Gurkenernte wurde komplett vom Hochwasser vernichtet. | Bild: Rindt Claudia

„Von einem Tag auf den anderen war alles weg.“ Zuerst sei nur in sein kleines Gewächshaus Wasser gedrungen, damals habe er noch gedacht, er könne mit einfachem Abpumpen die Lage retten. Zum Schluss sei es nur noch darum gegangen, zu verhindern, dass Wasser in den Raum eines unterirdischen Heizöltanks dringt, der 28.000 Liter fasst. Die Feuerwehr habe beim Kampf gegen die Fluten geholfen. Mit Sandsäcken, Folien und Pumpen. Benz ärgerten die vielen „Neugierigen und Wunderfizzigen“, die auf die Insel kamen.

Im selben Gewächshaus, in dem 1999 das Wasser fast kniehoch stand, gedeihen Jahre später die Gurkenpflanzen von Manfred Benz (rechts) ...
Im selben Gewächshaus, in dem 1999 das Wasser fast kniehoch stand, gedeihen Jahre später die Gurkenpflanzen von Manfred Benz (rechts) und seinem Sohn Alexander. | Bild: Rindt Claudia

„Die haben wir nicht gebraucht.“ Aber Nachbarn und Freunde hätten geholfen, Firmen mit Sachspenden und Kollegen mit einer Benefizaktion. Dies seien Lichtblicke gewesen, und Anstoß, die Flinte nicht ins Korn zu werfen. Nur für einen Bruchteil der landwirtschaftlichen Schäden habe er Ausgleichszahlungen vom Land bekommen. „Die Hilfen, das war ein Tropfen auf dem heißen Stein.“

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Mitten in der Hochwasserzeit sorgte sich Johannes Bliestle, damals schon Geschäftsführer der Gemüse-Genossenschaft Reichenau, wegen zu trockenen Feldern. Denn das Hochwasser bedrohte auch die Elektronik von zwei der vier Seepumpwerke der Genossenschaft und damit das Bewässerungssystem für die Gemüsefelder mit 1500 Entnahmestellen und 60.000 Meter Rohrleitungen.

Damals: Mit normalen Autos ging schon bald nichts mehr: Der Damm der Insel Reichenau lag gut einen halben Meter unter Wasser.
Damals: Mit normalen Autos ging schon bald nichts mehr: Der Damm der Insel Reichenau lag gut einen halben Meter unter Wasser. | Bild: Niederberger, Holger

Ein Ausfall wäre fatal gewesen. Während im Uferbereich Anbauflächen in Gewächshäusern unter Wasser lagen, wäre Gemüse im Landesinneren vertrocknet. Bis zu einem Pegelstand von 6,10 Meter waren die Pump-Anlagen gesichert.

Damals: Auch von Oben ist zu erkennen: Es leuchtet wasserblau durch die Bäume des Damms zur Insel Reichenau. Er liegt unter Wasser.
Damals: Auch von Oben ist zu erkennen: Es leuchtet wasserblau durch die Bäume des Damms zur Insel Reichenau. Er liegt unter Wasser. | Bild: Rindt Claudia

Die Sorge war groß, dass diese Marke geknackt werden könnte. Nach den dramatischen Stunden am Pfingstwochenende, an dem der Seepegel sprunghaft angestiegen war, hielten selbst vorsichtige Menschen alles für möglich. Auch der überflutete Damm, auf dem nun mehr Schwerfahrzeuge fahren durften, war für die Gemüsegenossenschaft ein Problem. Er lag für Wochen als Barriere zwischen Festland und Insel.

Busse konnte zeitweise auch noch über den überschwemmten Damm fahren. Durch die Tür drückte aber das Wasser.
Busse konnte zeitweise auch noch über den überschwemmten Damm fahren. Durch die Tür drückte aber das Wasser. | Bild: Rindt Claudia

Die Genossenschaft schaffte deshalb vorübergehend auf dem Festland eine Anlaufstelle für Kunden. Sie habe zu dem Zweck kurzfristig Räume in der Wollmatinger Straße anmieten können. „Da hatten wir Glück im Unglück.“

