Wie viele Millionen will die Stadt Radolfzell in den sozialen Wohnungsbau investieren? Und ist das Pflegeheim in der Poststraße dafür das richtige Objekt? Bei diesen Fragen knallte es im Gemeinderat. Einer redet der freien Wirtschaft das Wort, die große Mehrheit aber will das soziale Projekt retten. Trotz geschätzter Gesamtkosten von weit mehr als fünf Millionen Euro.

Der Kauf des Gebäudes ist längst beschlossene Sache. Der Stiftungsrat des Spitalfonds Heilig Geist hat der Stadt Radolfzell das Gebäude Poststraße 15 zum Preis von 2,8 Millionen Euro angeboten. Da der Stiftungsrat und der Gemeinderat identisch in seiner Besetzung sind, muss davon ausgegangen werden, dass der Gemeinderat im Rahmen der Haushaltsberatungen auch dem Kauf zu diesen Konditionen zustimmt.

Spitalfonds braucht Geld

Der städtische Spitalfonds braucht das Geld, um den Neubau des Pflegeheims auf der Mettnau zu finanzieren. Die Stadt will das geschichtsträchtige alte Gemäuer, in dem noch das Pflegeheim untergebracht ist, nicht aus der Hand geben und nach der Aufgabe als Altersheim weiter für einen sozialen Zweck nutzen. Von Gesetzes wegen kann die Stadt das Gebäude nur kaufen, wenn sie damit eine kommunale Aufgabe erfüllt und sie sich den Kauf leisten kann.

Beide Voraussetzungen haben im Gemeinderat zu einer heftigen Diskussion geführt, weil auch die günstigste Lösung für einen sozialen Wohnungsbau zu neuen Kosten führt.

Zieht bald auf die Mettnau in einen Neubau um: Das Spital „Zum Heiligen Geist“.
Zieht bald auf die Mettnau in einen Neubau um: Das Spital „Zum Heiligen Geist“. | Bild: Jarausch, Gerald

Wie Architekt Peter Koczor vom Büro KTL (Rottweil/Radolfzell) ausführte, bedeute selbst die günstigste Lösung für einen Umbau weitere Ausgaben von geschätzten 2,7 Millionen Euro. „Diese Möglichkeit haben wir, wenn wir im vorhandenen Gebäude Wohngemeinschaften bilden.“ Auf diese Idee seien sie gekommen, weil so bestehende tragende Wände weiter ihren Dienst erfüllen könnten. Die WG-Zimmer könnten alle mit Dusche und WC eingerichtet werden. Jede WG bekäme eine eigene Küche und einen größeren Wohnraum. Im Erdgeschoss soll die bestehende Caféteria auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Geschockt von den Kosten

Oberbürgermeister Simon Gröger zeigte sich von den Kosten „geschockt“. Doch wie sein Mitarbeiter Wolfgang Keller von der Bauverwaltung ergänzte, sei daran kaum etwas zu ändern. Diese 2,7 Millionen Euro seien in jedem Fall fällig, „egal welche Nutzung man reinnimmt“, so Keller. In diesen Kosten seien die Minimalanforderungen an Brandschutz, neue Leitungen und Wände eingerechnet. Bei der Variante Wohngemeinschaften könnten acht WGs mit je vier bis sechs Zimmern untergebracht werden.

Das könnte Sie auch interessieren

Die Variante mit dem Einbau von Wohnungen im bisherigen Pflegeheim käme weitaus teurer. Die KTL-Architekten sagen, das Gebäude habe eine Kapazität für 28 Wohnungen meist mit zwei, aber auch drei Zimmern. Allerdings braucht bei dieser Variante der Bauherr noch einen wesentlich dickeren Geldbeutel. So wären neue Flurwände samt Türen und Durchbrüche sowie der Umbau einzelner Bäder zu Küchen notwendig. „Dann liegen wir bei etwa 4,3 Millionen Euro“, schätzte Peter Koczor.

