Bauprojekte der Stadt Radolfzell haben den Ruf etwas länger zu dauern. Dies mag ein böses Gerücht sein, doch auf eins trifft es auf jeden Fall zu: der Neubau des Pflegeheims auf der Mettnau.
Städtisches Heim darf so nur noch bis Juli 2022 betrieben werden
Obwohl bereits seit 2009 klar ist, dass die Zweibett-Zimmer im städtischen Pflegeheim Heilig Geist ein Ablaufdatum haben – und zwar September 2019 – und die Stadt bereits eine Verlängerung bis zum 30. Juni 2022 bekommen hat, wird selbst dieser Termin höchstwahrscheinlich nicht erreicht werden.
Der Spatenstich kann noch nicht einmal geplant werden, denn das Regierungspräsidium Freiburg hat zwar den Bauantrag genehmigt, aber der Finanzierung des Projekts noch kein grünes Licht erteilt.
Der Finanzplan der Stadt
Laut Auskunft der Radolfzeller Stadtverwaltung fordert das Regierungspräsidium bei einer Investitionssumme von 19,23 Millionen Euro – so viel soll der Neubau kosten – eine Eigenkapitalfinanzierung von 66 Prozent. Um diese zu erreichen, muss die Spitalstiftung als Bauherrin einige Immobilien und Grundstücke verkaufen.
Unter anderem die Poststraße 15, die der Spitalstiftung von der Stadt Radolfzell für einen Betrag von mindestens zwei Millionen Euro abgekauft werden soll. Dies war vom Stiftungsrat so abgenickt worden. Dem Großteil der Stiftungsräte, die identisch mit den Stadträten des Gemeinderates sind, war es wichtig, diese Immobilie im Besitz der Stadt zu halten.
Doch dann kam Corona
Die nun deutlich angespanntere Finanzlage der Stadt stellt diesen Plan aktuell in Frage. Die Verwaltung schreibt auf Anfrage: „Die angespannte Haushaltslage der Stadt, verstärkt durch die negativen Auswirkungen durch die Corona-Pandemie, werden vom Gremium weitreichende Beschlüsse erfordern, um eine Genehmigung des Haushaltes durch das Regierungspräsidium zu erhalten. Dafür sind Abwägungen zu treffen, ob der Kauf der Grundstücke vom Spitalfonds oder andere Investitionsmaßnahmen vorrangig sind.“
Poststraße darf also doch verkauft werden
Soll die Poststraße 15 also nun doch an einen externen Investor verlauft werden, weil die Stadt selbst dafür kein Geld hat? Die Antwort lautet Jein. Wie der SPD-Fraktionsvorsitzender Norbert Lumbe erklärt, habe man mit der Stadtverwaltung beschlossen, dass sie die Poststraße durchaus weiterverkaufen darf, wenn sich ein Investor vertraglich bereit erklärt, in den Räumen den sozialen und caritativen Gedanken des Spitalfonds fortzuführen. Aber kaufen müsse sie die Immobilie erst einmal. Die Suche nach einem Investor, der sich auf diesen Vertrag einlasse, sei der zweite Schritt.
Auch die FGL wollte die Poststraße eigentlich behalten
An der Poststraße 15 festhalten will auch unbedingt die FGL-Fraktion. Oder besser gesagt, an dessen Nutzung als soziale Einrichtung. „Wenn die Stadt jemanden bringt, der uns langfristig versichert, dass hier weiterhin Sozialarbeit geleistet wird, stimmen wir auch einem Verkauf zu“, sagt FGL-Fraktionsvorsitzender Siegfried Lehmann.
Bernhard Diehl, Fraktionsvorsitzender der CDU wollte keinerlei Details zu der aktuellen Diskussion preisgeben. In einer Sondersitzung im Oktober habe man der Stadtverwaltung gemeinsam mit der FGL einen neuen Vorschlag zur Finanzierung unterbreitet. Mehr wolle er nicht sagen.
Nicht jeder will die Poststraße 15 behalten
Jürgen Keck, FDP-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat und Landtagsabgeordneter, sieht den Kauf durch die Stadt als utopischen Plan an. Man müsse das Gebäude nicht nur kaufen, sondern danach auch investieren, um es nutzbar zu machen. „Dieses Geld haben wir aktuell nicht“, so Keck. Der Kauf durch einen externen Investor würde vermutlich sogar mehr Geld einbringen, als ein Verkauf an die Stadt. „Wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren, indem wir nochmal Extrarunden drehen“, sagt der FDP-Stadtrat.
