Genaugenommen war es nur ein kleiner Becher Joghurt, der die ganze Sache ins Rollen brachte. Katrin Zorn, Vorsitzende des Vereins Spektralkräfte, Netzwerk Autismus Konstanz, erzählt ihre ganz persönliche Geschichte, wie sie mit dem Thema Autismus in Berührung kam. „Wir haben drei Kinder, zwei davon haben autistische Züge. Das wissen wir jetzt, und dieses Wissen hatte uns als Familie Erleichterung verschafft. Zuerst einmal.“
Vorangegangen waren Jahre der Frustration und Unsicherheit, die viele Eltern durchleben, wenn ihr eigenes Kind nicht perfekt in ein vorgefertigtes Standardraster passt. Fast schon lakonisch berichtet sie von wochenlangen Wartezeiten bei diversen Ärzten oder sozialen Einrichtungen für Termine, um dort verschiedenste Untersuchungen hinter sich zu bringen.
„Man hat als Eltern ja so eine Vorstellung davon, wie es sein wird, wenn die Kinder größer und unabhängiger werden“, sagt Katrin Zorn ehrlich: „Nach der Diagnose Autismus mussten wir uns von diesen Bildern erst einmal verabschieden.“ Geblieben ist neben der Erleichterung um die Diagnose dann recht schnell auch ein Gefühl des Alleingelassenseins.

Doch Katrin Zorn beweist, dass ein einzelner ganz viel bewegen kann. Sie erzählt: „Tatsächlich habe ich oft und viel von einer bestimmten Joghurt-Sorte gekauft, denn ich wusste, dass diese von meinen Kindern gern gegessen wird. Ein Ausprobieren anderer Sorten ist für sie genauso schwierig, wie selbst in einen Supermarkt zum Einkaufen zu gehen.
Daraufhin wurde ich von einer Verkäuferin im Edeka, sagen wir mal recht deutlich, angesprochen und gefragt, warum ich denn immer nur nach bestimmten Joghurt-Sorten suche und dabei die Ordnung im Regal durcheinanderbrächte“, berichtet sie und lacht im Nachhinein darüber.
„Diese Begebenheit war der Anstoß für meine E-Mail an den Edeka Baur Markt“, die zufällig im Postfach von Geschäftsführerin Sabine Seibl landete, da diese zu dieser Zeit den Bereich Marketing vertrat: „Dieses Schreiben war höflich und freundlich formuliert“, erinnert sich Seibl. Sie habe zeitnah Kontakt mit Zorn aufgenommen. „Ich wollte einfach wissen, was es mit dieser Geschichte in Sachen Joghurt auf sich hat.“
Dieser Kontakt liegt nun weniger als ein halbes Jahr zurück. Schnell waren sich beide Frauen einig, dass mit der Einrichtung einer stillen Stunde im Edeka-Markt ein großer Schritt gemacht wäre in Richtung Bewusstsein schaffen für all die Menschen, die anders sind. Für Menschen, die irritiert sind, wenn es zum Beispiel zu laut oder zu hell in Einrichtungen ist. Für Menschen, denen es schwerfällt, sich inmitten von Menschenmengen zu bewegen.
„Nun gibt es ja keine fertige Bau- und Bedienungsanleitung für die Etablierung einer stille Stunde in einem Supermarkt“, sagt Seibl: „Deshalb haben wir im Geschäft alles selbst ausprobiert und sind damit auch noch nicht am Ende.“
So reicht es nicht, nur an verschiedenen Schaltschränken das Licht zu dimmen, auch die Musik läuft im Geschäft während der stillen Stunde nicht und das Auffüllen der Regale wird während dieser Zeit ausgesetzt. „Besonders schwierig war es am Anfang für die Kassenmitarbeiter, die an den Piepton gewöhnt waren als Signal, dass alles eingescannt ist. Dieser fällt nämlich auch weg“, so Seibl weiter: „Doch mittlerweile genießen auch viele Mitarbeiter die ruhigere Atmosphäre im Markt.“
Katrin Zorn selbst war beim Entwickeln dieser stillen Stunde mit involviert und genießt das auf diese Art viel entspanntere Einkaufen. „Alle Menschen reden viel leiser und sind irgendwie ausgebremst, was gut ist. Der Druck, den Eltern schon vor dem Einkaufen mit ihren besonderen Kindern verspüren, fällt weg.“ Damit spricht sie das Anderssein an, das von vielen Menschen aus ihrer Sicht noch zu wenig toleriert wird, nicht aus Bosheit, sondern aus Unwissenheit.
Seibl ergänzt: „Über Autismus wissen wir alle noch viel zu wenig. Mit dieser Aktion wird das Bewusstsein dafür geschärft und ehrlich, ich wurde angesprochen, ob sich der Umsatz im Markt verändert hat. Wir haben die Zahlen noch gar nicht überprüft, das soll bei dieser Aktion wirklich nicht im Mittelpunkt stehen.“ Apropos im Mittelpunkt stehen, das tun Menschen mit Autismus seit zwei Jahren in dem unter anderem von Katrin Zorn gegründeten Verein Spektralkräfte e.V. „Der Titel des Vereins fasst es passend zusammen“, so Zorn.
Die Initiativen
Tatsächlich ist der Name Spektralkräfte ein Verweis auf unsere bunte Welt, in der die vielfältigsten Menschen leben. Ein entspannteres Einkaufen während der stillen Stunde genießen aber sicherlich alle miteinander.