Nachdem sich die Stadtverwaltung damit beschäftigt, was man mit einem ehemaligen Krankenhaus machen soll, musste sie nun auch nach einer Antwort suchen, was man mit einem ehemaligen Pflegeheim machen kann. Dafür haben Verwaltung und Gemeinderat einen Arbeitskreis gebildet und ein Wunschkonzept für die Immobilien Poststraße 15 und Seestraße 46 erarbeitet. Die Ausschreibung ist jüngst im Gemeinderat verabschiedet worden.
Neuer Wohnraum, aber nicht geeignet für Jedermann
Wegen der besonderen Beschaffenheit des ehemaligen Pflegeheims wäre ein Umbau in ein normales Wohnhaus mit hohen Kosten verbunden, erklärt Wirtschaftsförderer Emanuel Flierl. Es dann auch noch wirtschaftlich betreiben zu können, sei eher schwer. Deswegen strebe man einen Wohnkomplex an, in welchem neue, moderne Wohnformen umgesetzt werden können. Diese werden in der Fachsprache „Co-Living“ und „New Living“ genannt.
Laut Sitzungsunterlagen richtet sich dieses Modell an eine „mobile, urbane Zielgruppen wie Young Professionals, Studierende, digitale Nomaden und Berufseinsteiger“. Das Modell gebe es bereits in größeren Städten und werde meist gewerblich betrieben. Gerade aber Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt wie Radolfzell könnten von derartigen Projekten profitieren.

Was bedeuten „Co-Living“ und „New Living“?
Die meisten kennen studentische WGs, bei denen sich junge Leute zum Studium eine Wohnung teilen. Beim „Co-Living“ funktioniert das ähnlich, nur wird diese Wohngemeinschaft von einem professionellen Anbieter organisiert. Es gibt individuelle Verträge für Mieten und Dienstleistungen wie WLAN, Reinigung und Nebenkosten. Jeder Mitbewohner hat einen eigenen Rückzugsort, ein Zimmer mit eigenem Bad. Dazu gibt es in der Wohngruppe großzügige Küchen- und Aufenthaltsräume.
Beim Konzept des „New Living“ ist es ähnlich wie beim „Co-Living“, nur hat jede Partei eine eigene, kleine Wohnung mit Kochmöglichkeit. Der Wohngemeinschaftscharakter bleibt je nach Konzept erhalten, es können Serviceleistungen wie Gastronomie, Kultur, Wellness oder Ähnliches angeboten werden. Nur ist die Zielgruppe hier etwas weiter gefasst: In den kleinen Wohnungen sollen auch Familien oder Senioren dauerhaft eine Bleibe finden können. Wieder soll ein Investor oder professioneller Anbieter diese Wohnform zur Verfügung stellen.

Was passiert mit dem Erdgeschoss des ehemaligen Pflegeheims?
Die Cafeteria des ehemaligen Pflegeheims sowie der Innenhof, der beide Gebäude miteinander verbindet, sollen öffentlich zugänglich werden. So zumindest der große Wunsch von Oberbürgermeister Simon Gröger. Gemeinsam mit dem Investor, wenn man einen gefunden habe, wolle man ein geeignetes Konzept für die Flächen im Erdgeschoss suchen. Auch Gemeinderat und Öffentlichkeit sollen einbezogen werden.
Die Cafeteria könnte beispielsweise zu einem Inklusions-Café werden. Vereine und Organisationen könnten die Räume für Treffen und Veranstaltungen nutzen. Ähnlich ist es für den Innenhof geplant, der eine Fläche für Kultur und Sozialleben werden könnte.

Warum entwickelt die Stadt nicht selbst etwas an dem Standort?
Die Stadt Radolfzell hat für 2,8 Millionen Euro die Poststraße 15 vom Spitalfonds gekauft. Das Geld wurde für den Bau des neuen Pflegeheims auf der Mettnau benötigt. Mehr Geld sei nicht da und auch nie eingeplant gewesen, um die Immobilie weiterzuentwickeln, erklärt OB Gröger. Das Gebäude in der Seestraße gehöre noch dem Spitalfonds und sei dem Grundstockvermögen zugeordnet.
Ein Investor kann beide Gebäude nur über einen Erbpachtvertrag für zirka 50 Jahre zur Nutzung bekommen, verkauft werden die beiden Gebäude nicht. Die Verwaltung hält nach einem Investor Ausschau, der die Einrichtung auch selbst betreiben möchte und als Ansprechpartner für das Projekt erhalten bleibt. Die touristische Nutzung als Ferienwohnungen ist ausgeschlossen.

Gibt es überhaupt einen Bedarf an solchen Wohngemeinschaften?
Wirtschaftsförderer Flierl beantwortet diese Frage ganz klar mit Ja. Bei fast jedem Gespräch mit Radolfzeller Unternehmen sei die Wohnungssuche für neue Mitarbeitende ein Thema. Vor allem, wenn diese neu in die Region kämen. „Da gibt es auch einen großen Bedarf an möblierten Wohnungen“, so Flierl. Gerade junge Fachkräfte, die gerade erst ihre Ausbildung oder Studium abgeschlossen hätten und ihren ersten richtigen Job in der Berufswelt antreten würden, könnten an solch einer Wohnform Interesse haben. Die zentrale Lage mit direkter Laufnähe zum Radolfzeller Bahnhof mache die Wohnungen auch für Mitarbeitende von Unternehmen im gesamten Landkreis oder Studierenden aus Konstanz interessant.