Ähnlich sieht es Gabriel Deufel von den Freien Wählern. Die Stadt habe für die Poststraße 15 nur eingeschränkte Nutzungsvorgaben. Der sofortige Verkauf an einen Investor würde den Bau des Pflegeheims beschleunigen.
Die Sache mit dem Eigenkapital
Über die Höhe der vom RP vorgegebenen Eigenkapitalfinanzierung von 66 Prozent ärgert sich besonders Siegfried Lehmann. „Das ist wirklich eine ungewöhnlich hohe Quote“, so Lehmann. Er habe sich selbst bei Wirtschaftsprüfern schlau gemacht und habe die Auskunft bekommen, dass für gewöhnlich bei Projekten eine Quote von 30 Prozent gefordert werde, den Rest könne man über Kredite finanzieren.
Laut Markus Jox, Sprecher des Ministeriums für Soziales und Integration und damit der übergeordnete Behörde des Regierungspräsidiums, gebe es keine allgemeinen Vorgaben über die verlangte Höhe des Eigenkapitals. „Wesentlich im Rahmen des Stiftungsrechts ist stets, dass der Stiftungszweck nicht gefährdet wird“, schreibt Jox.
Damit der Spitalfonds die 66 Prozent erfüllen kann, müssten einige Grundstücke auf der Mettnau, auf der Weinburg und Waldgebiet veräußert werden. „Wir müssen fast alle Rücklagen, die wir noch hatten, verkaufen. Mir ist da gar nicht wohl dabei“, so Lehmann. Überhaupt habe die lange Diskussion um die Kosten des Pflegeheims und die Finanzierung sowie etliche Gutachten das Projekt unnötig in die Länge gezogen.
Wie geht es nun weiter?
Dem Regierungspräsidium wurden von der Stiftung in der letzen Oktoberwoche der umstrukturierte Wirtschaftsplan 2020 vorgelegt, der Nachweis der Finanzierungsmöglichkeit der geforderten hohen Eigenkapitalquote von 66 Prozent der Baukosten sowie weiteren geforderten Informationen.
Laut Radolfzeller Stadtverwaltung habe man um baldige Genehmigung gebeten, um mit dem Bau beginnen zu können. Mit der Heimaufsicht stehe man ebenfalls in Kontakt, da man voraussichtlich eine weitere Verlängerung der Betriebserlaubnis für das Pflegeheim Heilig Geist brauchen werde.
Details zu den Plänen und den Finanzen
- Was ist auf der Mettnau geplant: Ein neues Pflegeheim mit 98 Dauerpflegeplätzen und 24 Plätzen in der Tagespflege soll neben dem Krankenhaus auf der Mettnau gebaut werden. Der geplante Spatenstich hätte im Frühjahr dieses Jahres erfolgen sollen. Die Bauzeit war auf zwei Jahre terminiert. Nun bleiben noch ein Jahr und acht Monate, bis die Ausnahmegenehmigung für das städtische Pflegeheim Heilig Geist ausläuft.
- Wie kommt das Eigenkapital zusammen: 4,4 Millionen Euro sollen durch den Verkauf von Grundstücken auf der Mettnau eingenommen werden, 3,5 Millionen Euro durch Grundstücksverkäufe an die Stadt Radolfzell, 2,5 Millionen Euro durch den Verkauf des Grundstücks Erschließungsgebiet Stürzkreut Süd, zwei Millionen Euro durch den Verkauf des Gebäudes Poststraße 15 an die Stadt Radolfzell, 900 000 Euro durch den Verkauf des Gebäudes Seestraße 44 und 600 000 Euro durch den Verkauf von Wald an die Stadt Singen. Das wären insgesamt 13,9 Millionen Euro.
- Zum Spitalfonds: Das Spital in Radolfzell gibt es seit 1343 am Standort in der westlichen Altstadt. Früher haben Radolfzeller, die bis zu ihrem Tod dort gepflegt und versorgt wurden, ihr Vermögen und ihre Grundstücke dem Spitalfonds als Dank überschrieben, damit konnten auch arme Menschen mit versorgt werden. So entstand der Gedanke als soziale Institution.