Nach der Unwetternacht gleicht der Großteil von Mühlhausen – vor allem in und unterhalb der Schloßstraße – einem Schlachtfeld. Noch immer sind Schlammspuren und vereinzelte Sandsäcke zu sehen. Sie sind stille Zeugen, was in der Nacht auf Freitag im Ortsteil von Mühlhausen-Ehingen passiert ist: Starke Regengüsse haben Mühlhausen überflutet. Wassermassen stürzten den Hang an der Grundschule und beim ehemaligen Restaurant Löwen hinab, aus den Gullideckeln schossen große Wasserfontänen.

Das Wasser ist nicht aufzuhalten Video: Sandra Keller

Auch am Tag nach der Katastrophe ist der Schrecken in der Hegau-Gemeinde noch allgegenwärtig. Vereinzelt stehen Menschen vor ihren Häusern und bergen ihr Gesicht in den Händen. Sie waren die ganze Nacht auf den Beinen und versuchten Zusammen mit einem Großaufgebot von allen Feuerwehren aus dem Landkreis Konstanz, dem Deutschen Roten Kreuz, der DLRG und dem THW den Schäden Herr zu werden. Überall im Ort hört man die knatternden Geräusche der Wasserpumpen, die ebenso wie ihre Bediener seit Stunden im Dauereinsatz sind.

Wassermassen schießen aus dem Gulli. Im Hintergrund sind Feuerwehrleute und freiwillige Helfer zu sehen. Sie versuchen zu retten, was ...
Wassermassen schießen aus dem Gulli. Im Hintergrund sind Feuerwehrleute und freiwillige Helfer zu sehen. Sie versuchen zu retten, was noch zu retten ist. | Bild: Matthias Güntert

Noch am Unglücksabend war auch Bürgermeister Patrick Stärk vor Ort und er schildert zum Teil schreckliche Bilder. „Die Einsatzkräfte der Feuerwehr versuchen, Mühlhausen zu retten“, so dramatisch schilderte er die Lage. Den Ortsteil habe es ganz schlimm getroffen. So schlimm, dass man sich dazu entschied, Mühlhausen bis in den frühen Morgen hinein komplett abzuriegeln. „Wir konnten diese Wassermassen einfach nicht mehr wegbringen“, schildert Oliver Drescher, Feuerwehrkommandant von Mühlhausen-Ehingen.

Wassermassen in der Schloßstraße Video: Sandra Keller

Wie groß die Katastrophe wirklich ist, macht ein Umstand deutlich: Gegen 24 Uhr schlug die Nina-Warn-App an und warnte dringend davor, Mühlhausen zu befahren. Nina ist eine vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zur Verfügung gestellte App für Smartphones, die dazu dient, der Bevölkerung wichtige beziehungsweise dringende Warnmeldungen zukommen zu lassen.

Das Aufräumen hat begonnen

Freitag, 7 Uhr morgens, das Handy von Bürgermeister Patrick Stärk läutet im Minutentakt. Man sieht ihm die Schrecken der Nacht noch deutlich an. Stärk spricht von einem wahrscheinlichen Millionenhohen Schaden, der durch die Wassermassen entstanden sei. Wie hoch dieser allerdings ausfalle, stehe derzeit noch nicht fest. Was aber jetzt schon deutlich ist: Er wird immens sein. „Es wird ein sehr, sehr hoher Schaden entstehen“, ist sich Stärk sicher.

Im ständigen Austausch und wie alle Einsatzkräfte im Dauereinsatz: Bürgermeister Patrick Stärk (links) und Feuerwehrkommandant Oliver ...
Im ständigen Austausch und wie alle Einsatzkräfte im Dauereinsatz: Bürgermeister Patrick Stärk (links) und Feuerwehrkommandant Oliver Drescher bei der Lagebesprechung. | Bild: Matthias Güntert

Vielen Anwohner sei der Schrecken ins Gesicht geschrieben gewesen und sie hätten versucht, ihr Hab und Gut vor dem Wasser in Sicherheit zu bringen. „Das ist leider alles Realität. Unser Mitgefühl gilt schon jetzt denen, die viel verloren haben“, betont Stärk. Er sei aber auch froh, dass kein Bürger zu Schaden gekommen sei. Der Bürgermeister lobt das schnelle Eingreifen der Rettungskräfte. Sie hätten Schlimmeres verhindert. „Was diese Menschen seit Stunden leisten, ist mit Worten nicht aufzuwiegen“, betont er.

Die reißenden Wassermassen haben auch jede Menge Schutt und Steine vom Hang mitgerissen. Diese liegen nun überall in der Schloßstraße.
Die reißenden Wassermassen haben auch jede Menge Schutt und Steine vom Hang mitgerissen. Diese liegen nun überall in der Schloßstraße. | Bild: Matthias Güntert

Vor allem der Einsatz der Führungsgruppe der Engener Feuerwehr, die kurz nach 19 Uhr die Organisation des Einsatzes übernahm, sei Gold wert gewesen. Feuerwehrkommandant Oliver Drescher spricht davon, dass alle Feuerwehren südlich des Bodensees bis 4.30 Uhr im Einsatz waren. Dann seien sie von den Kollegen nördlich des Bodensees abgelöst worden. Zu Spitzenzeiten seien 250 Feuerwehrleute und 30 Fahrzeuge im Einsatz gewesen. 125 Notrufe wurden von Bürgern abgesetzt. „Bis heute Morgen ging es eigentlich nur darum, dass Wasser aus Mühlhausen zu bekommen“, so Bürgermeister Stärk.

