Frau Brunner-Zillikens, hat die aktuelle Pandemie auch die Virologen-Fachwelt überrascht – oder rechnete man schon länger mit einer Krankheit wie Covid-19?
Bill Gates hat schon in den 90er-Jahren gewarnt, die Seuchen werden unsere neuen Kriege sein. In der Fachwelt haben wir schon lange mit so einer Pandemie gerechnet, wobei ich eher davon ausging, dass es eine richtig schlimme Influenzawelle sein wird. Bei Covid-19 liegt die Mortalität bei unter einem Prozent. Das ist vergleichsweise glimpflich, es hätte uns ein schlimmerer Virus treffen können.
Welche Rolle hat das Konstanzer Labor Brunner in der aktuellen Krise?
Wir testen täglich zwischen 500 und 1000 Patienten-Abstriche auf das Coronavirus. Unsere Ergebnisse melden wir dem Gesundheitsamt. Wir sind eines von drei Labors hier im Landkreis, die diese Tests durchführen. Die Proben sind nicht nur aus Konstanz, wir versorgen auch Villingen-Schwenningen, den Schwarzwald-Baar-Kreis und den Sigmaringer Raum. Die meisten wurden in den Abstrichzelten, die es jetzt überall gibt, genommen – in Konstanz am Informations- und Diagnostikzentrum, in Villingen am Messegelände. Bis vorletzte Woche haben wir auch noch aktiv Abstriche in unserem Labor gemacht. Aber mit der zunehmenden Rate an positiven Ergebnissen haben wir umgeschwenkt. Wir sind insgesamt 50 Mitarbeiter, davon drei Laborärzte, und es darf keiner von uns erkranken.
Arbeiten Sie am Limit?
Wir laufen alle am Limit, wir arbeiten sieben Tage die Woche, ja. Aber nicht in erster Linie, weil wir so viele Abstriche haben gerade. Sondern, weil wir ganz schlecht Nachschub kriegen von den Reagenzien-Lieferanten. Die Reagenzien sind chemische Stoffe, die wir für die Tests brauchen.
Woran liegt das?
Die Produktion kommt nicht nach, und die ganze Logistik bricht zusammen und ist überfordert. Wir alle kennen diese Bilder von Lkw-Staus vor den Grenzen. Und dazu kommt: Wir denken ja immer nur an Deutschland. Die Hersteller-Firmen bedienen nicht nur den deutschen Markt oder den europäischen Markt, sondern den Weltmarkt. Deshalb wird eingeteilt. Ich habe versucht, über die Schweiz an Reagenzien zu kommen. Doch man sagte mir, das bringe nichts, weil Deutschland, Österreich und die Schweiz in einem gemeinsamen Reagenzien-Kontingent landen. Wir warten täglich auf die Zuteilungen und wissen nie, wie viel wir erhalten.
Wo werden Reagenzien hergestellt?
Deutschland, USA, Italien. Deutschland ist kein Mikrokosmos mehr, wir sind ein stark vernetztes Gefüge in Europa. Zum Glück. Meistens zum Glück, momentan nicht. Vielleicht haben wir alle ein wenig spät reagiert und dachten: ‚Wuhan, aber warum soll der Virus zu uns nach Europa kommen?‘ Das ist der Preis für unsere Lebensweise. Ich sehe mich als Europäerin oder vielleicht sogar als Weltbürgerin. Ich habe in Ungarn studiert, in der Schweiz meine Facharztausbildung gemacht. Wir alle reisen, schon mittelständische Unternehmen lassen in China produzieren.
Wenn Sie die Ergebnisse in Ihrem Labor betrachten – welches Gefühl haben Sie, wie groß ist die Gefahr durch das Coronavirus?
Das ist ganz schwierig zu sagen. Wenn ich Todkranke untersuche, ist es kein Wunder, wenn ich bei einer hohen Letalität lande. In Italien ist die Letalität hoch: Es kann sein, dass dort nur die wirklich Schwerkranken getestet werden. Wir testen hier in Deutschland viel mehr, unsere Letalitätsrate liegt momentan bei 0,4 Prozent. Das hat viele Gründe, aber unter anderem auch, wie viele Tests ich durchführe und ob ich auch den nur leicht symptomatischen Patienten teste.
Aber das wissen Sie im Labor ja nicht, ob der Abstrich von einem leicht Symptomatischen oder einem Todkranken kommt.
Genau. Die vom Robert-Koch-Institut sehr klar definierten Abstrichkriterien werden unterschiedlich ausgelegt. Es gibt wirklich Abstrichserien von Krankenhäusern, bei denen 80 Prozent der Covid-19-Tests positiv sind. Und du denkst: ‚80 Prozent positiv, oh nein, jetzt ist es soweit‘. Dann wiederum erhalte ich Serien von Abstrichen, wo sich ganze Kliniken abgestrichen haben. Aus Panik heraus, ohne dass sie irgendwelche Symptome hatten. Das verfälscht mir meine Statistik. Außerdem sind die Tests gar nicht geeignet für Menschen ohne Symptome.