Der Liberale Atkinson schimpft über das Projekt

Mit der Nennung dieser Kosten öffnete der Architekt im Gemeinderat die Büchse der Pandora. Insbesondere FDP-Stadtrat Richard Atkinson sah nur noch Übel, Mühe und nicht zu bewältigende Kosten: „Kaum ein Projekt fügt der Stadt mehr Schaden zu als dieses“, schimpfte Atkinson. Im Haushalt gebe es dafür kein Geld und ein „weiterer Billigbau“ stünde einer lebendigen Stadt nicht gut an. Atkinson empfahl den Verkauf an einen Investor.

CDU will kein privilegiertes Wohnen

Das will aber die CDU auf keinen Fall, die hatte in Person von Christof Stadler für die Gebäude der Stiftung festgestellt: „Für uns ist es unabdingbar, dass die Stadt die Hand draufhält. Wir wollen nicht die x-te Variante des privilegierten Wohnens haben.“ Die CDU will eine soziale und eine städtische Nutzung. Der Liberale Atkinson quittierte die Forderung der CDU-Fraktion nach einem Arbeitskreis für die künftige Nutzung der Pflegeheim-Gebäude mit beißender Kritik: „Ein Arbeitskreis hat noch nie etwas gebracht, die CDU ist noch weiter links als die SPD.“

Das könnte Sie auch interessieren

Nur Jürgen Keck (auch FDP) und Dietmar Baumgartner von den Freien Wählern konnten dieser kritischen Position von Atkinson wegen der unabsehbaren Folgekosten in Teilen etwas abgewinnen. Aber beide wiesen darauf hin, dass wenn die Stadt das Gebäude nicht kaufe, die Finanzierung des neuen Pflegeheims gefährdet sei.

Nina Breimaier und die Mär von den guten Investoren

Ansonsten schlossen sich die Reihen im Gemeinderat für eine soziale Nutzung des Gebäudes in der Altstadt. Nina Breimaier von der Fraktion der Freien Grünen Liste (FGL) zerpflückte die Mär von den guten privaten Investoren in Radolfzell: „Viel Schaden ist für die Stadt durch den Verkauf von Grundstücken an Investoren entstanden.“ Es sei eine mutige Entscheidung, wenn die Stadt das Gebäude kaufe. „Endlich können wir uns positionieren und zeigen, dass wir uns als Stadt hier stark machen“, sagte Breimaier.

Das könnte Sie auch interessieren

Auch Norbert Lumbe (SPD) wies Atkinson zurecht: „Das ist kein Prestigeobjekt einer Partei, sondern das Prestigeobjekt eines Gemeinderats.“ Die Idee des Spitals müsse auch künftig in der Poststraße 15 zu erkennen sein: „Das ist nicht meine Idee, das ist unsere Beschlusslage.“ Helmut Villinger (CDU) präzisierte noch einmal den Grundgedanken hinter dem Projekt: „Das ist ein Gebäude von uns für Bürger, die sich hohe Mieten nicht leisten können.“ Wie das geschehen soll, und was es dafür braucht, das soll ein Arbeitskreis entwickeln.

Große Mehrheit für das Projekt

Am Ende setzte sich diese Position bei einer Gegenstimme von Richard Atkinson, drei Enthaltungen und 17 Ja-Stimmen deutlich durch. Bis zum Umzug des Pflegeheims in den Neubau auf die Mettnau wahrscheinlich im Herbst 2023 wird das Gebäude Poststraße 15 dem Spitalfonds zur Nutzung unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Der Innenhof des jetzigen Pflegeheimareals soll auch später gemeinsam genutzt werden können, auch darüber soll sich der Arbeitskreis Gedanken machen.

Vorne die Kapelle, hinten das Fachwerkgebäude: Die künftige Nutzung des Gebäudes Seestraße 46 ist noch offen, es verbleibt im Eigentum ...
Vorne die Kapelle, hinten das Fachwerkgebäude: Die künftige Nutzung des Gebäudes Seestraße 46 ist noch offen, es verbleibt im Eigentum der Spitalstiftung. | Bild: Jarausch, Gerald

Offen ist in diesem Zusammenhang noch die Nutzung des Gebäudes Seestraße 46 auf der gegenüberliegenden Seite des Innenhofs. Zwei Dinge stehen fest: Die Kapelle bleibt Kapelle und die Stadtverwaltung wird die Räume im Fachwerkbau nicht als Büroräume nutzen. Zu aufwendig sei der Umbau, informierte OB Gröger in der Sitzung.