Es wird für die Stadt Radolfzell das Jahrhundertprojekt sein: die Entwicklung des Areals rund um den Bahnhof. Das Mayer-Areal, die Aurelis-Linse und das Gelände der ehemaligen Pakethallen, alles zentrums- und bahnhofsnahe Grundstücke, liegen seit vielen Jahren brach und werden nur als Parkflächen genutzt. Das möchte Oberbürgermeister Simon Gröger ändern. Doch was braucht Radolfzell?
Seine Vision beinhaltet Wohnkonzepte mit vielen Grünflächen und Platz für Begegnung, ein Parkhaus und Raum für Gastronomie und Einzelhandel sowie eine nachhaltige und ökologische Energie- und Wärmegewinnung für das gesamte Areal. Um einen besseren Eindruck zu bekommen, was alles möglich ist, hat die Radolfzeller Stadtverwaltung zu einer Exkursion nach Heidelberg geladen, denn dort sind viele dieser Ideen bereits zur Realität geworden.

Städtische Mitarbeiter und Stadträte auf Exkursion
Eine Abordnung bestehend aus Mitarbeitern der Stadtverwaltung, hauptsächlich aus dem Dezernat III, nachhaltige Stadtentwicklung und Mobilität, und Stadträten jeder Fraktion haben das Parkhaus „hip“, den Energie- und Zukunftsspeicher der Stadtwerke Heidelberg sowie die Bahnstadt besichtigt. Zur Seite standen ihnen Experten, Architekten, Projektleiter und leitende Mitarbeiter der Stadtwerke Heidelberg sowie der Stadt Heidelberg, die die verschiedenen Gebäude und Einrichtungen erklärten und sämtliche Fragen beantworten konnten.
Mehr als nur ein Parkhaus
Da die zur Verfügung stehenden Flächen bisher als Parkplätze genutzt werden, muss die Stadt Radolfzell bei der Neukonzeption des Areals den Bau eines Parkhauses in Erwägung ziehen. Das Heidelberger Parkhaus „hip“, das erst vor einem Jahr eröffnet hatte, zeigt eindrucksvoll, was alles neben Parkplätzen möglich ist.

Das Parkhaus hat nicht nur 671 Auto- und 657-Fahrradstellplätze, das Dach besteht aus 1650 Solarmodulen mit einer Leistung von 530 Kilowatt Sonnenstrom zur Erzeugung von Kälte, eingebaut ist auch ein Kältezentrum, welches die benachbarte Großsporthalle versorgt und einer begrünten Fassade mit Insektenhotels.

Vor allem die grüne Fassade hatte es den Besuchern aus Radolfzell angetan. Der Preis ließ allerdings erstaunte Gesichter zurück: eine Million Euro, erklärte Architekt Uwe Bellm. Insgesamt habe das Parkhaus 40 Millionen Euro gekostet. Für OB Simon Gröger war das Parkhaus „hip“ dennoch ein gutes Vorbild, was er sich auch für Radolfzell vorstellen könne.
„Ein Parkhaus muss attraktiv, sicher und aktuell technische Möglichkeiten der Energiegewinnung berücksichtigen“, so seine Prämisse für ein künftiges Radolfzeller Parkhaus. Auch Norbert Lumbe, SPD-Fraktionssprecher, zeigte sich beeindruckt von dem Bau: „Es sind unglaublich gute Ideen drin“.

Gigantische Thermoskanne mit Ausblick
Eine weitere gute Idee, die sich alle auch für Radolfzell gut vorstellen könnten, befindet sich auf dem Energie- und Zukunftsspeicher der Stadtwerke Heidelberg. Nach dem Prinzip Thermoskanne speichert er heißes Fernwärmewasser für Raumwärme, Warmwasserbereitung und zunehmend auch zur Fernkühlung.

Der Speicher ist so groß, er könnte den Bedarf an Fernwärme von ganz Heidelberg für ein Wochenende überbrücken. „Durch den Wärmespeicher können wir Spitzenzeiten im Energieverbrauch zum Beispiel morgens gut überbrücken. Im Jahr spart er uns eine Million Euro an Energiekosten“, rechnet Heiko Faulhammer, technischer Geschäftsführer der Stadtwerke Heidelberg Umwelt vor.
Doch war es nicht der Energiespeicher, der beeindruckte, sondern das, was oben darauf entstehen soll. In 40 Metern Höhe, aktuell über 286 Stufen zu erreichen, planen die Stadtwerke eine Gastronomie und Eventlocation auf der gigantischen Thermoskanne. Noch ist diese nicht fertig ausgebaut. „Wir haben ein bisschen Pech mit den Ausschreibungen. Drei der beauftragten Unternehmen haben im Lauf des Projektes Insolvenz angemeldet“, so Faulhammer.

Ein Lokal mit Dachterrasse und einem Blick über den Untersee, vielleicht sogar auf dem Dach des Parkhauses, könne sich jeder der Stadträte auch gut für Radolfzell vorstellen, so die einstimmige Meinung beim Abstieg des Wärmespeichers. Auch Gröger ist von dieser Idee angetan: „So etwas wäre am See bisher einmalig“, sagt er.
Wohnen und viel Grünflächen
Doch nicht nur Parken, Energie und Tourismus sollen bei der Entwicklung des Bahnhofsareals berücksichtigt werden. Es soll auch Wohnraum geschaffen werden. Und viele Grünflächen, wenn es nach OB Gröger und Dezernatsleiterin Angelique Augenstein geht. Die Bahnstadt in Heidelberg macht vor, wie man aus einem industriell geprägten Areal ein komplett neues Wohnquartier schafft.

Die Bahnstadt ist auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofes entstanden. Wo einst Züge ihre Waren verladen hatten, leben heute rund 6000 Menschen. Zwischen den Wohnblöcken gibt es viele Grünflächen, Plätze für Begegnung, Büros, Kitas, Grundschulen, Gastronomie und Einzelhandel. Wieder ein Vorbild, welches sich alle Besucher auch für Radolfzell gut vorstellen können.