Warum wurden sie trotzdem gemacht?
Es gab anfangs diese Vorstellung unter Arbeitgebern: ‚Oh, super, ich streich meinen ganzen Betrieb oder meine ganze Klinik ab, und alle, die negativ sind, dürfen weiter arbeiten.‘ Nur: Wer an einem Tag keine Symptome hat, auf den der Test also nicht reagiert, der kann am nächsten Tag schon positiv sein. Manchmal kommen die Abstriche mit Begleit-Zetteln, auf denen Symptome notiert sind. Oder Orte. Beispiel „Ischgl“. Wenn so ein Abstrich aus Ischgl kam, mit Symptomen, da wussten wir schon zu 90 Prozent: Der ist positiv.
Gibt es Abstriche, die Sie abweisen würden?
Ja. Gerade unter dem Label „Kontakt zu Covid-19-Patient“ werden oft aus der Panik heraus Abstriche gemacht. Obwohl es nur der Kontakt zum Kontakt war. Was bedeutet: Im Kindergarten ist einer, dessen Bruder Corona hat, und jetzt denken Eltern, vielleicht ist das Kindergartenkind auch positiv und jetzt muss ich meinen Sohn testen. Und das ist der Kontakt vom Kontakt. Aber auf dem Abstrich steht nicht Kontakt vom Kontakt. Solche Kontakte von Kontakten sind fast immer negativ, und sowas verschönbessert mir meine Statistiken, weil das kein ehrlich indizierter Abstrich war. Es gibt klare Indikationen für „Kontakt zu Covid-Patient“.
Nämlich?
Dass man mindestens 15 Minuten intensiven Kontakt gehabt haben muss, etwa bei einem Abendessen. Klar, wenn man angehustet wird, dann reicht auch ein kurzer Kontakt. Aber: Einer, der im Nachbarzimmer meiner Kita ist, und ansonsten sehe ich den eigentlich nie, das reicht nicht aus.
Wie schützen Sie sich vor Ansteckung, und was raten Sie Anderen?
Man muss mit Hirn und Verstand agieren. Gerade geht eine Wahnsinnshysterie um. Manche Leute laufen nur noch mit Handschuhen herum. Ich halte das für ziemlich schwachsinnig. Diese Handschuhe müsste man ständig wechseln, jedesmal, wenn man irgendetwas angefasst hat. Da bringt es viel mehr, sich öfters die Hände zu waschen. So handhabe ich das.
Geht von Touchpads am Bankautomat oder bei der Pin-Eingabe an der Supermarktkasse eine Ansteckungsgefahr aus?
Ja, natürlich. Ich rate dazu, mit mehr Bewusstsein durch die Welt zu gehen. So viele Kontaktmöglichkeiten haben wir derzeit gar nicht. Wenn ich im Supermarkt war oder beim Arzt, wasche ich mir sofort, nachdem ich zu Hause bin, die Hände. Ich versuche, nicht so oft mit den Händen durchs Gesicht zu streichen. Meine Hände sind der Hauptübertragungsweg, und deshalb muss ich diese Hände schützen. Und wenn irgendwo ein Türöffner ist oder eine Türklinke, nehme ich den Ellenbogen, das habe ich mir jetzt auch angewöhnt. Weil sonst müsste man ständig Desinfektionsmittel in der Hand haben, und das ist unpraktikabel und nicht gut für die Haut. Ohnehin sind die meisten Gels gar nicht viruzid.
Viele Gastronomen bietet Lieferservice und Mitnahmeangebote. Kann man diese gefahrlos wahrnehmen?
Ja, das ist die Möglichkeit, wie wir Gastronomen jetzt helfen können. Die Mitnahmeangebote sind unproblematisch, wenn alle genug Abstand halten. Bei uns gibt es jetzt einmal die Woche im Labor Pizza vom Lieferservice, auch für die Stimmung. Ich glaube, wenn wir vernünftig sind und uns für diese kurzen Momente des Kontaktes an gewisse Grundregeln halten, verkrampfen wir nicht so. Für mich ist echt wichtig, dass keine Panik aufkommt, weil ich glaube, dass man in einer Panik mehr Fehler macht.
Macht Ihnen die aktuelle Situation Angst?
Angst nicht. Es ist ein Einschnitt. Nach Corona wird eine neue Ära beginnen, in vielerlei Hinsicht. Ich habe Angst, dass die Wirtschaft sich so schnell nicht wieder erholt. Und ich habe Angst, dass Akutpatienten nicht mehr so gut versorgt werden können. Andere Akutpatienten, die Krebs haben oder Zucker oder Probleme mit der Schilddrüse. Auch die benötigen teilweise Desinfektionsmittel und Masken. Die Versorgung ist schon an der Grenze, und wenn ich von Apothekern höre, dass es Lieferengpässe bei gewissen Medikamenten gibt, weil diese gehortet werden, dann macht mir das Angst.