Die Kanalisation ist am Anschlag.
Die Kanalisation ist am Anschlag. | Bild: Matthias Güntert

Besonders groß sind die Schäden in der Schloßstraße und Richtung altem Sportplatz etwa in der Bahnhofstraße oder der Weidenstraße. Diana Meyer wohnt in der Schloßstraße. Sie ist nach der Unwetternacht geschockt, wie sie im Gespräch mit dem SÜDKURIER berichtet: „Plötzlich sind reißende Bäche vom Hang in das Dorf gestürzt.“

Nichts geht mehr in Mühlhausen Video: Marilena Verruccio Silano

Das Wasser sei zum Teil einen halben Meter hoch gestanden. „Die Feuerwehr konnte nichts anderes tun, als den Schaden so gering wie möglich zu halten. Gegen diese Wassermassen hilft kein Sandsack mehr“, sagt die Mühlhausenerin weiter.

Schwere Überschwemmungen beschäftigten die Rettungskräfte in Mühlhausen. Die Aufräumarbeiten dauerten etliche Tage und Wochen.
Schwere Überschwemmungen beschäftigten die Rettungskräfte in Mühlhausen. Die Aufräumarbeiten dauerten etliche Tage und Wochen. | Bild: Matthias Güntert

Auch Michael Krause wohnt in Mühlhausen. Er berichtet davon, dass in der Unwetternacht Nachbarhäuser sprichwörtlich „abgesoffen seien“. Sein Mitgefühl gelte den Menschen, die durch die Katastrophe vieles verloren haben. „Und davon gibt es wohl leider nicht wenige“, sagt er.

Sandsäcke in ganz Mühlhausen sind die stillen Zeugen der Unwetternacht.
Sandsäcke in ganz Mühlhausen sind die stillen Zeugen der Unwetternacht. | Bild: Matthias Güntert

Wie geht es nun weiter?

Bürgermeister Patrick Stärk verspricht schon jetzt, dass die Gemeinde helfen werde, wo sie könne. Aktuell werden Sperrmüllcontainer an verschiedenen Orten aufgestellt, in denen die Menschen ihre beschädigten Möbel entsorgen können. Bereits am Freitagnachmittag werde ein Gutachter die Schäden untersuchen. Das Ergebnis daraus werde allerdings noch auf sich warten lassen. „Wir brauchen jetzt einen Plan, wie es weitergehen soll“, so Stärk. Bis dahin gelte es, das noch im Ort stehende Wasser zu beseitigen und die Schuttteile zu entsorgen. Aber die gute Nachricht sei: „Mühlhausen steht nicht mehr unter Wasser.“

So sieht die Lage nach dem Unwetter in anderen Hegau-Gemeinden aus

  • Hilzingenkam bei diesem Unwetter mit einem blauen Auge davon, wie Bürgermeister Holger Mayer am Freitag berichtet. In der Nacht zum Donnerstag musste die L 190 zwischen Hilzingen und Duchtlingen gesperrt werden, außerdem gab es bis 23.30 Uhr zwölf Einsätze. „Wir waren die ganze Nacht im Einsatz“, so Mayer. Es gebe einige Problemstellen und Keller, die vollgelaufen sind. Anders als vor einer Woche sei dieses Mal besonders der Ortskern betroffen gewesen. Hochwasser-Alarmsysteme hätten zwar funktioniert, wie er am Beispiel des Spielplatzes am Steppach schildert: Wenn der Pegel des Gewässers über 40 Zentimeter hoch sei, würde der Bauhof alarmiert und der Spielplatz geschlossen. Das habe reibungslos geklappt. Dabei lobt er auch das Engagement der Einsatzkräfte: „Es ist toll, dass jeder sich berufen fühlt und hilft“, sagt er auch mit Blick auf den Mühlebach, wo Treibholz entfernt werden musste. Das habe ein Feuerwehrmann kurzerhand in die Hand genommen. Dennoch ist sein Eindruck: „Ich habe das Gefühl, man ist ein stückweit machtlos“, schildert der Bürgermeister, denn die Unwetter würden immer heftiger und häufiger. Am Freitag standen dann Aufräumarbeiten an – und Überlandhilfe für die Nachbarn in Mühlhausen, die es wesentlich schlimmer getroffen habe.
  • In Singen seien die Schäden überschaubar, sagt Feuerwehrkommandant Mario Dutzi. Das Unwetter habe aber auch dort zugeschlagen: Etwa in Beuren. Dort stand das Umspannwerk unter Wasser. „Wir waren zehn Zentimeter vor dem Supergau. Wäre noch mehr Wasser gekommen, wäre der halbe Hegau ohne Strom dagestanden“, so Dutzi. Alle Abteilungen seien im Einsatz gewesen.