Natalie Reiser

Die Inzidenzen sinken und in manche Bereiche des Lebens kehrt wieder ein wenig Normalität zurück. Wie lange die Gesichtsmasken unseren Alltag begleiten werden, ist allerdings noch nicht abzusehen. Seit über einem Jahr muss der Mund-Nasen-Schutz in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens getragen werden. Wer in Geschäften oder im öffentlichen Nahverkehr keine Maske trägt, fällt auf. Doch nicht jeder ohne Maske nimmt leichtfertig in Kauf andere zu gefährden.

Menschen, die unter Atemwegs- oder anderen Erkrankungen leiden, die ihnen das Atmen schwer machen, können vom Arzt per Attest von dieser Pflicht befreit werden. Leicht ist es aber wohl nicht, ohne Maske unterwegs zu sein. Betroffene berichten, sie müssten Beschimpfungen, Beleidigungen, Verletzungen ihrer Privatsphäre und Angriffe über sich ergehen lassen.

Anfeindungen nehmen scheinbar wieder zu

Marc Kunze, der an Ichthyosis (der Fischschuppenkrankheit) erkrankt ist, leitet eine Selbsthilfegruppe. Im vergangenen Jahr hat der SÜDKURIER über ihn und die Erfahrungen anderer Kranker berichtet, die keine Maske tragen können. Auf den Artikel habe er positive Rückmeldungen bekommen. „Viele haben sich nach dem Artikel wieder zurück ins Leben getraut“, berichtet er.

Doch seit einiger Zeit häuften sich erneut die Nachrichten von kranken Personen, die aufgrund negativer Erlebnisse Angst davor haben, sich in der Öffentlichkeit frei zu bewegen.

Panikattacken bei Menschenansammlungen und dem Gefühl, eingeengt zu sein

Melanie Bozinov aus Konstanz ist aufgrund des Zeitungsberichts auf Marc Kunze aufmerksam geworden. „Ich habe die gleichen Erfahrungen gemacht wie er. Es hat mir wirklich gutgetan, zu wissen, dass ich nicht die Einzige bin, der es so geht“, erzählt die 31-Jährige am Telefon. Seit ihrer Kindheit leidet sie unter Panikattacken. In den letzten Jahren diagnostizierten Ärzte bei der jungen blonden Frau zusätzlich Asthma.

Menschenansammlungen und das Gefühl, eingeengt zu sein, sind Auslöser für ihre Panikattacken. Das Tragen einer Maske verursache dann bei ihr Atemnot und Übelkeit. Ein ärztliches Attest, das sie von der Maskenpflicht befreit, trage sie stets bei sich und zeige es dem Personal meist unaufgefordert vor, wenn sie einkaufen geht.

Trotzdem gehörten Sätze wie „Wie kann man nur so verantwortungslos sein?“ zu ihrem Alltag. Regelmäßig werde sie als dumm, respektlos und verrückt bezeichnet. Einmal sei sie körperlich verletzt worden. Seitdem habe sie Angst, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen.

„Es geht nicht darum, zu provozieren“

Die Schülerin Daria Dessel aus Paderborn teilt diese Angst. Wie Marc Kunze leidet sie an der Fischschuppenkrankheit. Da ihre Haut nicht atmen kann, soll Daria Dessel keine Maske tragen. Der Arzt empfahl, in der Schule ein Gesichts-Visier aus Plastik zu tragen. Doch auch damit sah sie sich ständig Kritik ausgesetzt: „Wie kannst du uns das antun? Wegen dir bekommen wir alle Corona.“

Ähnlich negative Erfahrungen habe sie in Geschäften gemacht. Weil sie den Druck nicht mehr aushalte, setze sie mittlerweile oft die Maske auf, auch wenn es ihr dabei schlecht geht. Ihr Wunsch ist: „Menschen sollten verstehen, dass einige kranke Menschen die Maske nicht tragen können. Es geht nicht darum, zu provozieren.“

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Franziska Swoboda, die Mutter von Marc Kunze, kann ebenfalls keine Maske tragen, weil sie unter Panikattacken leidet. Meist verteidige sie sich selbstbewusst, schildert sie. Beim Versuch, sich eine neue Brille anfertigen zu lassen, scheiterte sie allerdings auch. Mit dem Verweis auf das Hausrecht wurde ihr bei einem Optiker kein Einlass gewährt. „Als Verkäuferin brauche ich eine Brille, sonst kann ich nicht an der Kasse arbeiten“, erzählt die 52-Jährige.

Bei ihrer Arbeit in einem Supermarkt beobachte sie zusätzlich Situationen, in der Kunden von anderen ausgegrenzt werden. „Schlimm fand ich, dass ein Kunde sich nicht mehr traute, seinen behinderten Sohn, der keine Maske tragen kann, mit ins Geschäft zu bringen, weil ihm Prügel angedroht wurden“, sagt die Radolfzellerin.

Dabei ließe sich alles auch konfliktfrei lösen. Eine Frau habe sie einmal auf die fehlende Maske aufmerksam gemacht, indem sie sich selbst auf die Nase tippte, worauf Swoboda entgegnete: „Ich habe ein Attest“. Die Sache war erledigt. „Wir sollten menschlich und respektvoll miteinander umgehen“, wünscht sie sich.