Johannes Bliestle, Geschäftsführer der Gemüse-Genossenschaft auf der Reichenau, sorgte sich während des Hochwassers um die ...
Johannes Bliestle, Geschäftsführer der Gemüse-Genossenschaft auf der Reichenau, sorgte sich während des Hochwassers um die Funktionsfähigkeit der Feldbewässerung. | Bild: Rindt Claudia

Bliestle erinnert sich, wie das Hochwasser die Menschen auf der Reichenau zusammenschweißte. Mitarbeiter organisierten Abholdienste für Pendler, die den Sonder-Schiffsverkehr zwischen Allensbach und Reichenau nutzten. Nicht vom Hochwasser betroffene Gemüsegärtner stellten eine Benefizaktion mit Traktorrennen und Verlosung zugunsten betroffener Kollegen auf die Beine. 35.000 Mark seien so zusammengekommen. Eine Geste.

Das Wasser drückt auch auf der Insel an Land.
Das Wasser drückt auch auf der Insel an Land. | Bild: Rindt Claudia

Einzelne Erzeuger hätten 75 Prozent der Jahresproduktion verloren, Gemüse im Wert von 1,2 Millionen Mark sei vernichtet worden. Gegen Überschwemmungen ist der Damm heute besser gesichert. Der Radweg wurde 2002 um 65 Zentimeter erhöht. Im Falle eines Hochwassers könnten dort Autos und Lastwagen im Einbahnverkehr fahren.

Schäden noch lange zu sehen

An den Kastanien des Biergartens der Hafenhallen sind die Folgen des Hochwassers auch noch nach 20 Jahren zu erkennen. Alle Bäume wurden zur Eröffnung 1995 gepflanzt, die seenahen haben auffällig dünne Stämme. Ganz anders der einzige Baum am Rande des Gartens mit dickem Stamm und ausladender Krone. Nur die dünnen Bäume standen 1999 wochenlang im Wasser und litten dann auch noch unter der Reflexion der Sonne. „Die hatten Sonnenbrand“, sagt Mitgeschäftsführer Markus Schweizer.

Damals: Der Biergarten der Hafenhalle wurde mit dem Hochwasser quasi zum Drive-In für Boote.
Damals: Der Biergarten der Hafenhalle wurde mit dem Hochwasser quasi zum Drive-In für Boote. | Bild: Heide Hospach

Das Extrem-Hochwasser hat er als Zeit in Erinnerung, die an die Kräfte ging. Im Biergarten konnten Boote fahren, so tief stand dort das Wasser. Das Augenmerk sei auf den Pavillons mit den teuren Bedienanlagen für Essen und Getränke gelegen. Weil am Bodensee keine Wasserpumpen mehr zu bekommen waren, wurden Schweizer und sein Team sie auf der Alb fündig. Schweizer berichtet, wie er mit Helfern an den Pavillons Barrieren aus Sandsäcken baute, Wasser abpumpte und Tag und Nacht auf Kontrollgängen war, um verhindern, dass neues nachfloss.

Heute: Bei traumhaftem Wetter können die Gäste im Biergarten der Hafenhalle die Sonne genießen – ganz ohne nasse Füße.
Heute: Bei traumhaftem Wetter können die Gäste im Biergarten der Hafenhalle die Sonne genießen – ganz ohne nasse Füße. | Bild: Rindt Claudia

Er habe über Tage hinweg das Geschäft nicht verlassen und im Büroraum übernachtet. Ob er damals Existenzangst hatte? Er habe gar keine Zeit gehabt, sich darüber Gedanken zu machen, sagt er. „Wir haben das alles in Eigenregie und mit Freunden gemacht.“

Der Trick mit der Tonnage

Auch der Fährbetrieb zwischen Konstanz und Meersburg kämpfte. Das Problem: Das Hochwasser hob die Schiffe an, die Landebrücken mussten immer steiler gestellt werden. Das Anlegen und Beladen wurde immer schwieriger. Es kamen nur noch die alten, kleinen, flach im Wasser liegenden Fähren zum Einsatz, bis einer der erfahrenen Schiffsführer Alarm schlug.

