An einem Tisch mit den Schauspielerinnen Maggie Gyllenhaal und Jessica Chastain, im gleichen Restaurant wie die Stars Will Smith oder Penelope Cruz – Maria Brendle aus Mühlhausen sucht nicht bloß die Nähe zu Oscar-Anwärtern, sondern ist eine von ihnen. Die Regisseurin darf auf den höchsten Preis der Filmbranche hoffen für ihren Kurzfilm „Ala Kachuu – Take and Run“. Seit Monatsbeginn ist die 38-Jährige in Los Angeles, um sich auf die Verleihung am 27. März vorzubereiten. Viel Zeit, um Sonne und Strand zu genießen, hat sie dabei nicht, denn der Terminkalender sei prall gefüllt.
Einer der ersten Programmpunkte nach dem Ankommen war ein Mittagessen aller Oscar-Nominierten. „Viele sagen, dass das die schönere Veranstaltung ist, weil alle noch entspannt sind“, erzählt die Regisseurin im Video-Interview. Noch halte sich die Aufregung in Grenzen. Noch. Denn bis zur Verleihung des sogenannten Goldjungen sind es nur noch wenige Tage.
Will Smith oder Javier Bardem sind Kollegen
Früher hatte ihr vier Jahre älterer Bruder die Herrschaft über die Fernbedienung, erinnert sich Maria Brendle lachend. Deshalb sei sie mit der Serie „Der Prinz von Bel Air“ aufgewachsen, in der Will Smith die Hauptrolle spielte. Nun saß der Star am Nebentisch, als Maria Brendle zum Oscar-Lunch eingeladen war. „Er ist tatsächlich so nett, wie man ihn vom Fernsehen kennt“, berichtet sie lachend. Noch könne sie die ganzen Begegnungen in Kalifornien kaum fassen. „Es hat etwas sehr Nettes, Kollegiales“, sagt Brendle über das Mittagessen mit bis zu 500 Nominierten der verschiedensten Kategorien. Dort sitzen „Beste Hauptdarsteller“ wie Will Smith oder Javier Bardem neben Machern des möglicherweise besten Kurzfilms wie Maria Brendle und ihrer Produzentin Nadine Lüchinger.

Beklatscht und gefeiert werde jeder, wie die 38-Jährige berichtet. Daran müsse sie sich aber erst gewöhnen: „Ich bin ja hinter der Kamera normalerweise.“ Während die Stars seit vielen Jahren bei solchen Veranstaltungen sind, ist es für Maria Brendle eine Premiere – und etwas ganz Besonderes, wie sie sagt.

Die Tage bis zur Oscar-Verleihung seien ziemlich durchgetaktet. Einige Termine im Kalender sind Filmvorführungen, nach denen Maria Brendle den Zuschauern Rede und Antwort steht. „Das ist natürlich toll, denn bisher war der Austausch mit dem Publikum schwer“, sagt die Oscar-Nominierte. Ihr Film „Ala Kachuu – Take and Run“ startete unter Pandemie-Bedingungen und wurde zwar bei zahlreichen Festivals ausgezeichnet, doch Brendle konnte nur selten vor Ort sein.
Das ist auch bei den kommenden Vorführungen in ihrer neuen und alten Heimat so: Wenn der 39-minütige Kurzfilm am Donnerstag, 24. März, im Singener Cineplex gezeigt wird, soll Maria Brendle zugeschaltet werden. „Ich war dort früher selbst im Kino und habe immer gesagt, da läuft irgendwann mein Film, wenn ich groß bin“, sagt die Regisseurin aus Mühlhausen. Auch in der Schweiz, wo Brendle seit Jahren wohnt und die Produktionsfirma Filmgerberei sitzt, werde der Film inzwischen in Kinos gezeigt.

