Die Mirabellenbäume auf der Wiese hinter dem Krankenhaus biegen sich im Frühlingswind. Doch das Idyll ist angezählt. Die Wiese ist als zu verkaufendes Baugrundstück bei der Finanzierung des Pflegeheims auf der Mettnau fest eingeplant. Wenn sich nicht doch noch großzügige Spender melden, denen die Mirabellenbäume wichtiger als ihr Kontostand ist. Danach schaut es im Moment gar nicht aus.
Der Neubau hundert Meter weiter ist im dritten Obergeschoss angekommen, es fehlt nur noch das Dach. Die Teuerungsrate im Bausektor setzt dem Bauherr Spitalfonds Radolfzell arg zu und mit den knapp 8000 Euro, die auf dem Spendenkonto der Stadt für das Projekt eingegangen sind, wären lediglich rund sieben Quadratmeter der Obstbaumwiese gerettet. Der Spitalfonds als Stiftung der Stadt braucht für den Neubau des Pflegeheims auf der Mettnau weiter jeden greifbaren Cent. Der schlimmste aller für möglich gehaltenen Fälle ist zwar noch nicht eingetreten, aber weit weg davon ist der Spitalfonds nicht mehr.
Der schlimmste Fall
In dem in dieser Woche vorgelegten Sachstandsbericht summieren sich die wahrscheinlichen Baukosten schon auf 22,3 Millionen, statt berechneten 19,2 Millionen Euro. Das von einem Gutachter als „worst case“ bezeichnete Szenario gibt Sozialbürgermeisterin Monika Laule mit Baukosten in Höhe von 23,7 Millionen Euro an. Diese Einschätzung hat der Gutachter aber vor dem Krieg in der Ukraine getroffen. Und dieser Krieg treibt die ohnehin schon steigenden Baukosten zusätzlich in die Höhe.
Fast schon gespenstisch muten die Ergebnisse der aktuellen Ausschreibungen an. „Für den Fensterbau und die Fassade hat nur eine Firma ein Angebot abgegeben und das zum dreifachen des kalkulierten Preises“, berichtet Laule.
Nur ein Angebot für Fenster und Fassade
Architekt Georg Schmitz von den beauftragten GMS Architekten berichtet, dass schon vor Beginn des Ukrainekriegs die Steigerung der Baupreise 15 bis 18 Prozent betragen habe. „Doch jetzt wird es unverhältnismäßig.“ Schmitz nennt als Grund die exorbitanten Ausschläge bei Rohstoffpreisen. Gerade bei Glas sei das ein bedeutender Faktor. Über 15 Unternehmen habe sein Büro für Fenster- und Fassadenbau angesprochen, nur eines habe dann ein Angebot abgegeben. Die Auftragsbücher von Firmen, die ein solches Auftragsvolumen leisten könnten, seien voll. „Wir waren entsetzt von den Entwicklungen und haben uns sogar einen Baustellenstopp überlegt.“

Doch die Risiken seien unwägbar gewesen: Das Gerüst hätte man länger stehen lassen müssen, die Fertigstellung hätte sich verzögert, das Kosten- und Terminrisiko wäre gestiegen. Der Bezug des neuen Pflegeheims ist in der Jahresmitte 2023 geplant. Schmitz bevorzugt die andere Architekten-Variante: „Clever und mit gesundem Menschenverstand die Probleme angehen.“ Das hieß in diesem Fall: Der Glasanteil wurde reduziert, auf Wände im Trockenbau verzichtet. Dennoch sei schon jetzt im Rohbau erkennbar, dass der Bau später einmal von Tageslicht „durchflutet“ sei, sagt Architekt Schmitz.
Die Sache mit dem Eigenkapital
Das enorm Knifflige an dieser Angelegenheit ist nicht das Technische. Das und die Organisation, versichert Schmitz, hätten sie auf der Baustelle gut im Griff. Das Kritische bleiben die Finanzen. Das Regierungspräsidium Freiburg verlangt für Bauprojekte von Stiftungen in öffentlicher Hand eine Eigenkapitalquote von zwei Dritteln. Nach der Kostenberechnung wären das für 19,3 Millionen Gesamtkosten wären das rund 12,8 Millionen Euro gewesen. Bei der jetzigen Entwicklung von 22,3 Millionen müsste der Spitalfonds 14,9 Millionen Euro Eigenkapital aufbringen. Oberbürgermeister Simon Gröger macht klar, dass dies keine spezielle Bestimmung oder Auslegung für Radolfzell sei: „Diese Erfüllung der Eigenkapitalquote gilt einheitlich für alle Städte.“
Bürgermeisterin Laule rechnet vor, dass die Spitalstiftung diese Quote erreiche. Weil der Verkauf der Bauplätze auf der Weinburg knapp eine Million mehr als die geplanten 2,7 Millionen eingebracht habe und der Verkauf der Mirabellenwiese bei einem Höchstgebot von angenommenen 1200 Euro pro Quadratmeter über 3,7 Millionen Euro einbrächte. Doch hier verspricht der OB: „Wir rechnen das Spendenaufkommen dagegen. Die entsprechende Quadratmeterzahl wird nicht verbaut.“ Bei den knapp 8000 Euro eingegangenen Spenden würden dann statt 3115 nur noch 3108 Quadratmeter verkauft.
Stadt kauft Poststraße 15
Ein weiterer Baustein für die Finanzierung ist der Verkauf des Gebäudes Poststraße 15 von der Stiftung an die Stadt. Dafür will die Stadt im nächsten Jahr 2,8 Millionen Euro an den Spitalfonds überweisen. In dem altstadtprägenden Haus sind jetzt 45 Einzel- und Doppelzimmer im roten Gebäudeteil und 20 Doppelzimmer im weißen Gebäudeteil untergebracht. Die Zimmer verteilen sich auf sechs Etagen, sie haben eine Größe zwischen 16 und 31 Quadratmetern. Die Wohnfläche beider Gebäudeteile summiert sich auf insgesamt rund 2400 Quadratmeter.
OB Gröger sieht dieses Haus in der weiteren Planung als Grundstock für eine städtische Wohnbaugesellschaft. „Es bietet sich an, das Haus zu sanieren und hier sozialen oder preisgünstigen Wohnraum in vielen kleinen Wohnungen anzubieten.“ Damit würde auch der soziale Aspekt des Hauses bestehen bleiben.
Es könnten 300.000 Euro fehlen
Bürgermeisterin Monika Laule hat eine Rechnung aufgemacht, wonach der Spitalfonds bei getätigten und noch zu erwarteten Grundstücksverkäufen mit Einnahmen von insgesamt 15,6 Millionen Euro rechnen kann. Würde tatsächlich das schlimmste vorausgesagte Kostenszenario von 23,7 Millionen Euro eintreten, würde die Stiftung die Eigenkapitalquote um 300.000 Euro zu wenig knapp reißen. Das wäre mit dem Regierungspräsidium vielleicht verhandelbar.