Er redet schnell, er redet viel, und er schafft sein umfangreiches Pensum in der vorgesehenen Zeit nicht. Aber wie drängend und wie aktuell sein Thema ist, davon zeugt der vollbesetzte große Saal im Radolfzeller Milchwerk: Kommunikations- und Medienwissenschaftler Daniel Hajok hat zum Vortrag eingeladen und über das „Heranwachsen in der digitalen Welt“ und wie Erziehung diese Herausforderungen meistern kann, gesprochen.

Dabei packt er nicht die moralisierend-belehrende Keule aus, sondern überzeugt mit Fakten, die er mit humorvollen Anekdoten aus der Erziehung seiner Tochter spickt. So werden der lange, schon deutlich gekürzte Vortrag und die anschließend beantworteten Fragen aus dem Publikum an keiner Stelle langweilig.

Medienkonsum hat sich geändert

Wie sehr sich Medienkonsum geändert habe, zeige sich schon daran, dass heute bereits 73 Prozent der Zehn- und Elfjährigen ein Smartphone besitzen, sagt Hajok. Damit einher gingen risikoreiche Experimentierräume, die nicht schützbar seien. Das pädagogische Ziel müsse sein, Heranwachsende darin zu unterstützen, sich selbst Grenzen im Medienumgang zu setzen. Warum aber ist die digitale Welt für Kinder und Jugendliche so attraktiv?

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Es sei die Zeit der Selbstfindung, die Suche nach Beachtung: Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie komme ich an? „,Sein‘ heißt heute, medial stattfinden“. Während für die Vier- bis Fünfjährigen noch malen, basteln, Bücher anschauen, fernsehen, drinnen und draußen spielen mit Freunden und die Familie die ersten Ränge vor Toniebox und Tigerbox einnähmen, stehe bei den Sechs- bis 13-Jährigen die Handy-Nutzung bereits an dritter und bei den Zwölf- bis 19-Jährigen an erster Stelle im Freizeitverhalten. Das spiegele sich auch darin, dass immer mehr Zeit mit digitalen Medien verbracht werde, die sich weitgehend der Kontrolle durch Erwachsene entzögen.

Es braucht Regeln – und deren Durchsetzung

Insgesamt verbringen Kinder und Jugendliche laut Hajok heute täglich über drei Stunden an Bildschirmen. Und sie geben zu, dass sie oft mehr Zeit am Handy verbringen als sie geplant hätten. Wichtiges Regulat sei die elterliche Medienerziehung. Hajok: „Regeln sind nichts Schlimmes. Sie geben Handlungssicherheit. Aber die Regeln müssen auch durchgesetzt werden.“

Die Frage- und Antwort-Runde mit Petra Bärenz und Daniel Hajok.
Die Frage- und Antwort-Runde mit Petra Bärenz und Daniel Hajok. | Bild: Veronika Pantel

Dabei gebe es oft ein generelles Handyverbot als Höchststrafe bei Verstößen, aber an den Gründen, wie es zum Verstoß kam, werde nicht gearbeitet. Nur 28 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen gaben an, zeitliche Vorgaben für die Nutzung digitaler Medien von den Eltern zu erhalten. Der Umgang mit digitalen Medien diene oft als Katalysator familiärer Konflikte. So könnte es zur Identifikation mit falschen Vorbildern, zum Konsum ungeeigneter Inhalte oder zu exzessiver Nutzung und Abhängigkeit kommen.

Digitale Medien als Selbstverständlichkeit

Weil Kinder und Jugendliche digitale Medien wie selbstverständlich nutzen, haben sie Schwierigkeiten, die Folgen ihres Handelns abzuschätzen, denn Neugierde siege vor Vorsicht, so der Medienwissenschaftler weiter. Hinzu komme, dass der Umgang nur unzureichend durch Erziehende begleitet werde. So könnten Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung sowohl gefördert als auch beeinträchtigt werden.

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Natürlich gebe es auch positive Chancen des Medienumgangs: Neue Formen des Lernens würden ausprobiert, Austausch und Vernetzung werde möglich, flexibler Zugang zu Informationen und gesellschaftliche Partizipation seien sinnvoll. Hajok referiert auch über Risiken und Gefährdung beim Umgang mit digitalen Medien.

Die Neun- bis 17-Jährigen wenden sich bei verstörenden Erfahrungen im Netz nicht an erster Stelle an die Eltern, sondern an Freund oder Freundin oder ihr Umfeld. Gründe hierfür erfragt der Referent beim Publikum: Man schäme sich, die Sorge vorm Nicht-Verstanden-Werden sei groß, man möchte keine Konfrontation oder eine mangelnde Bindung an die Eltern könne der Grund sein.

Kinder und Jugendliche schützen

Die Fragen aus dem Publikum moderiert Petra Bärenz, Ressortleiterin Pädagogik beim Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf Wahlwies. Die Fragen zeigen, wie aktuell die Probleme sind, die Eltern, Erzieher und Lehrkräfte bewegen: Wie solle man auf die Aussage: Alle haben ein Handy, nur ich nicht, reagieren? Wie lernen Kinder/Jugendliche die Selbstregulation? Darf als Belohnung bei erledigten Aufgaben das Tablet erlaubt werden? Wie schützt man vor Video- und Glücksspielen, ohne ganz zu verbieten? Wie kann eine Handy-Regelung an Schulen aussehen? Was kann man tun, wenn man beim Kind eine Abhängigkeit vermutet?

Daniel Hajok gibt hilfreiche Auskünfte und plädiert für das Schaffen von Handlungssicherheit, für frühzeitig beginnende Beschränkung des Konsums, für das Aufzeigen und Praktizieren von Alternativen. Denn Kinder und Jugendliche hätten das Recht auf Teilhabe, aber auch das Recht auf Schutz beim Nutzen digitaler Medien.