Konstanz ist nicht Berlin und die propalästinensische Protestwelle in der Hauptstadt weit entfernt vom Bodensee. Während es landesweit im Rahmen von Demonstrationen rund um den Nahostkonflikt zu Ausschreitungen und Polizeieinsätzen kommt, scheint die Situation in Konstanz deutlich friedlicher zu sein. Lediglich beim Christopher Street Day am 20. Juli wurde die Debatte wieder einmal sichtbar.

Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA BW) bestätigt diesen Eindruck: Zu Ausschreitungen bei Protesten und Demonstrationen kam es in Konstanz nicht. Dennoch sei es seit dem 7. Oktober 2023 – dem Tag, an dem die Hamas Israel angriff – vereinzelt sowohl zu antisemitischen als auch islamfeindlichen Straftaten im Konstanzer Stadtgebiet gekommen, so das LKA.

„Angespannte Atmosphäre“ nach antisemitischen Parolen

So wurden Ende März beispielsweise antisemitische und propalästinensische Parolen an Wände der Universität Konstanz gesprüht. Gerald Schneider, Professor für Internationale Politik, berichtet über eine „angespannte Atmosphäre“, die darauffolgend an der Hochschule herrschte. Trotz „hitziger Diskussionen im Senat und anonymen Anfeindungen, die sich besonders gegen jüdische Studierende richten“, schätzt er die Lage in Konstanz aber als vergleichsweise ruhig ein.

Augen und Mund dürfe man deshalb allerdings noch lange nicht verschließen. Auch nicht vor den Anfeindungen, denen diejenigen ausgesetzt sind, „die völlig zurecht auf Völkerrechtsverletzungen der gegenwärtigen israelischen Regierung hinweisen“, mahnt Schneider.

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Er möchte auf die Situation in Gaza aufmerksam machen

Ein Konstanzer, der immer wieder auf jene Völkerrechtsverletzungen hinweist, ist Manuel Oestringer. Der 28-Jährige, der in diesem Jahr für die Linke Liste im Gemeinderat kandidierte, engagiert sich seit der Gründung im vergangenen Dezember in der Initiative „Rettet Gaza“. Das Bündnis, das Israel den Völkermord vorwirft, möchte in Konstanz auf die Situation im Gazastreifen aufmerksam machen.

Oestringers Wunsch ist es, „dass mehr Menschen in Konstanz aufstehen und protestieren, auch und gerade wenn der Protest sich unter anderem gegen Deutschlands Außenpolitik richtet“. Besonders vor dem Hintergrund der Aufnahmen, die das, wie er wörtlich sagt, „humanitäre Verbrechen im Gazastreifen“ tagtäglich dokumentieren, sei ein Wegschauen für den 28-Jährigen nicht zu verstehen. „Repressionen“, mit denen die palästinasolidarische Protestbewegung in anderen deutschen Städten zu kämpfen habe, stimmen ihn sehr besorgt.

Manuel Oestringer wünscht sich, „dass mehr Menschen in Konstanz aufstehen und protestieren, auch und gerade wenn der Protest sich unter ...
Manuel Oestringer wünscht sich, „dass mehr Menschen in Konstanz aufstehen und protestieren, auch und gerade wenn der Protest sich unter anderem gegen Deutschlands Außenpolitik richtet“. Der 28-Jährige ist in der Initiative „Rettet Gaza“ aktiv. | Bild: Jonas Bernauer

Von derartigen Verboten oder Einschränkungen war „Rettet Gaza“ bislang nicht betroffen. „Konstanz ist eben keine Hochburg politischer Proteste“, sagt Oestringer. Die Demonstrationen hier seien allesamt friedlich verlaufen, berichtet der 28-Jährige, der sich bisher nicht mit persönlichen Anfeindungen konfrontiert sah.

