Radolfzell ist bei Familien beliebt. An den ausgewiesenen Neubaugebieten herrscht reges Interesse. Und auch die Geburtenrate steigt seit einigen Jahren deutlich an. Was gesellschaftlich begrüßenswert ist, stellt die Stadt jedoch vor große Herausforderungen. Die Kapazitäten der Betreuung für Kinder zwischen ein und sechs Jahren ist an ihre Grenzen gekommen. Es gibt für Kindergartenkinder aktuell keinen freien Platz mehr. Etwa 30 Kinder haben, obwohl sie älter als drei Jahre sind, keinen Platz in einem der Kindergärten bekommen. 24 Kinder unter drei Jahren warten auf einen Kita-Platz. Anette Hemmie, Leiterin der Kindertagesbetreuung bei der Stadt Radolfzell, informierte über den aktuellen Stand im Ausschuss für Bildung, Soziales und Sicherheit. Momentan sei es sehr eng mit Plätzen für Kinder über und unter drei Jahren. "Radolfzell ist ein sehr attraktives Zuzugsgebiet, vor allem für Familien. Unsere Einrichtungen sind alle voll belegt", sagt Hemmie. Kämen Kinder neu ins System, könnten diese nicht betreut werden.

Um dem Mangel an Kindergartenplätzen entgegen zu wirken, wolle die Stadtverwaltung in der Nordstadt zum Jahresende mit einer mobilen Baulösung 20 neue Plätze schaffen. Die Container sollen auf dem Gelände der Unterseeschule aufgestellt und der Kinderkrippe Entdeckerkiste angeschlossen werden. Die maximale Standortzeit solle auf fünf Jahre begrenzt werden, teilte Bürgermeisterin Monika Laule mit. Weiter soll der Waldkindergarten um eine halbe Gruppe erweitert werden. Das schafft weitere zehn Plätze. Und die Schulkindbetreuung im Kinderhaus Möggingen soll auslaufen. Die Räumlichkeiten sollen anschließend für die Betreuung für Kindergartenkinder zur Verfügung gestellt werden. Das schafft 20 weitere Plätze. Doch all diese Maßnahmen brauchen Zeit. "Wir sind dringend auf neue Plätze angewiesen, bis 2019 ist nichts mehr frei", so Hemmie. Der Druck auf die Verwaltung entsteht auch durch den Rechtsanspruch, den Familien auf einen Krippen- und Kindergartenplatz haben. Bei der Betreuung für Kinder von ein bis drei Jahren sei die Stadt von einem Bedarf von 35 Prozent ausgegangen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre hätten jedoch gezeigt, dass fast 50 Prozent der Familien einen solchen Krippenplatz benötigen, wie Anette Hemmie sagt.

Für Susanne Pantel, Vorsitzende des Gesamtelternbeirates Kita, sind all die Bemühungen der Stadtverwaltung ein Tropfen auf dem heißen Stein. "Die Plätze reichen jetzt schon vorne und hinten nicht. Die Stadt kann froh sein, dass noch keine Familie geklagt hat", sagt sie. Vor allem beim Ausbau der Krippenplätze hinke die Stadt deutlich hinterher. Und auch für die Zukunft mahnt Pantel große Probleme an. "Neubaugebiete werden bebaut, aber es werden keine neuen Betreuungsangebote geschaffen", kritisiert sie. Auch die steigende Geburtenrate würde konsequent ignoriert.

Im Jahr 2017 hat Radolfzell 295 Neubürger durch Geburt bekommen. Das sind mehr als in den vergangenen Jahren, die zugezogenen Babys, deren Eltern vorher in einer anderen Stadt gemeldet waren, sind nicht mit einberechnet. Für Susanne Pantel ist die Tendenz eindeutig. Die Zahl der Kinder, die in absehbarer Zeit einen Rechtsanspruch auf einen Kita- und Kindergartenplatz haben, sei klar. Warum die Stadt neue Betreuungseinrichtungen weiterhin so klein baue, ist für Susanne Pantel völlig unverständlich. "Die Stadt baut keinen Meter mehr als sie eigentlich muss, so wird das Problem nicht gelöst", sagt sie. Sie wirft dem Gemeinderat und der Stadtverwaltung mangelndes Interesse und Verständnis an dem Thema, welches für Familien existenzentscheidend sei, vor.

Die Entwicklung der Bevölkerung bewertet Bürgermeisterin Monika Laule hingegen völlig anders, wie sie im Ausschuss erläuterte. Experten würden ein Ende des Geburtenanstiegs vorhersagen. Ab 2024 würden die Geburtenraten wieder sinken, da die geburtenschwacheren Jahrgänge in das Alter für Familienplanung kämen. Weniger gebärfähige Frauen würden weniger Babys bedeuten. Man solle aus diesem Grund auch schauen, wie man diese Hochphase im Bestand abfangen könne.

Susanne Pantel weist jedoch auf eine Verlagerung des Problems hin. Wenn Kita- und Kindergartenplätze schon Mangelware wären, würde es sich in wenigen Jahren auch auf die Grundschulen verlagern. Die Sonnenrainschule beispielsweise biete eine Ganztagesbetreuung an, habe aber keine Mensa. Die Kinder müssten im Klassenzimmer essen. Um dem Platzmangel entgegenzuwirken, müssten bereits jetzt entsprechende Planungen vorgenommen werden.

 

Rechtsanspruch und zentrale Anmeldung

  • Situation in Radolfzell: In der Stadt gibt es insgesamt etwa 1200 Plätze für Kinderbetreuung bis zum Eintritt ins Schulalter. Davon sind etwa 260 Plätze für Kinder von ein bis drei Jahren.
  • Seit 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für ihr Kind, sobald es das erste Lebensjahr vollendet hat. Nicht gesetzlich geregelt ist der Anspruch auf einen Ganztagesbetreuungsplatz. Sollten Eltern einen Halbtages-Kitaplatz ablehnen, so erlischt ihr Rechtsanspruch. Auch haben Eltern keinen Anspruch drauf, dass der Kita-Platz in der direkten Nähe zum Wohn- oder Arbeitsort ist. Eine gewisse Fahrzeit ist laut Gesetzgeber zuzumuten. Im Fall einer erfolgreichen Klage muss die Kommune einen Schadensersatz für ausgefallen­en Lohn bezahlen.
  • Bei der zentralen Vormerkungsstelle für Kinderbetreuung können neu zugezogene oder werdende Eltern ihren Bedarf an Kinderbetreuung anmelden. Eltern können bei der Anmeldung bis zu drei Wunsch-Einrichtungen angeben und hoffen, dort einen Platz zu bekommen. Das Kind muss sechs Monate vor dem gewünschten Aufnahmedatum angemeldet werden.

Informationen zur zentralen Vormerkungsstelle gibt es auf der Internetseite der Stadt: www.radolfzell.de/zentralevormerkung