Es regnet Bindfäden, während Michael Saur und Burkhard Lehner von der Situation queerer Menschen in Konstanz berichten. Sie sind die Vorstände des Vereins CSD in Konstanz, der alle zwei Jahre den CSD am See organisiert, also den hiesigen Christopher Street Day.
Erst zum Ende des Gesprächs nimmt der Regen ab und für kurze fünf Minuten scheint die Sonne. Am Himmel ist passenderweise auf der anderen Rheinseite ein kleiner Regenbogen zu sehen, als Saur und Lehner vor der Imperia mit einer Regenbogenflagge posieren. Sie steht symbolisch für die sexuelle und Geschlechtervielfalt, die beim Christopher Street Day gefeiert wird.
Es lebe sich gut in Konstanz als offen schwuler Mann, sagt Burkhard Lehner: „Ich glaube es kommt häufig darauf an, wie selbstbewusst man damit umgeht.“ Wenn man seine sexuelle Orientierung verstecke, sei die Wahrscheinlichkeit höher, mit kritischen Sprüchen konfrontiert zu werden. Der selbstbewusste Umgang zeige dem Gegenüber, dass man sich von solchen Sprüchen nicht verunsichern lasse, meint er.

Ohne Frage seien aber andere Mitglieder der Queer Community (zu deutsch: der queeren Gemeinschaft) mit anderen Problemen konfrontiert. Trans und non-binäre Menschen sähen sich etwa häufig Misgendering, also der falschen Zuschreibung eines Geschlechts, ausgesetzt. Non-binär bedeutet, dass sich Personen weder dem männlichen, noch weiblichen Geschlecht zuordnen.
Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert?
Michael Saur lebt seit 2016 in Konstanz und studiert an der Universität. Er hat das Gefühl, dass gerade an der Hochschule in den vergangenen Jahren vermehrt Angebote für queere Menschen entstanden sind. „An der Universität gibt es ein Referat für Gleichstellung und immer mehr Ansprechpartner, immer mehr Unterstützung im rechtlichen und finanziellen Bereich“, sagt er. Das erlebt Lehner auch an der HTWG, wo er arbeitet. Gleichstellung beschränke sich nicht mehr nur auf Frauen und Männer, sondern denke auch andere Geschlechteridentitäten und sexuelle Orientierung mit.

Eine der Hochschulgruppen an der Uni, die Beratung für queere Studierende anbietet, heißt QuAK. Das Kürzel steht für „Queere Anlaufstelle Konstanz“. Als „vergleichsweise queerste Stadt am Bodensee“ bezeichnet die Gruppe Konstanz gegenüber dem SÜDKURIER. Es gebe hier eine gut vernetzte Szene und Angebote wie das Filmfestival „Queergestreift“ im Zebra Kino und eben den CSD. Das Filmfestival „Queergestreift“ findet im April von 14. bis zum 23. April statt. In der Universität wiederum gebe es viel Handlungsbedarf, damit sich queere Menschen nicht nur toleriert, sondern akzeptiert fühlen.
Aktuell ermöglicht das Transsexuellengesetz die Anpassung des Personenstands, also des Namens und Geschlechts. Das Gesetz wird allerdings kritisiert, da dieser Prozess aufwendig und teuer ist. Studierende könnten sich den Vorgang oft nicht leisten, schreiben die Mitglieder der Hochschulgruppe. „Dies führt dazu, dass Studierende oft in die unvertretbare Lage kommen, sich vor anderen Studierenden und Lehrenden outen zu müssen.“
Die Hochschulgruppe wünscht, dass die Uni die Änderung des Namens und Personenstands intern erleichtert. Außerdem schreiben die Mitglieder von QuAK: „Es ist leider die Regel, dass in Veranstaltungen aus allen Fachbereichen immer wieder veraltete, verletzende Stereotype jeglicher Art unangefochten reproduziert werden.“
Burkhard Lehner wiederum lobt die Chancengleichheitsstelle der Stadt, die den CSD betreut. Der Austausch mit der Verwaltung laufe gut, im vergangenen Jahr hielt OB Uli Burchardt auf dem CSD als Schirmherr gar eine Rede in Stöckelschuhen. Aktuell ist der Vorstand mit der Verwaltung im Austausch und sucht nach Räumlichkeiten, um einen „Safe Space“ (zu deutsch: Sicherer Raum) für queere Menschen zu schaffen. „Das könnte dann ein Treffpunkt sein, wo Mitgliedertreffen oder Selbsthilfegruppen stattfinden können“, sagt Burkhard Lehner. Die Regenbogenfahne auf der Alten Rheinbrücke erwähnt er als ein Zeichen der Sichtbarkeit der queeren Menschen in der Stadt.
Was fehlt in Konstanz?
Es fehlten die kommerziellen Angebote, also Kneipen und Partys, sagt Lehner. Die Angebote und Gruppen, die es gibt, seien auf Eigeninitiative angewiesen. So planen die CSD-Veranstalter derzeit gemeinsam mit dem Verein „Belladonna Frauen und Kultur“, der sich besonders an lesbische und bisexuelle Frauen richtet, eine Queer-Party im Neuwerk im April.
Der Verein existiert seit über 40 Jahren, schafft Räume für Begegnungen, organisiert Ausstellungen, Lesungen und vieles mehr. „Queere Menschen fallen hier immer noch besonders auf und erfahren durchaus auch Diskriminierung, sei es im beruflichen Kontext, im öffentlichen Leben oder auch im privaten Umfeld“, so die Vorstandsfrauen des Belladonna auf SÜDKURIER-Nachfrage. Den Vereinen und Gruppen der queeren Szene fehle es in Konstanz darüber hinaus an finanziellen Mitteln, so die Verantwortlichen. „Alle Vereine arbeiten ehrenamtlich und ihre Strukturen sind eher fragil, sie erhalten nur geringe Zuschüsse.“
Die Kneipenszene für queere Menschen sei in der Vergangenheit lebendiger gewesen, bestätigen die Vorstandsfrauen. Möglicherweise habe sich die Akzeptanz dahingehend verbessert, dass queere Menschen sich nicht mehr verstecken müssen. „Gleichzeitig ist es aber auch ein Verlust, zum Beispiel für Menschen, die ihre queere Identität gerade erst entdecken und Gleichgesinnte suchen“, so der Verein.
Wie kann man queere Menschen als Außenstehender unterstützen?
„Freundlicher offener Umgang ohne Vorverurteilungen hinter vorgehaltener Hand“, lautet die Antwort der Belladonna Vorstandsfrauen auf die Frage, wie man queere Menschen als Außenstehender unterstützen kann. Ähnliches schreiben die Mitglieder von QuAK: „Sei respektvoll, gefühlvoll, offen und setze dich für uns ein.“ Auf bestimmtes Verhalten, etwa abwertende Blicke oder Anstarren, sollte man achten und andere Menschen darauf hinweisen. Ein weiterer Hinweis: „Versuche dich zuerst selbständig zu queeren Themen zu informieren, bevor du queere Menschen fragst.“
Michael Saur gibt zusätzlich zu bedenken, dass etwa Fragen nach Familienplanung für queere Menschen mit anderen Lebensmodellen unangenehm sein können. Und Burkhard Lehner weist darauf hin, dass man nicht vom Aussehen von Menschen auf ihr Geschlecht schließen sollte. Er schreibe inzwischen etwa E-Mails ohne die Wörter „Herr“ oder „Frau“ in der Anrede, um niemandem das falsche Geschlecht zuzuordnen.