Auch für die Fähren wurde das Hochwasser zum Problem. Die Brücken mussten immer steiler gestellt werden.
Auch für die Fähren wurde das Hochwasser zum Problem. Die Brücken mussten immer steiler gestellt werden. | Bild: Rindt Claudia

Pfingstsamstag vor 25 Jahren sei dann Schluss gewesen, erinnert sich Michael Müllner, der damals Administrator war und noch heute bei der Fähre arbeitet. Gegen 11 Uhr habe er den Fährbetrieb eingestellt. „Mir hat das Herz geblutet.“ Die Pfähle zum Anleinen (Dalben) standen so tief im Wasser, dass eine Fähre auf der Spitze hätte aufsetzen können. Es sei zur Debatte gestanden, die gesamte Flotte vorsichtshalber im freien Wasser dümpeln zu lassen. Man habe sich dann aber entschlossen, in einer Hauruck-Aktion die Dalben provisorisch zu verlängern. Vier Tage fuhr die Fähre nicht, dann gelang es Dank eines Tonnage-Tricks, die Thurgau und die Hegau wieder in Betrieb zu nehmen.

Michael Müllner zeigt die heutigen Landebrücken der Fähre, die besser auf Hochwasser eingerichtet sind.
Michael Müllner zeigt die heutigen Landebrücken der Fähre, die besser auf Hochwasser eingerichtet sind. | Bild: Rindt Claudia

Die flachsten Fähren wurden mit gefüllten Schuttmulden und mithilfe eines 40-Tonner-Lasters tiefer ins Wasser gedrückt. Davor hätten Experten genau berechnet, welche Punktbelastung die Schiffe vertragen. Der Preis des Tricks: Viel Raum für Zuladung blieb nicht mehr. Zeitweise wurden nur Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer befördert. Die Schiffe mussten extrem vorsichtig fahren, sagt Müllner. Denn immer wieder schwamm Treibholz im See.

Dieser Artikel erschien auf SÜDKURIER Online erstmals im Mai 2019.

Wie es unsere Reporterin erlebte

  • Die Berichterstattung: Die Hochwasser-Zeit forderte auch die SÜDKURIER-Reporter, die ständig nasse Füße bekamen und alle Möglichkeiten nutzten, von Booten und von oben Eindrücke zur Hochwasser-Lage zu sammeln. Claudia Rindt war 1999 im Stadtgebiet Konstanz im Einsatz, als sie hörte, wie sich die Lage am Damm der Insel Reichenau zuspitze. Er war schon überschwemmt, eine Sperrung drohte. Die Reporterin versuchte, den Kollegen für die Reichenau zu erreichen – ohne Erfolg. Kurzerhand fuhr sie mit dem Auto selbst zum Damm, gerade in dem Moment, als er für den Autoverkehr geschlossen wurde. Wenn die Insel versinkt, dann nicht ohne Bilder vom SÜDKURIER, dachte sich die Reporterin und bekniete die Feuerwehr, sie doch noch mit dem Wagen durchzulassen.
  • Die Inspektion: Die Feuerwehr nahm den alten, weitgehend mechanisch funktionierenden Ford Fiesta unter die Lupe, und kam zu dem Schluss: Mit der alten Kiste werde sie schon noch durchkommen. Sie solle dort fahren, wo das Wasser am niedrigsten steht, sie könne dazu die gesamte Straßenbreite nutzen, der Damm sei ja für den Verkehr gesperrt. Die Feuerwehr warnte aber auch: Eine Rückfahrt werde bei dem Wasseranstieg wohl nicht mehr möglich sein.
  • Die Überfahrt: Die Reporterin fuhr langsam mit dem Auto auf die überschwemmte Straße des Damms, und staunte über die Bugwelle, die dabei entstand. Sie hielt bei gleichmäßigem Tempo Kurs und glitt, ohne zu bremsen, vorsichtig durchs stehende Wasser. Ihr Ziel: Ja nicht die Kontrolle über den Wagen verlieren und nicht ins Schleudern kommen. Als die Überfahrt schon fast geschafft war, drückte durch den unteren Teil der Türen Wasser.
  • Die Rückkehr: Ein freundlicher Inselbewohner mit Boot nahm die Reporterin Claudia Rindt zu einer Rundfahrt um die Insel auf und setzte sie dann wieder am Festland ab. Ihr Auto blieb eine Weile auf der Insel, und wurde dann mithilfe eines Abschlepp-Unternehmens ans Festland gebracht. Die Zeit ohne Auto zeigte ihr, dass sie in Konstanz nicht unbedingt eines benötigt. (sk)