Fitzi, das war sein Spitzname. Ralf Nüsse (78), Stadtbaudirektor im Ruhestand, zuckt in seinem Heim auf der Mettnau die Achseln und lächelt bei der Erinnerung: "Wie man Fitzi schreibt, mit zwei z oder tz oder hinten mit ie – ich weiß es nicht. Aber Fitzi, so haben ihn alle genannt." Dieser Fritz "Fitzi" Riester hat Ralf Nüsse 1973 aus der Rechts- und Fachaufsicht in Freiburg losgeeist und nach Radolfzell gelockt. "Er hat mich gefragt: Wollen Sie ewig beim Regierungspräsidium bleiben?" Genau das wollte der Architekt und Stadtplaner Nüsse nicht: "Ich wollte wieder planen." Das sei Fritz Riesters herausragende Eigenschaft gewesen, die Kompetenz der anderen auszuschöpfen, sagt Nüsse: "Er hat die Fähigkeiten in den Menschen erkannt, sie gefördert und dann auch machen lassen." Mit Riester habe er die planerische Idee für Radolfzell geteilt, möglichst vieles so klein lassen, wie es war: "Wir wollten nicht sein wie Singen, das war das abschreckende Beispiel."
Eine Grenze habe Riester als Bürgermeister gegenüber seinen Mitarbeitern im Rathaus gezogen: "Die Politik mache ich." Doch diese Politik wollte Riester gut vorbereitet wissen. Er meidete Kampfabstimmungen im Gemeinderat und drehte lieber eine Runde mehr. Zu diesen inoffiziellen Vorbereitungsrunden zitierte Riester seine Gesprächspartner ins Gasthaus Seerose, es kamen Stadträte und seine vertrauten Berater aus dem Rathaus, das waren aus der Bauverwaltung Helmut Gräble und Ralf Nüsse. Die Beratung in der Seerose konnte sich in die Länge ziehen. Was aber den Arbeitseifer und das Pflichtbewusstsein von Fritz Riester keineswegs einschränkte. "Am nächsten Morgen saß er mit einer großen Zigarre in seinem Büro und frotzelte: So Jungs, könnt ihr wieder auf sein?", erinnert sich Nüsse an den morgendlichen Dienstantritt.
Diese Eindrücke bestätigt Walter Hiller (73). Er ist im Oktober 1972 in den Gemeinderat für Heiner Wick nachgerückt, damals als Stadtrat der SPD. "In der Seerose ist Politik gemacht worden, nach der offiziellen Sitzung gingen 18 Stadträte gemeinsam in die Wirtschaft." Dort seien die Themen heiß diskutiert worden. "Fritz Riester hatte die Begabung, sich sehr ernst mit diesen unterschiedlichen Meinungen auseinanderszusetzen und dann doch den Kompromiss zu finden", beschreibt Hiller die Persönlichkeit des Bürgermeisters Fritz Riester. "Er hat die Leute ernst genommen", sagt Hiller.
Als Strahlemann habe er Riester nie gesehen, immer als Sachwalter der Stadt Radolfzell: "Ihm ging es um die Sache, nicht um die Person", sagt Walter Hiller. Dennoch musste Riester auch als Person überzeugt haben – bei seiner Wahl zum Bürgermeister 1968. Er bekam 53,7 Prozent der Stimmen, sein Gegenkandidat Werner Dierks kam auf 46,3 Prozent. Riester war Regierungsrat im Regierungspräsidium Tübingen, Dierks Baubürgermeister in Konstanz. Riester war in Radolfzell geboren und aufgewachsen, Dierks war mit seiner Familie nach Radolfzell gezogen. Für Walter Hiller war damals klar, wen er wählte: "Fritz Riester." Denn sie kannten sich aus gemeinsamen Kinder- und Jugendtagen in der Martinstraße. "Fritz spielte Fußball, ich Handball."
Diese Radolfzeller Erdung brachte Riester im Wahlkampf viele Bonuspunkte ein, der Freundeskreis traf sich im Ruppaner und Vater Kurt Hiller nahm seinen Sohn Walter zu diesen Versammlungen mit. Riester sei damals ein "rhetorisch ungeübter Mensch" gewesen, das habe sich erst mit den Jahren entwickelt. Riester habe zwar keine kommunalpolitische Erfahrung besessen, "aber er war ein Radolfzeller". Das habe ihm ein Gespür für die Behandlung wichtiger Themen gegeben.