Mit Müsliriegel zu den Oscars, denn es wird ein langer Tag
Für die Oscar-Verleihung selbst hat Maria Brendle schon einen Müsliriegel parat, denn der Tag wird voraussichtlich sehr lang werden: Erst Haare und Make-up, dann eine langwierige Anreise. „Man muss mit dem Auto hin und wird lange im Stau stehen, auch weil alles abgesperrt ist.“ Am Dolby Theatre müsse man Zeit für die Corona-Kontrollen einplanen, denn die Auflagen seien streng: Auch geimpfte Gäste müssen zwei negative PCR-Tests vorweisen. Die Aussicht, auf dem roten Teppich zu laufen, nimmt die Regisseurin offenbar gelassen „Ich bin ja keine Schauspielerin, von mir wird kein Divenauftritt erwartet.“
Feiern mit dem ganzen Team in der Botschaft
Die Freude sei riesig, diesen Tag mit vielen Teammitgliedern erleben zu können. „Wir haben super viele Tickets ergattert“, sagt Brendle. Deshalb könne zum Beispiel auch der Freund dabei sein, der ihr einst von der grausamen Tradition des Brautraubs erzählte und damit den Anstoß für ihr Filmprojekt gab. Auch die Hauptdarstellerin soll kommen, nachdem das Team lange um ihr Visum gekämpft habe. „Viele träumen davon, einmal im Leben bei den Oscars zu sein, und jetzt können wir es vielen ermöglichen“, sagt Maria Brendle erfreut. Gefeiert werden soll anschließend in der Schweizer Botschaft – auch das sei eine besondere Premiere.
Ist die Regisseurin aufgeregt? Geht so
Noch halte sich ihre Aufregung in Grenzen, erzählt die Nominierte weiter, doch sie habe auch wenig Zeit, über die Tragweite der Oscar-Verleihung nachzudenken. Wenn sie aufgeregt sei, dann eher zweckmäßig, wie sie lachend erklärt: Wird sie ins Kleid passen? Und auf den hohen Schuhen laufen können? Eine Dankesrede habe sie noch nicht vorbereitet, doch das habe sie noch vor. Ob sie dann ihren Eltern im Hegau danken wird? Die werden die Übertragung auf jeden Fall ansehen und dafür mitten in der Nacht aufstehen, sagt Brendle.
Dass sie wirklich den Oscar gewinnen könnte, sei aber noch ziemlich surreal: „Natürlich wäre das Gewinnen gigantisch, aber der Preis ist so unkalkulierbar. Und allein die Nominierung hat mich in eine komplett andere Welt katapultiert.“ Deshalb wolle sie auch nicht enttäuscht sein, falls es nicht klappen sollte. Das wäre undankbar, findet sie.
Wie es danach weitergehen soll
Nach dem entscheidenden Tag am 27. März will Maria Brendle erstmal durchatmen – sollte das im Fall eines Gewinns möglich sein. „Ich will dann noch ein paar Tage in Los Angeles bleiben, wenn der Druck weg ist“, erzählt sie. Dann habe sie vielleicht etwas Zeit, um Sonne und Strand zu genießen – ob mit oder ohne Goldjungen im Gepäck.
Die Oscars werden in der Nacht von Sonntag, 27., auf Montag, 28. März, verliehen. Wegen der Zeitverschiebung beginnt die Veranstaltung hierzulande um 2 Uhr nachts.
Der Film wird bald in Singen gezeigt
- Der Kurzfilm „Ala Kachuu – Take and run“ handelt von der 19-jährigen Sezim, die in der kirgisischen Hauptstadt studieren möchte. Nachdem sie von einer Gruppe junger Männer ins Hinterland verschleppt wird, muss sie einen Fremden heiraten – denn wenn sie die Ehe verweigert, drohen ihr Stigmatisierung und Ausgrenzung. Während des 39-minütigen Films sehen die Zuschauer ihre Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und den Zwängen kirgisischer Tradition. Im Februar 2022 wurde klar, dass „Ala Kachuu – Take and Run“ für den Oscar nominiert ist. Zuvor lief er bei zahlreichen Filmfestivals auf der ganzen Welt, bei 69 Festivals erreichte das Werk 45 Preise.
- Die erste und einzige Vorstellung in Singen ist am Donnerstag, 24. März, im Cineplex in Singen geplant. Nach dem Sektempfang ab 19.30 Uhr wird Singens Bürgermeisterin Ute Seifried begrüßen, wie Theaterleiterin Diane Hegyi ankündigt. Nach dem Kurzfilm ist eine Live-Schaltung nach Los Angeles geplant für einen Austausch mit Regisseurin Maria Brendle. Der Film wird auf kirgisisch mit deutschen Untertiteln gezeigt.
- Die Regisseurin Maria Brendle wurde in Singen geboren und ist in Mühlhausen aufgewachsen. Nach dem Abitur ist sie für ihr Filmstudium nach Zürich gezogen und geblieben. Schon ihr erster Film „Blinder Passagier“ war ein Erfolg mit zahlreichen Preisen auch bei Oscar-qualifizierenden Festivals.