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Frau Zühlke, wie lautet die Einschätzung des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) von Schutzstreifen?

Nun, seit einer Weile stehen die Schutzstreifen in der Kritik. Aber zunächst möchte ich die Begrifflichkeiten klären. Radfahrstreifen sind mit einer durchgezogenen Linie von der Fahrbahn getrennt und dürfen vom KfZ-Verkehr in Längsrichtung nicht überfahren werden. Die gestrichelten Schutzstreifen dürfen im Begegnungsverkehr mit breiten Fahrzeugen überfahren werden. Aber nur dann. Autofahrer kennen den Schutzstreifen meist nicht und überfahren den Schutzstreifen ohne Grund. Zudem werden die Schutzstreifen oft falsch angebracht.

Was kann an einem Schutzstreifen falsch sein?

Schutzstreifen sind dann sinnvoll, wenn es keine Mittelstreifen auf der Fahrbahn gibt. Wenn es Mittel- und Schutzstreifen gibt, ist das Ergebnis, dass Autofahrer sich an den Radfahrern vorbeidrängen, ohne den Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten. Das ist der Hauptgrund, warum Schutzstreifen als nicht sicher empfunden werden. Wenn wir in einer idealen Welt leben würden, wären für kurze Übergangsstücke Schutzstreifen gut. Auch in der Kombination mit Längsparkplätzen sind sie völlig untragbar, weil schon eine geöffnete Autotür den Schutzstreifen dicht macht. Leider leben wir nicht in einer idealen Welt und sie bieten Radfahrern keinen Schutz vor Autofahrern.

Wie sieht es aus, wenn auf der Fahrbahn Mittelinseln angebracht sind?

Hier ist der Stand der Technik, dass der Schutzstreifen vor der Mittelinsel aufhört. Die Fahrzeuge sollten dann im Reißverschlussverfahren hintereinander durch die Engstelle fahren, um sich dann wieder auf die jeweiligen Fahrstreifen einzuordnen. In der Realität ordnet sich kaum ein Autofahrer hinter einem Radfahrer ein, in der Regel wird noch geschwind dicht überholt. Das ist für die meisten Radfahrer beängstigend, sie fühlen sich stark gefährdet.

Bietet der durchgezogene Radfahrstreifen aus Ihrer Einschätzung heraus genügend Sicherheit für Radfahrer?

Der Radfahrstreifen ist von der Tendenz her sicher besser. Allerdings muss das Regelmaß von 1,85 Metern eingehalten werden. Da darf der Rinnstein nicht mitgerechnet werden. Bei starken Verkehrsströmen – egal ob Rad oder Auto – wird eine Breite von mindestens zwei Metern empfohlen. Und das gilt gerade bei Ihnen am Bodensee: Für touristische Radwege, die so stark frequentiert sind wie der Bodenseeradweg, sollten die Wege eher vier Meter breit sein, da ist die Regelbreite zu schmal. Ähnliches gilt auch bei stark frequentierten Radwegen in Richtung von Schulen.

Was empfehlen sie bei einer Sanierung von Brücken für den Radverkehr?

Ich halte eine physische Trennung der Verkehrsarten und eine niedrige Geschwindigkeit für sinnvoll. Eine physische Trennung kann durch Leitplanken oder Betonelemente erreicht werden. Sie müssen auf jeden Fall definitiv so beschaffen sein, dass kein Autofahrer sie überfährt. Gleichzeitig müssen die befestigten Radwege so intelligent geführt werden, dass der Radfahrer keinen Bordstein überwinden muss.

Muss dieser Aufwand wirklich sein?

Wenn wir die Verkehrswende schaffen wollen – ja. Nach einer Studie sind von 100 Verkehrsteilnehmern sieben begeisterte Radfahrer, 33 fahren auf gar keinen Fall Rad und 60 Prozent sind interessiert am Radfahren, aber besorgt, was die Sicherheit angeht. Wenn wir diese 60 Prozent an Leuten überreden können, aufs Rad zu wechseln, dann schaffen wir die Verkehrswende. Früher hat sich die Planung von Radwegen an den starken und furchtlosen Radfahrern orientiert. Nun hat man erkannt, dass man sich an den interessierten und besorgten Radfahrern orientieren muss. Und noch etwas ist wissenschaftlich erwiesen: Je mehr Radfahrer unterwegs sind, um so weniger Unfälle passieren.

Aber der Platz auf Brücken ist begrenzt, da passen keine zwei befestigten Radwege in jede Richtung hin?

Man muss sich immer den Gesamtverkehr anschauen. Fehlt der Platz, helfen andere Maßnahmen, etwa: Alle fahren gemeinsam über die Brücke, es gilt Tempo 20 und auf der Fahrbahn weisen Piktogramme auf den Radverkehr und die Geschwindigkeit hin. Auch das ist ein Lösungsansatz. Wir müssen als Gesellschaft uns überlegen, wie wollen wir den Platz verteilen und was für einen Verkehr wollen wir haben.

Der Fußgänger steht staunend daneben und wagt sich nicht über die Brücke?

Als ADFC setzen wir uns auch für den Fußgänger ein. Ihm gehört der Gehweg und nur ganz langsame Radfahrer dürfen auf dem Gehweg fahren. Grundsätzlich sollte im Verkehr immer rücksichtsvoll gefahren werden. Dann wird der Verkehr sicherer und angenehmer.

Fragen: Georg Becker