In seiner Karriere als Radolfzeller Stadtrat hat Walter Hiller (80) gleich zwei Rekorde gebrochen. Als er 1971 im zarten Alter von 28 Jahren gewählt wurde, war er das bis dahin jüngste Mitglied des Gremiums. Ein junger „Seicher“ sei er gewesen, wie sich Hiller selbst bezeichnet. Und der Radolfzeller Gemeinderat damals ein „Club alter Männer“. Jetzt, ein halbes Jahrhundert später, ist Walter Hiller lange Mitglied in diesem Club gewesen. So lange, dass er wieder einen Rekord gebrochen hat: Er ist der Stadtrat mit der längsten Amtszeit. Es waren 52 Jahre, um genau zu sein.

Bei der kommenden Kommunalwahl am 9. Juni wird er nicht mehr auf der Liste der Freien Wähler stehen. Leicht ist ihm diese Entscheidung aber nicht gefallen. Es gebe noch einige Projekte, die er gerne zu Ende begleitet hätte. Zum Beispiel den Neubau des Pflegeheims auf der Mettnau, der sich in den letzten Zügen befindet. Schon den Vorläufer hatte Hiller mit begleitet, als das Pflegeheim Zum heiligen Geist in der Poststraße noch Altenheim hieß und von Nonnen geleitet wurde.

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Damals als Mitglied der SDP setzte er sich im Gemeinderat für einen Neubau ein, der die Betreuung der älteren Radolfzellerinnen und Radolfzeller modernisieren sollte. „Damals lag der Männertrakt noch über der Schweinemast. Wie es da gerochen hat, kann man sich vorstellen“, so Walter Hiller. Das damals neue Pflegeheim tat seinen Dienst fast so lange wie Hiller selbst.

Eingemeindung hatte viele Vorteile gebracht

Ein weiteres Projekt, auf das er mit Zufriedenheit zurückblickt, ist die Eingemeindung im Jahr 1974. Das habe für die Bewohner viele Vorteile gebracht, so Hiller. Und auch der Neubau der Stadtwerke auf dem Untertorplatz sei eine Maßnahme, die Hiller als Erfolg verzeichnet. Auch dieses Projekt hat seine Lebensdauer erfüllt und soll durch einen Neubau in der Herrenlandstraße ersetzt werden. Noch ein Neubau, den der Freie Wähler-Stadtrat nicht mehr zu Ende begleiten wird, aber seinen Vorläufer aus der Taufe gehoben hat.

Die Arbeit als Gemeinderat sei anspruchsvoll, so der 80-Jährige. Zu viele Wechsel im Gremium seien nicht förderlich, zu viel Wissen ginge dadurch verloren. Und von diesem Wissen hat Hiller jede Menge in den vergangenen 52 Jahren angehäuft. Das Turnerheim auf der Mettnau habe er von der Idee bis zur Umsetzung begleitet. „Das hat mich viel Zeit und meine Frau viel Nerven gekostet“, so Hiller. Etliche Wohngebiete hat er mit dem Gremium auf den Weg gebracht. Denn damals habe es genauso eine Wohnungsnot gegeben wie heute.

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Fragt man Walter Hiller nach den Niederlagen seiner Gemeinderats-Karriere, ist eine Antwort erwartbar, die andere überrascht. Wie viele andere sieht er das Projekt Seetorquerung als eine verpasste Chance für die Stadt an. Hier kritisiert er auch einen gewissen Populismus, der sich im Gemeinderat breit gemacht hatte. „Es war im Grunde fertig geplant, wir hätten jetzt einen barrierefreien Seezugang haben können“, so Hiller.

Bürgergenossenschaft bleibt eine Idee

Das zweite Projekt, auf das er mit Enttäuschung blickt, ist die Bürgergenossenschaft, die Hiller und andere angestrebt hatten. Er und weitere Mitstreiter hatten ein Konzept erarbeitet, in dem Gebäude des ehemaligen Pflegeheims in der Poststraße 15 Wohnungen für Senioren sowie Gemeinschaftswohnen zu realisieren. Ziel war es, bezahlbare kleine Wohnungen für Senioren mitten in der Altstadt anbieten zu können. So würden anderswo in der Stadt größere Wohnungen für Familien wieder frei werden.

Doch wurde dieser Plan nie realisiert. Gemeinderat und Stadtverwaltung hatten sich dafür ausgesprochen, das Gebäude selbst zu entwickeln, wenn es wieder frei ist. Und nun würde die angedachte Bürgergenossenschaft auch die Finanzierung nicht mehr realisiert bekommen.

Diskussionskultur hat sich verändert

Vieles habe sich im Lauf der Jahre verändert, so Hiller. Die Diskussionskultur sei auch eine andere gewesen, als er noch als „junger Seicher“ in den Gemeinderat eintrat. Nach den Sitzungen habe es eine Nachsitzung in einer der Radolfzeller Wirtschaften gegeben. Bei einem Schoppen, einem Glas Wein, habe man über die Themen diskutiert und so manch Kompromiss gefunden. Fraktionspolitik habe damals weniger eine Rolle gespielt.

Seine neu gewonnene Freizeit möchte Walter Hiller im Garten verbringen. Gartenarbeit und der Aufenthalt in der Natur und an der frischen Luft seien seine Leidenschaften. Eine andere Leidenschaft, die er erst im Gemeinderat kennengelernt hat, bleibt ihm auch während seines Ruhestandes erhalten: Das Pfeife rauchen, Walter Hillers Markenzeichen. Diese Angewohnheit hat er erst im Alter von 35 Jahren während den Sitzungen angenommen.