Es ist nicht weniger als eine Zeitenwende, die sich derzeit im Grünen Baum in Moos vollzieht. Hubert Neidhart, seit 1980 in der fünften Generation Chef des Grünen Baum in Moos, zieht sich langsam zurück und übergibt Stück für Stück seiner Tochter Elena Bianchi das Lebenswerk der Familie.
„Für uns ist das ein Glücksfall“, sagt Hubert Neidhart. „Es ist heute ja leider nicht mehr selbstverständlich, dass der eigene Nachwuchs das Haus weiterführt. Solche familienbetriebenen Dorfgasthäuser sterben ja immer mehr aus.“
Hubert Neidhart hauchte dem Haus neues Leben ein
Als der 68-Jährige die Wirtschaft von seinem Vater Gottfried übernahm, ließ er kaum einen Stein auf dem anderen. Lediglich das alte Aquarium des Vaters zwischen altem Gastraum und Nebenzimmer ließ er stehen – ansonsten hauchte er dem Haus mit einem offeneren Konzept, größeren Fenstern sowie einer Terrasse neues Leben ein. Außerdem revolutionierte er die Speisekarte: mehr Fisch, mehr Gemüse, beides mit Konzentration auf die Region. Es war eine Abkehr von der Hähnchengastronomie des Vaters.
„Es gab Kalbshaxen und Hähnchen, dazu kam ein Fass Bier auf dem Tisch“, blickt Hubert Neidhart schmunzelnd zurück. „Die Änderungen taten meinem Vater weh, aber die waren notwendig. Seine Freunde sagten, dass das nie funktionieren würde. Tat es aber.“ Der weit über die Region bekannte und engagierte Gastronom muss herzhaft lachen während dieser Worte.
Denn er weiß: Es wird nun auch Änderungen geben, die seine Tochter anstoßen wird – und die ihm womöglich ebenfalls weh tun. „Noch ist aber nichts spruchreif“, sagt Elena Bianchi dazu, „aber ich werde Dinge ändern, klar. Die Gäste werden davon nicht viel mitbekommen.“ Und eines liegt ihr besonders am Herzen: „Ich möchte, dass mein Vater zufrieden ist und keine Bauchschmerzen bekommt.“
Die Büroarbeit nimmt massiv zu
Der Wandel im Grünen Baum ist mehr als nur ein Wechsel der entscheidenden und führenden Person. Er ist auch eine Kurs-Änderung, die Ende des Jahres 2022 eingeleitet wurde und die bis zum kommenden Frühjahr vollendet sein soll. „Heute stehst du als Geschäftsführer nur noch zu 20 Prozent im Restaurant, der Rest ist Büroarbeit: Hygieneschulungen, Wirtschaftspläne, Arbeitssicherheit, Video-Konferenzen, neue Verordnungen und vieles mehr“, erklärt Elena Bianchi. „Als mein Vater angefangen hat, waren es vielleicht zehn Prozent Büroarbeit. Den Rest konnte er im Restaurant verbringen.“
Wobei Hubert Neidhart noch ein Gastgeber der alten Schule war, sprich Chefkoch, Restaurantleiter und Geschäftsführer in Personalunion. Das Thema Kochen fällt bei der Tochter weg. Für beide zählt jedoch der unerschütterliche Grundsatz: Der Kunde ist König. „Wir vermitteln unseren Gästen Freude, Glück und ein besonderes Lebensgefühl“, sagen sie unisono.
Buch zum 150-Jährigen
Der Journalist Erich Schütz hat das 150-jährige Bestehen des Grünen Baumes zum Anlass genommen und ein Buch verfasst. Über 219 Seiten beschreibt er die bewegte Geschichte des Hauses und hat dabei einige kuriose Anekdoten recherchiert. So war der Grüne Baum Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur ein Dorfgasthaus, sondern auch die lokale Post im Netz der Deutschen Reichspost, Standort zum Austauschen der Pferde der Postkutschenlinie sowie des einzigen Telefons weit und breit und, ja auch das, Auszahlungsstelle der Renten an die Mooser Rentner.

Franz Baum, Sohn des Gründers Johann Georg Baum und auch Mooser Bürgermeister, hatte auf seiner Speisekarte noch Belchenpfeffer oder Schwan. Doch erst in der dritten Generation wurde der Grüne Baum zu einem reinen Restaurant: Wendelin Maier, Ehemann von Franz Baums Tochter Sophie und lange Zeit ein Weltenbummler, wird 1920 zum Chef des Hauses und offenbart auf dem Menü seine Liebe zur französischen Küche – ohne dabei die Mooser Bevölkerung aus den Augen zu verlieren.
Einheimische Bauern neben der gehobenen Gesellschaft
„Selbst beste Stammgäste aus dem feinen Deutschen Haus aus Konstanz kommen jetzt zu Wendelin Maier auf die Höri gefahren. Sein Grüner Baum zählt nun zu den feinsten Restaurants am Bodensee. Der Gastraum scheint manchmal zweigeteilt. Am alten Eichenholztisch sitzen die einheimischen Bauern am Sonntagmorgen zum Frühschoppen neben dem Kachelofen an ihrem Stammplatz.
Gleichzeitig werden zum Mittagstisch die Tische entlang der hellen Fenster mit weißen Leinentüchern und noblem Porzellangeschirr eingedeckt. Ein Sonntags-Menü bei Wendelin Maier verspricht das Flair der weiten Gourmetwelt. Heute würde man sagen: Fine Dining“, schreibt Erich Schütz in seinem Buch.
Wendelin Maiers Sohn, den der Patron gerne als Wirt gesehen hätte, kam nicht aus dem Krieg zurück. Doch seine Tochter Rosel heiratet den Radolfzeller Konditor Gottfried Neidhart – der vierte Wirt war geboren. Der Grüne Baum wird immer mehr zu einem beliebten Ausflugsziel mit Tanzveranstaltungen und Familienfesten.
Der Grüne Baum lebt weiter
Hähnchen und Kalbsschnitzel mit Pommes aus Höri-Kartoffeln sind damals der Renner im Grünen Baum. Wendelin Maier wird vor dem Haus, als er gerade die Post zum Postbus bringen wollte, von einem Motorrad überfahren und stirbt.
Rosel und Gottfried bekommen fünf Kinder – zwei Söhne und drei Töchter. Hubert übernimmt 1980 den Grünen Baum, Klaus das Haus Gottfried gegenüber, das Gottfried Neidhart 1970 als Hotel und Restaurant baute. Klaus ist seit wenigen Jahren im Ruhestand, er hat das Haus Gottfried verkauft. Hubert möchte ebenfalls Stück für Stück in einen ruhigeren Lebensabend eintauchen.
Nun also übernimmt Elena Bianchi. Und mit ihr folgt die nächste Zeitenwende. Die wichtigste Nachricht: Der Grüne Baum in Moos lebt weiter.