Zu diesen wichtigen Themen gehörte die Kur. Wilhelm Graf (91), damals in der Finanzverwaltung tätig, hat den Wahlkampf zwischen Dierks und Riester und die Zeit danach gut in Erinnerung – und er hat diese Erinnerungen aufgeschrieben. Riester sei von Kur-Gegnern, angeführt von Stadtrat Konrad Dombrowski, und dem Umfeld der Freien Wähler unterstützt worden. Ihr Wahlspruch lautete: "Die Mettnaukur – ein Fass ohne Boden." Doch der frischgewählte Bürgermeister Riester gab 1968 nicht einfach der populären Strömung und seinen Unterstützern nach, er besprach die Sache mit Rechner Wilhelm Graf. Er schlug eine externe Prüfung durch die Wirtschaftsberatung Wibera in Düsseldorf vor. Die Wibera bestätigte Grafs positiven Abschluss für die Mettnaukur, empfahl aber eine Trennung der Bücher zwischen Stadt und Gesundheitsbetrieb auf der Mettnau. "Ab 1970 ist die Kur dann als Eigenbetrieb geführt worden", beschreibt Graf die Lösung, die dieser Auseinandersetzung für lange Zeit die Luft aus den Segeln nahm.
Walter Hiller, der 28-jährig im Bürgersaal Platz nahm und seither vier Vorsitzenden des Radolfzeller Gemeinderats – Fritz Riester, Günter Neurohr, Jörg Schmidt und Martin Staab – als Stadtrat gegenüber gesessen hat und sitzt, beschreibt Fritz Riester als einen Mann mit "positiver Diskussionskultur". Oder: "Direkte Gegner gab's durch seine Art nicht mehr." Das habe sich auch bei der Verwaltungsreform bemerkbar gemacht. Riester habe nicht mit den Muskeln der größeren Stadt gespielt, er habe versucht, die umliegenden Dörfer auf die freiwillige Schiene zu setzen: "Die Eingemeindungen waren ein Riesenaufwand und eine seiner höchsten Leistungen", bewertet Hiller die Zeit. Für Radolfzell brachte es eine Einwohnerzahl von rund 25 000 und die Ernennung im Mai 1975 zur Großen Kreistadt ein, Riester bekam als erster Radolfzeller Bürgermeister den Titel Oberbürgermeister.
Im März 1976 ist Riester als OB mit überwaltigender Mehrheit wiedergewählt worden. Drei Monate später erlag er einem Herzinfarkt. Ralf Nüsse wusste um den angegriffenen Gesundheitszustand seines OB, beim gemeinsamen Angeln sechs Wochen zuvor habe Riester ein Schwächeanfall heimgesucht: "Das war grausig, aber besorgt um seine Gesundheit war er nicht." Für Nüsse bringt das Erinnern ein Stück Wehmut mit sich: "Wir hatten ein tolles Verhältnis" – der Fitzi und er.
Zwei Kandidaten – eine Todesursache Herzinfarkt
Lagerwahl, Eingemeindungen und die große Einstimmigkeit
- Das Duell: Der Sonntag, 24. März, 1968 ist in die Wahlgeschichte der Stadt Radolfzell eingegangen. Der Konstanzer Baubürgermeister Werner Dierks (am Wahltag 40 Jahre alt) und der in Radolfzell aufgewachsene Regierungsrat Fritz Riester (am Wahltag 34 Jahre alt) wollen Bürgermeister werden. Die CDU unterstützt Werner Dierks, die Freien Wähler Fritz Riester. Menschenmassen warten vor der Geschäftsstelle des SÜDKURIER auf den Aushang der Ergebnisse. Die Polizei setzt Lautsprecherwagen ein und bittet die Wartenden, die Fahrbahn zu räumen. 7890 Wahlberechtigte oder 82 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung geben ihre Stimme ab. Der Wahlkrimi endet mit einem eindeutigen Vorsprung für Riester, der 4204 Stimmen oder 53,7 Prozent auf sich vereinen kann. Dierks kommt auf 3639 Stimmen oder 46,3 Prozent.
- Eingemeindungen: Mit seinem Verhandlungsgeschick und einer beharrlichen Auskunftsbereitschaft brachte Fritz Riester fünf Nachbargemeinden dazu, sich im Zuge der Gemeindereform Anfang der siebziger Jahre auf ein mehr oder weniger freiwilliges Eingemeindungsverfahren mit der Stadt Radolfzell einzulassen. Das waren Markelfingen, Möggingen, Liggeringen, Güttingen und Stahringen. Einzig Böhringen wehrte sich bis zum Schluss, ist aber durch die Entscheidung des Landtags am 25. Juni 1974 nach Radolfzell eingegliedert worden.
- Die Wiederwahl: Am 14.
- Tod im Urlaubsort: Mit 42 Jahren erlag Fritz Riester am 23. Juni 1976 in Schruns einem Herzinfarkt. Eine sofortige Einlieferung ins Krankenhaus Bludenz konnte ihn nicht mehr retten. SÜDKURIER-Redakteur Wolfgang Essig hielt im Bericht von der Beerdigung fest: "Man mochte ihn, man fand ihn sympathisch. Seine stets ungezwungene Art kam in der Bevölkerung gut an."
- Der zweite frühe Tod: Auch Werner Dierks ereilte mit 53 Jahren ein früher Tod, er starb im November 1981. Wie Riester erlag Dierks einem Herzinfarkt. Er blieb bis zu seinem Tod Baubürgermeister in Konstanz und wohnte mit seiner Familie auf der Mettnau. (bec)