Jahre haben Radolfzeller Stadtverwaltung, Gemeinderat und das Landratsamt am Bebauungsplan „Unterm Freiwiesle“ gearbeitet. Und plötzlich soll diese Arbeit umsonst gewesen sein. Die beiden Grünen-Landtagsabgeordneten Nese Erikli und Markus Rösler wollen das Baugebiet in Stahringen in letzter Minute stoppen.
Sie argumentieren mit dem seit Sommer 2020 geltenden Schutz für Streuobstwiesen. Der BUND unterstützt dieses Vorgehen. Bauwillige Familien aus Stahringen hingegen sind entsetzt. Auch die Stadträte, die dieses Projekt intensiv begleitet haben, zeigen sich mehr als verwundert.
Jürgen Keck, Fraktionssprecher der FDP, ist hörbar aufgebracht. „Das ist eine riesen Schweinerei“, sagt Keck am Telefon. Das Projekt sei ohnehin schon verzögert gewesen, junge Familien hätten dadurch das Baukindergeld verloren.
Der ökologische Wert von Streuobstwiesen sei unbestritten, doch dürfe man durch so ein Gesetz nicht Familien die Erfüllung ihres Lebenstraums vom Eigenheim verbieten, sagt Jürgen Keck. Die Ausgleichsmaßnahmen sieht er als absolut ausreichend an, jeder gefällte Baum werde ersetzt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das durchgeht. Zumindest hoffe ich es“, so Keck.
SPD stört sich an der Einmischung aus der Distanz
Etwas zuversichtlicher ist Norbert Lumbe, Fraktionssprecher der SPD im Gemeinderat. „Mich stört es, dass jemand, der es besser wissen müsste, versucht, aus der Distanz unseren nach allen rechtlichen Gegebenheiten verabschiedeten Bebauungsplan wieder rückgängig zu machen“, kritisiert Lumbe den Vorstoß von Erikli und Rösler.
Aus seiner Sicht sei das Freiwiesle korrekt geplant und das Landratsamt habe keinen Grund, die Zustimmung wieder zurückzuziehen. Man hätte sich im Vorfeld mit den beteiligten Personen zusammensetzen müssen, sagt Lumbe. „Falscher Zeitpunkt, falsches Objekt“, so sein Urteil.
Als einer der größten Kritiker für das Freiwiesle trat schon immer die Fraktion der Freien Grünen Liste (FGL) auf. Fraktionssprecher Siegfried Lehmann bemängelte noch vor der finalen Zustimmung des Gemeinderates im Februar das beschleunigte Verfahren nach Paragraph 13b Baugesetzbuch. „Wir als FGL sind jetzt im Reinen mit diesem Projekt“, sagt Lehmann heute. Natürlich wäre es der FGL auch lieber gewesen, wenn das Freiwiesle nie in einen Bebauungsplan aufgenommen worden wäre.
FGL will Realpolitik betreiben
Aber wenn man Realpolitik betreiben wolle, müsse man seine Position etwas dämpfen. Also habe man sich um Kompromisse bemüht. Größere Ausgleichsmaßnahmen, der Erhalt besonders wertvoller Bäume und die Realisierung von sozialem Wohnungsbau, hätten die FGL-Fraktion im Zuge des Verfahrens einbringen können. „Wir haben im Freiwiesle viel erreicht“, so Lehmann.
Für die CDU schickt Mathias Poensgen, Vorsitzender des Ortsverbandes, eine Stellungnahme per E-Mail. „Man kann inhaltlich unterschiedlicher Auffassung sein. Es ist aber nicht nachvollziehbar, das Vorhaben zum jetzigen Zeitpunkt zu stoppen“, so Poensgen. Der vorliegende Plan sei nach intensiver Diskussion und Abwägung der verschiedenen Interessen erstellt worden und böte einen guten Kompromiss inklusive Erhalt zahlreicher Bäume und Ausgleichsmaßnahmen. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit hätte man früher stellen müssen. Viele hätten sich bereits auf das Neubaugebiet gefreut. „So kann man nicht mit Menschen umgehen“, schreibt Poensgen.
Dietmar Baumgartner, Fraktionssprecher der Freien Wähler, zeigt kein Verständnis für die erneute Prüfung des Neubaugebietes. „Wir haben gute Kompromisse gefunden und jetzt wird durch die Hintertür versucht, das Ganze wieder zu stoppen“, so Baumgartner. Für ihn sei das die reinste Verhinderungspolitik, sagt der Stadtrat. Die Abwägung aller Argumente habe bereits vor Jahren stattgefunden.