Seit über 100 Jahren lernen hier Kinder, tagein, tagaus. Ihr Schulhaus ist aus dem Jahr 1906 und ein einzigartiger Bau – Jugendstilarchitektur, hohe Klassenzimmer, ungewöhnliche Grundrisse weit abseits von quadratisch-praktisch-gut. Eine Schule mit Charakter, könnte man meinen. Oder ist dieses Gebäude vielmehr eine Schule mit Lebensgefahr? So jedenfalls sieht es die Stadtverwaltung.

Sie fordert 2,4 Millionen Euro aus dem ohnehin schon knappen Budget bereits ab 2024 abzukappen, um das Gebäude gegenüber der Gebhardskirche nutzbar zu erhalten. Geld, das die Stadt eigentlich gar nicht hat, muss sie nach aktueller Planung im Jahr 2024 doch über zehn Millionen Euro neue Schulden machen. Der Grund für die Ausgabe: Brandschutz. Die Sicherheitsexperten verlangen gleich zwei weitere Fluchtwege, beide nur zwei oder drei Klassenzimmer von einer der bestehenden zwei Treppen entfernt.

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Was ist also los in dem großen Gebäude, in dem die Grundschule Petershausen, die letzten Ausläufer der Theodor-Heuss-Realschule sowie die sich entwickelnde neue Gemeinschaftsschule Lotte Eckener untergebracht sind? Spricht man mit so manchem Mitglied des Gemeinderats, lautet die Antwort: Ein Irrsinn ist da los. Spricht man mit Leuten aus der Verwaltung, gibt es auch Stimmen, die sagen: Hier wird endlich das gemacht, was jahrelang zu kurz gekommen ist.

Jeder Euro für den Brandschutz fehlt woanders

So zeigt das Schulhaus in Petershausen ein Dilemma, unter dem auch viele andere Städte leiden. Oberbürgermeister Uli Burchardt sagte dazu jüngst im Gemeinderat, als die Stadträte eher mit der Faust in der Tasche als aus voller Überzeugung und dann auch noch nur knapp für die millionenschwere Sanierung stimmten: „Beim Thema Brandschutz haben wir erheblichen Diskussionsbedarf“. Denn lieber wäre es ihm, wenn die Stadt in Neues investiere, in Dinge, „die uns inhaltlich weiterbringen“. Denn immerhin ist das Schulhaus in Petershausen nach der 2,4-Millionen-Euro-Investion immer noch das gleiche Schulhaus in Petershausen.

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Das sieht Till Seiler von der Freien Grünen Liste (FGL) noch kritischer. Er, selbst Lehrer an einer anderen Schule, sagt: Das Schulhaus ist hinterher sogar schlechter. Er warnt, dass der „Schulbetrieb durchaus gefährdet ist durch den Brandschutz aus pädagogischer Sicht“ und findet es „erstaunlich, was da gefordert wird“. Immerhin gehen im nördlichen Teil des Gebäudes mehrere Räume verloren, weil dort laut Brandschutzgutachten ein Innen-Treppenhaus einzurichten ist.

Stadträtin spricht von „Schulraum-Vernichtungs-Feldzug“

Und viele Klassenzimmer brauchen nach Jahrzehnten plötzlich eine zweite Tür. Dies soll sie mit dem Nachbarraum verbinden und einen alternativen Fluchtweg ohne Nutzung eines möglicherweise verrauchten oder anderweitig unbenutzbaren Flurs bieten. Die Folge: Wo die Wände aufgebrochen und Durchgänge eingebaut werden, ist plötzlich kein Platz mehr für Schränke oder Regale mit Unterrichtsmaterial. Susanne Heiß, Stadträtin der Freien Wähler, warnt dann auch: Der Brandschutz „darf kein Schulraum-Vernichtungs-Feldzug sein“. Und ihr Kollege Alfred Reichle von der SPD sieht die Gefahr, dass sich in Sachen Brandschutz etwas selbstständig gemacht habe.

Eine Erklärung dafür liefert der Oberbürgermeister und oberste Verwaltungschef in öffentlicher Sitzung gleich mit – immerhin ist er in letzter Konsequenz für die Versorgung mit Schulraum und den Brandschutz gleichermaßen zuständig, bei ihm bündelt sich das Dilemma. Uli Burchardt sagt mit Blick auf seine Dienststellen: „Wir haben neue Leute“, und es seien jetzt Posten besetzt, die zuvor vakant waren. Das heißt: In Sachen Brandschutz weht jetzt ein schärferer Wind; was jahrzehntelang akzeptiert war, muss sich nun sofort ändern, und das „kommt immer plötzlich um die Ecke“, so Burchardt.

Was jahrzehntelang okay war, soll nun verboten sein

So hat es zuletzt die Narrengesellschaft Niederburg erlebt, der die Stadt als Vermieterin die Nutzung des Jahrhunderte alten Pulverturm erheblich einschränkte. So war es auch im Bodensee-Stadion. Und so erleben es die Kinder in der Grundschule Allmannsdorf. Von einem Tag auf den anderen dürfen sie nicht mehr, was für Generationen vor ihnen kein Problem war: Jacken und Turnbeutel dürfen sie nicht im Gang aufhängen, sondern müssen sie mit ins Klassenzimmer nehmen. Und auch das nur für die Zeit des Unterrichts.

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In Allmannsdorf sollen die zweiten Rettungswege, wie sie bei Neubauten schon länger verpflichtend sind, nun bald eingerichtet sein. Im großen Schulhaus von Petershausen wird die Stadt um die Millioneninvestition ebenfalls nicht herumkommen, meint CDU-Stadtrat Daniel Groß: Lehne der Gemeinderat ab, stehe, falls etwas passiert, die Politik in der Haftung. Oder die Schule werde kurzerhand ganz zugemacht, und „eine geschlossene Schule ist noch viel teurer“.

Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn stellt sich unterdessen vor seine Ämter, deren Vorlage zum Thema Schulhaus Petershausen SPD-Rat Reichle als „extrem dünn, nicht nachvollziehbar“ kritisiert hatte. Die Länge der Fluchtwege, so Langensteiner-Schönborn, erforderte die zusätzlichen Treppen, von denen eine außen am Gebäude und die andere im Innern gebaut wird. Und er betont: Es werde kein Klassenraum geopfert – dem die Kritiker entgegnen, es gingen andere, für den Schulbetrieb ebenfalls wichtige, Räume verloren.

OB fordert: Solche Überraschungen wollen wir nicht mehr

Wie sehr sich der Gemeinderat, der aktuell jeden Euro eher drei- als zweimal umdrehen müsste, im Würgegriff des Brandschutzes sieht, zeigt dann das Abstimmungsergebnis. Auf 18 Ja-Stimmen zur Brandschutzsanierung für das Gebäude von Grundschule Petershausen und Gemeinschaftsschule Lotte Eckener kommen 17 Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen. Und das Thema ist damit nicht abgeräumt. OB Burchardt fordert, solche Überraschungen wolle man nicht mehr erleben, „vor allem, wenn sie solche Dimensionen haben.“

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