Not macht bekanntlich erfinderisch – in der Corona-Krise trifft dieses simple Sprichwort mehr denn je zu. Daniel Keim aus Konstanz ist einer dieser erfinderischen Menschen. Der Konstanzer ist Professor für Informatik an der Universität Konstanz. Er trägt einen roten Pulli, als er freundlich im Video-Interview grüßt. „Wie schön, dass es geklappt hat“, sagt er.
Kapazitäten in Krankenhäusern visualisieren
Er wirkt bescheiden. Dabei ist das, was er zusammen mit seinem Team entwickelt hat, ein wichtiges Instrument, um der Corona-Krise Herr zu werden. Gemeinsam haben sie über das Wochenende (mal eben so) eine Webseite programmiert, die den Krankenhäusern in ganz Deutschland im Kampf gegen das Virus helfen kann.

Was seine Seite mit dem Arbeitstitel Covis (Corona-Visualisierung) kann, macht er schnell deutlich, indem er seinen „Bildschirm teilt“. Mit einem Klick taucht eine Deutschlandkarte auf. Auf der Karte sind überall kleine Punkte zu sehen – immer im Dreierpack. Manche leuchten grün, orange und rot. „Mit dieser Karte können wir die aktuellen Kapazitäten aller derzeit im Divi-Register (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) gemeldeten 730 Krankenhäuser in Deutschland visualisieren“, sagt er.
Keine Verhältnisse wie in Italien
Man wolle damit vermeiden, dass einzelne Kliniken an ihre Belastungsgrenze stoßen, damit es nicht „zu ähnlichen Verhältnissen wie in Italien kommt“, erläutert Keim. Mit der Karte könnten Krankenhäuser schnell und unkompliziert alternative Behandlungsplätze für Covid-19-Patienten ausfindig machen. Das gibt es bundesweit in dieser Form bisher noch nicht. Aktuell steht die Webseite aber nur Krankenhäusern zu Verfügung, da man vermeiden möchte, dass Menschen Angst bekommen, dass ihr Krankenhaus sie nicht versorge könnte.

Juri Buchmüller, Doktorand und einer der etwa 15 Entwickler von Covis, hat sich in der Videokonferenz dazu geschaltet und ergreift das Wort. Er erklärt, wofür die einzelnen Punkte auf der Karte stehen. Aufgeteilt seien sie in Low Care Intensivstationen, High Care Intensivstationen (besonders sensible Intensivsationen) und ECMO (Behandlungsplatz speziell für Lungenkranke, die eine externe Sauerstoffanreicherung benötigen).
Ampelsystem zeigt Auslastung der Kliniken
Im Ampelsystem leuchten die jeweiligen Stationen grün, orange oder rot auf. Brennt zum Beispiel das Lichtchen für High Care im Klinikum in Singen grün, können dort noch Patienten aufgenommen werden. Bei Rot braucht es eine Alternative.

„Die Daten über die Auslastung bekommen wir vom Divi“, sagt Buchmüller. „Leider“, räumt er ein, „können wir aktuell nicht die exakte Bettenzahl aufführen, da diese Daten uns derzeit nicht zur Verfügung gestellt werden.“ Divi übermittle nur, wie es allgemein um die Auslastung der jeweiligen Einrichtung stehe.
Grafik zeigt Corona-Fallzahlen und Todesfälle der letzten 24 Stunden
Auch aktuelle Fallzahlen und Todesfälle aus jedem Landkreis, Bezirk oder Bundesland stellt die Karte grafisch da. „Diese Daten bekommen wir vom Robert-Koch-Institut (RKI)“, sagt Buchmüller. Die Karte zeige auch an, welche Klinik einen Hubschrauberlandeplatz habe.

Doch wie kam es zu dieser simplen, aber wirkungsvollen Idee? „Vor einer Woche ruft mich mein Kollege Professor Deussen an“, erzählt Keim. Oliver Deussen ist Professor für Medieninformatik an der Universität Konstanz. „Er hat mit dem Konstanzer Arzt Professor Dr. Kabitz gesprochen und gefragt, was ihm in der aktuellen Situation helfen könnte“, erzählt Keim.
Die Idee kam an einem Samstag
Hans-Joachim Kabitz, Pneumologe (Lungenarzt) und Chefarzt am Konstanzer Klinikum, habe daraufhin erklärt, eine Übersicht über Kapazitäten wäre hilfreich. Damit sei die Idee geboren worden. Dann ging alles ganz schnell. Keim informierte Samstagmittag sein Team. „Alle waren sofort an Bord“, sagt er.
Auch Juri Buchmüller ist augenblicklich Feuer und Flamme: „Wir haben sofort angefangen und die Nächte durch gearbeitet. Am Montag konnten wir bereits einen funktionierenden Link präsentieren“, erzählt er. Über die schnelle Entwicklung ist auch Professor Keim überrascht: „In der Konstellation haben wir noch nie gearbeitet. Wir haben alle Kräfte gebündelt.“
Visualisierung auch für andere Länder möglich
Und was ist der nächste Schritt? „Wir sind darauf vorbereitet, dass die Karte in jedem beliebigen Land einsetzbar wäre. Wir arbeiten gerade daran, die Seite ins Englische zu übertragen“, erzählt Buchmüller. Auch das RKI ist an der Webseite interessiert. „Das Institut hat eine andere Firma beauftragt, so eine Seite zu entwickeln. Aber die sind nicht so weit wie wir“, sagt Buchmüller.