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Gefühl von Isolation an der Universität

Dies kann Natascha Janho nicht von sich behaupten. Die Studentin mit palästinensischen Wurzeln musste erfahren, „wie isolierend es sein kann, an der Universität zu studieren“. Die 23-Jährige berichtet, dass palästinasolidarische Studierende teilweise offen als „Terroristen oder Islamisten“ bezeichnet wurden. Um etwas zu unternehmen, gründete sie deshalb die Hochschulgruppe „Students for Palestine“.

Eines ist Janho besonders wichtig: „Es gibt keine Bedingung, um Anteilnahme mit Palästina zeigen zu können.“ So seien in der Hochschulgruppe beispielsweise auch christliche und jüdische Studierende aktiv, da religiöse Aspekte für sie nicht den Konflikt ausmachen. Sowohl „Students for Palestine“ als auch „Rettet Gaza“ sprechen sich entschieden gegen Antisemitismus aus.

„Es gibt keine Bedingung, um Anteilnahme mit Palästina zeigen zu können“, sagt Natascha Janho. Die Studentin engagiert sich in der ...
„Es gibt keine Bedingung, um Anteilnahme mit Palästina zeigen zu können“, sagt Natascha Janho. Die Studentin engagiert sich in der Hochschulgruppe „Students for Palestine“. | Bild: Jonas Bernauer

Synagogenvorstand ist dankbar für Situation in Konstanz

Dennoch seien die Sicherheitsmaßnahmen der Synagoge verschärft worden, berichtet Gabriel Albilia. Der stellvertretende Vorsitzende der Synagogengemeinde berichtet, dass es rund um die Synagoge seit Beginn des Krieges vereinzelt zu Provokationen und negativen Vorkommnissen gekommen sei. Zu tolerieren sei dies nicht. Im Vergleich zu anderen Städten sei die Situation allerdings harmlos, weiß Albilia.

Für die Situation in Konstanz ist Albilia dankbar. Sie schenke ihm zumindest etwas Zuversicht, da er außergewöhnlich viel Toleranz und gegenseitiges Verständnis verspüre, sagt er. Beide Seiten stehen für ihre Standpunkte ein, ohne dabei gegen die andere zu hetzen, findet Albilia.

„Wir stehen hinter Israel, hinter unserer Existenz. Das heißt nicht, dass wir hinter jeder Entscheidung der Regierung stehen“, sagt ...
„Wir stehen hinter Israel, hinter unserer Existenz. Das heißt nicht, dass wir hinter jeder Entscheidung der Regierung stehen“, sagt Gabriel Albilia, stellvertretender Vorsitzender der Synagogengemeinde Konstanz. | Bild: Lukas Ondreka | SK-Archiv

Den eigenen Standpunkt, den der Synagogengemeinde, beschreibt er wie folgt: „Wir stehen hinter Israel, hinter unserer Existenz. Das heißt nicht, dass wir hinter jeder Entscheidung der Regierung stehen.“ Als Mensch sei es für Albilia unerträglich, dass Unschuldige sterben.

Wie viel Nahostkonflikt herrscht in Konstanz?

Spurlos geht der Nahostkonflikt an Konstanz also nicht vorbei. Das zeigen auch die Vorkommnisse, die sich jüngst im Rahmen des Christopher Street Day ereigneten. Nachdem es dort in Redebeiträgen auffallend häufig zu palästinasolidarischen Positionierungen gekommen war, geriet eine propalästinensische Gruppe verbal mit einem Redner aneinander, der sich zuvor auf der Bühne gegen diese Äußerungen stellte.

Aber nein, Konstanz ist nicht Berlin und mag mancher sich vermutlich auch hier mehr Protest-Wille wünschen, ist eines klar: Friedliche Demonstrationen, ein Synagogenvorstand, der auf gegenseitigem Verständnis beharrt und palästinasolidarische Initiativen, die Antisemitismus entschieden ablehnen, sagen doch einiges über das politische und gesellschaftliche Klima in der Stadt aus.