Ruhige Stimme, differenzierte Sprache, erstaunlich reflektierte Aussagen – und doch ein Strafregister, das für einen gerade einmal 19-Jährigen beachtlich ist: Vor dem Amtsgericht Radolfzell musste sich ein junger Mann von der Höri verantworten, der trotz seines eloquenten Auftretens tief verstrickt ist in ein Netz aus Drogen, Diebstahl, psychischen Problemen und Gewaltausbrüchen.
Insgesamt sechs Anklagepunkte wurden in zwei Hauptverhandlungen verhandelt – darunter Besitz und Handel mit Betäubungsmitteln, Widerstand gegen Vollzugsbeamte, Körperverletzung, Beleidigung und mehrere Diebstähle. Dafür wurde vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 800 Euro nach Jugendstrafrecht verurteilt, zu zahlen an eine Stiftung zur Gewaltprävention. Inklusive einer Standpauke von Richterin Julia Elsner.
Zwischen Klinik und Polizeigewahrsam
Was war geschehen? Besonders eindrücklich schilderten die als Zeugen geladenen Polizeibeamten eine Nacht im Februar 2024: Die Polizei wurde zu einem mutmaßlichen Suizidversuch im Konstanzer Stadtgebiet gerufen. Dort fanden sie den Angeklagten gemeinsam mit seiner stark betrunkenen Freundin – unzertrennlich, emotional aufgewühlt, beide alkoholisiert.
In der Klinik eskalierte die Situation: Der Angeklagte beschimpfte und attackierte Polizisten, versuchte, das Zimmer seiner Freundin mit Gewalt zu betreten, stellte den Beamten das Bein, spielte bewusstlos. Dabei sei die Intensität des Widerstands immens gewesen, so die Aussage. Besonders da der junge Mann laut Blutprobe noch knapp 1,8 Promille Alkohol im Blut hatte – drei Stunden nach den Vorfällen.
Feinwaage und Drogen im Gepäck
Doch blieb es nicht nur beim Alkohol. Im Dezember 2024 wurde der Angeklagte am Münchner Bahnhof mit 2,47 Gramm Ketamin, weiteren Substanzen und einer Feinwaage kontrolliert. Besonders die Feinwaage sei ein klassischer Hinweis auf Handel. Der 19-Jährige erklärte, er habe nur Salz in Gefäße abpacken und als Drogen verkaufen wollen, um Geld zu verdienen.
Auch in Baden-Baden war er auffällig geworden – erneut mit Drogen, diesmal unter anderem mit Tilidin und einer fremden Mastercard. Und auch im Landkreis Konstanz wurde er beim Ladendiebstahl ertappt.
„Das sind doch alles nur Namen für Diagnosen“
Vertreten wurde der junge Mann von Pflichtverteidiger Andreas Disch. Vor Gericht zeigte sich der Angeklagte allerdings ganz anders als in der Anklageschrift. Statt Beleidigungen fiel er durch seine ruhige und fast intellektuelle Ausdrucksweise auf. Als sein Verteidiger eine mögliche Borderline-Störung ins Gespräch brachte, wischte er dies mit den Worten vom Tisch: „Ach, das sind doch alles nur Namen für Diagnosen.“
Eine Geschichte voller Brüche
Die Biografie des Angeklagten liest sich wie eine Abwärtsspirale: Frühe Trennung der Eltern, wechselnde Wohnorte, Klinikaufenthalte, Entzug, Schulabbrüche. Seine Mutter alleinerziehend, der Vater nur sporadisch präsent. Mehrfach war er stationär in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht, darunter in Bad Dürrheim und in der Luisenklinik.
Drogenabhängigkeit, Flucht aus Einrichtungen, Verzweiflung nach dem Tod eines engen Freundes an Drogen – psychische Probleme seien allgegenwärtig gewesen. Besonders der Verlust des besten Freundes schmerze ihn bis heute sehr. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe macht in ihrem Bericht klar: Eine positive Sozialprognose sei nur möglich, wenn der junge Mann den Drogen endgültig abschwört. Auch Verteidiger Disch mahnt: „Er braucht eine Langzeittherapie. Er ist ein gescheiter Typ, aber das reicht nicht. Er wird sein Leben lang an diesem Problem arbeiten müssen.“
Während der Verhandlung zeigt sich der 19-Jährige einsichtig, gibt an, sich in Therapie begeben zu wollen, spricht vom „Adrenalinausschuss“ und davon, nicht Herr seiner Sinne gewesen zu sein. Richterin Elsner ermahnte ihn: „Die Regeln gelten für alle. Auch wenn es schwerfällt, sich daran zu halten – das geht so nicht weiter.“