Normalerweise wäre ihm das Milchwerk in Radolfzell zu klein. Markus Dufner vom Veranstalter Live Stage Entertainment weiß: „Johannes Oerding füllt weitaus größere Hallen oder Open-Air-Konzerte, 7000 bis 10.000 Besucher sind bei ihm gerade in Norddeutschland schon normal.“

Doch zusammen mit seinem Partner Wolfgang Frey bewies Dufner schon vor drei Jahren das richtige Näschen, als sie den Musiker mit seiner Band für das Musikfestival im Milchwerk verpflichteten. Doch dann kam Corona, kein Oerding, kein Konzert in Radolfzell.

Jetzt hat Oerding seinen Auftritt nachgeholt – und alle waren glücklich. Der Sänger, der mit seiner Band über zwei Stunden spielte, die 2000 Besucher im Milchwerk, die Oerding nicht ohne mehrere Zugaben von der Bühne ließen und die Veranstalter. Wolfgang Frey schüttelte auf der Ballustrade über der Konzertbühne ergriffen den Kopf und raunte selig: „Mehr geht nicht in Radolfzell.“

In der größten Sauna

Mit dieser Einschätzung dürfte er vielen aus der Seele gesprochen haben. Johannes Oerding ist mehr als ein guter Musiker, er ist ein prächtiger Unterhalter. Schon nach den ersten zwei Songs suchte er das Zwiegespräch mit dem Publikum. „Ach Radolfzell, mein Schatz“, sagt Oerding und spielt auf die Temperaturen im Milchwerk an: „Es ist so toll in die größte Sauna Deutschlands zu kommen.“

Macht auf sich aufmerksam: Gregor Hägele.
Macht auf sich aufmerksam: Gregor Hägele. | Bild: Becker, Georg

Oerding weiß, dass er mehr weibliche als männlich Fans hat und dass einzelne Exemplare manchmal nur die „gequälten“ Begleiter und Fahrer ihrer Frauen sind. Also suchte er ihn, der nicht ganz freiwillig gekommen war. Und wurde fündig, er spendierte „ein Radler für Karsten aus Geisingen, weil er in diese Hölle musste“.

Der rheinische Junge singt in Horn

Ironie, dass Oerding kurz darauf seine Hymne „So schön“ anstimmte? Es passte aber wunderschön in die Dramaturgie des Abends. Und in die erzählerischen Ausflüge, auf die der Musiker sein Publikum mitnahm.

Dazu zählen seine Episoden von der Höri. Johannes Oerding wuchs am Niederrhein in Geldern auf und war in dieser Zeit immer wieder „zwischen Iznang und Gundholzen in den Ferien“. Dort hätten seine Eltern ihn und seine Brüder gut ruhig stellen können: „Mit Eis und Blick aufs Wasser.“

In Horn hätte seine Karriere als Musiker und Unterhalter bei einem Flohmarkt begonnen. Mit sechs Jahren sei er auf einem Stuhl gestanden und sein erster Auftritt habe begonnen. „Ich habe gesungen: Ich bin ein rheinischer Junge, habe Frohsinn und Freude im Blut.“

Auf dem Tisch neben dem Mischpult spielt Oerding die Ballade „One Love“ von U2 für Heike aus Essen.
Auf dem Tisch neben dem Mischpult spielt Oerding die Ballade „One Love“ von U2 für Heike aus Essen. | Bild: Becker, Georg

Frohsinn und Freude ist ihm geblieben und der Antrieb, sein Publikum zu überraschen. So zog es ihn von der Bühne mitten unter seine Fans auf der Suche nach der Konzertbesucherin oder dem Konzertbesucher, der am weitesten für seinen Auftritt angereist war.

Fündig wurde er hinterm Mischpult, als er auf „Heike aus Essen“ traf. Sie durfte sich einen Song aussuchen, den Oerding ohne Vorbereitung spielen sollte. Heike aus Essen wählte „One Love“ von U2. Oerding setzte sich auf den Tisch neben dem Mischpult, ein Rowdie spulte den Text auf seinem Smartphone ab und der Sicherheitsmann hielt das Mikrofon. Ein Gänsehautmoment im Milchwerk, der die Spielfreude und Musikalität von Oerding eindrücklich herausstellte.

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Von der besitzen auch seine Band eine ganze Menge. Oerding zeigte sich als Teamplayer, er gab seinen Kollegen Moritz Stahl (Gitarre), Simon Gattringer (Schlagzeug) und Kai Lindner (Piano) immer wieder Gelegenheit meist in den rockigen Passagen, ein Soli einzustreuen.

Einen hob Oerding ganz besonders heraus. Für den kurzfristig erkrankten Bassisten Robin Engelhardt sprang das Crew-Mitglied René Dlugosiewicz ein, als hätte er seit Jahr und Tag nichts anderes gemacht. „Er sieht nicht nur verdammt gut aus, er spielt auch so“, lobte Oerding.

Mit der rauschenden Hymne „An guten Tagen“ verabschiedete sich Johannes Oerding von seinem Publikum im Milchwerk, nicht ohne noch ein großes Dankeschön loszuwerden. In der Corona-Zeit hätten die Künstler ohne Möglichkeit aufzutreten besonders gelitten: „Dass ihr jetzt kommt, ist unsere Rettung.“

Das Publikum im Milchwerk teilt sich: Wo der Hut ist, da ist Oerding.
Das Publikum im Milchwerk teilt sich: Wo der Hut ist, da ist Oerding. | Bild: Becker, Georg