Es herrscht Umbruchstimmung im Radolfzeller Stadtmuseum. Dort, wo in den vergangenen Monaten Besucher noch etwas über das Thema Umwelt- und Naturschutz erfahren konnten, wird nun fleißig gewerkelt. Die Exponate und Informationstafeln der vergangenen Sonderausstellung „Umwelt bewegt. Menschen – Geschichte – Radolfzell“ sind weggeräumt worden, dafür sind neue Ausstellungsstücke eingezogen. Dennoch sind Vitrinen zum Teil noch nicht bestückt, außerdem fehlen noch Schilder und Beschriftungen.
Dabei drängt die Zeit: Schon am 27. März wird die neue Sonderausstellung im Stadtmuseum mit ausgewählten Gästen eröffnet, einen Tag später können sie dann auch die ersten Besucher bewundern. Unter dem Motto „Dorfleben. Geschichte(n) aus den Radolfzeller Ortsteilen“ wird sie den Blick auf Böhringen, Stahringen, Möggingen, Güttingen, Liggeringen und Markelfingen richten. Der Zeitpunkt dafür ist passend: 1974, also vor 50 Jahren, wurden die ersten Ortsteile nach Radolfzell eingemeindet, die übrigen folgten 1975. Seither darf sich Radolfzell große Kreisstadt nennen.
Ausstellung ist thematisch aufgebaut
„Es ist für uns als Stadt Radolfzell wichtig, dass wir uns als Gesamtstadt sehen“, betont Oberbürgermeister Simon Gröger. Auch wenn es zugleich wichtig sei, dass die einzelnen Ortschaftsräte weiterhin souverän bleiben und auch die Interessen und die Haltung der Ortsteile in den Gemeinderat einbringen.
Jeder Aspekt aus der Geschichte der Ortsteile kann derweil in der neuen Sonderausstellung nicht beleuchtet werden, dafür reicht der Platz nicht aus. Auch kann nicht jedem der sechs Ortsteile ein Raum gewidmet werden, denn davon gibt es lediglich fünf. Stattdessen werde die Sonderausstellung thematisch aufgebaut sein, erklärt Museumsleiter Rüdiger Specht. Das mache auch Sinn, denn die Entwicklung der Ortsteile sei oft ähnlich abgelaufen.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Und auch mit der Kernstadt verbinde die Ortsteile einiges. In einem Raum der neuen Ausstellung etwa werde es um Krisen, Katastrophen und Kriege gehen, die laut Specht auch Auswirkungen auf das gesamte heutige Radolfzell hatten. „So eine Region ist auch eine Schicksalsgemeinschaft“, sagt er. Aber auch erfreulichere Dinge einen die Kernstadt und Ortsteile – so sei das Hausherrenfest in ähnlicher Form lange auch in den ländlich geprägten Orten gefeiert worden.
Weitere Themen, die in der Ausstellung beleuchtet werden, sind laut Rüdiger Specht das kirchliche Leben in den Ortsteilen, sowie das gesellschaftliche Leben – also die Arbeit der Vereine und das Treiben in den Gasthäusern. Und auch der Prozess der Eingemeindung, Berufsbilder und der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel Mitte des 20. Jahrhunderts spielen eine Rolle.
Einige Stücke waren so noch nie zu sehen
Greifbar gemacht werden die Entwicklungen und Besonderheiten der Ortsteile auch durch zahlreiche Ausstellungsstücke, die nicht nur von Institutionen oder dem Landesamt für Denkmalpflege, sondern auch von Privatpersonen zur Verfügung gestellt wurden. „Wir präsentieren die Ortsteile durch ein paar spannende Stücke, die man zum Teil vorher noch nicht gesehen hat“, kündigt Museumsleiter Rüdiger Specht an.

Darunter befindet sich etwa ein prächtiges Vortragekreuz aus dem 14. Jahrhundert, das aus Liggeringen stammt und mit Emaillearbeiten verziert ist. Ebenso gibt es einen goldenen Kelch zu bestaunen, bei dem es sich um ein seltenes Überbleibsel aus dem ehemaligen Franziskanerinnenkloster Möggingen handelt, und den Rest einer detailreichen Ofenkrönung aus der frühen Neuzeit aus Stahringen. Ganz besonders ist auch ein Goldblattkreuz aus der Merowingerzeit, das aus Güttingen stammt – laut Rüdiger Specht eines von nur wenigen Goldblattkreuzen, die in Baden-Württemberg gefunden wurden.
Zwei Fundstücke wurden erst 2023 ausgegraben
Auch Stücke, die erst kürzlich erst ausgegraben wurden, gibt es zu bewundern. So hat das Landesamt für Denkmalpflege ein metallenes Steckkreuz zur Verfügung gestellt, das 2019 im Neubaugebiet „Im Tal“ in Markelfingen gefunden wurde und aus dem 6. Jahrhundert nach Christus stammt.
Und bislang noch nie öffentlich ausgestellt waren Fibeln, also Gewandspangen, einer wohlhabenden Alemannin, die erst im vergangenen Jahr bei Ausgrabungen in Böhringen ans Tageslicht kamen. Daran seien sogar noch Textilreste erhalten.
„Die Ortsteile haben ganz wesentlich mitgestaltet“
Mit den Vorbereitungen für die neue Sonderausstellung hat das Team des Stadtmuseums mit dem Stadtarchivar Alexander Röhm und seiner Vorgängerin Hildegard Bibby schon nach der Eröffnung der vergangenen Sonderausstellung 2023 begonnen, so Specht. Dabei habe man auch mit den Ortsvorstehern gesprochen und weitere Kontaktpersonen ausgemacht.
„Die Ortsteile haben ganz wesentlich mitgestaltet“, erklärt Rüdiger Specht, darunter auch engagierte Einzelpersonen. Zweifel, dass genügend Material zusammenkommt, habe er nie gehabt – ganz im Gegenteil: Nun gebe es sogar so viel, dass gar nicht alles ausgestellt werden könne.