Vor zwei Jahren, am 24. Februar 2022, marschierten russische Militärtruppen in die Ukraine ein. Seit jenem Tag beherrscht der Angriffskrieg die Politik auf europäischem Boden. In Radolfzell kamen deshalb am Samstag auf dem Marktplatz 200 Menschen zu einer Kundgebung plus weitere 100 Passanten zu einem Demonstrationszug durch die Innenstadt zusammen, um an den zweiten Jahrestag des Angriffskriegs zu erinnern und ihre Solidarität mit der Ukraine zu bekunden.
„Bis zum Januar 2024 verloren 5521 Männer, 3700 Frauen, 489 Jungen und 337 Mädchen ihr Leben“, zitierte Iryna Shudra bei ihrer Ansprache die von den Vereinten Nationen erfassten Verluste auf Seiten der Ukraine. Von weiteren 1934 getöteten Menschen habe man bis zu diesem Zeitpunkt das Geschlecht nicht identifiziert können. Jeden Tag verliere das Land ihre besten Menschen, sagte Shudra. Auf dem Marktplatz rief sie zu einer Gedenkminute für die Opfer auf.
Rede auf Ukrainisch mit Übersetzung
Iryna Shudra hielt zum zweiten Jahrestag ihre Rede in ukrainischer Sprache. Dmytro Subotnii übersetzte ihre Ansprache ins Deutsche. Am 24. Februar 2022 habe die groß angelegte russische Invasion in der Ukraine begonnen, sagte Shudra: „Ein Krieg, von dem nur wenige Menschen glaubten, dass er im 21. Jahrhundert möglich erscheinen würde.“ Alle würden nun verstehen können, dass der russische Nachbar nicht friedlich leben könne, er sich Dinge nehme, stehle und töte. Dabei behaupte das russische Nachbarland, es sei ein Friedensstifter.
Bereits seit zehn Jahren berichte die russische Regierung darüber, dass russisch-sprechende Leute, die in der Ukraine leben, von Russland geschützt werden müssten, da sie angeblich unterdrückt werden. Doch Shudra berichtete von insgesamt sieben Kriegen des „Friedensstifters“ und von den Besetzungen und Provokationen, in die Russland seit dem Jahr 1992 in Moldawien, Abchasien, Tschetschenien, Georgien, Syrien und zuletzt in der Ukraine involviert sei.

Shudra fragte sich, wie viele nicht wieder gut zu machende Verluste die Ukraine noch erleiden müsse. In jeder ukrainischen Familie gebe es einen Menschen, der nun wegen des Krieges gestorben sei – sei es beim Militär oder aus der Zivilbevölkerung. In Tränen aufgelöst verlas sie die Zahl der Verluste auf ukrainischer Seite an Männern, Frauen, Jungen und Mädchen – bis ihre Stimme versagte.
Dankbarkeit, aber auch Traurigkeit
Shudra berichtete über die russischen Angriffe und über die Maßnahmen des ukrainischen Militärs für die Verteidigung. Sie holte die Explosion des Kakhov-Stausees mit der folgenden ökologischen Katastrophe und die Nachrichten darüber in Erinnerung und dass Städte wie Mariupol, Bachmut und Avdiyivka dem Erdboden gleich gemacht worden seien. Wie könne man Russland stoppen, fragte Iryna Shudra: „Wir haben keine Antwort.“

Sie sei jedem Land, das der Ukraine mit Waffen helfe, dankbar – vor allem auch Deutschland. Doch würden die Waffenlieferungen für die Verteidigung nicht ausreichen, bedauerte Shudra. Sie sei auch traurig darüber, dass es Länder gebe, die mit der einen Hand die Ukraine mit Waffen beliefern und mit der anderen Hand russisches Gas kaufen.
Bedrückende Erlebnisberichte
Auch ukrainische Mitbürger traten an das Mikrofon. Sie trugen Gedichte vor, erzählten vom Schmerz und von der Wut gegenüber dem Aggressor und vom Wunsch, dass der Krieg zu Ende gehen möge. Eine Frau aus der Stadt Mariupol berichtete, wie ihr Haus dem Erdboden gleich gemacht wurde und wie sie in Deutschland eine neue Heimat fand. Zwei Frauen aus der bereits 2014 von den Russen besetzten Donezk-Region betonten, dass der Krieg für sie keine zwei, sondern bereits zehn Jahre andauere.
Für Evgenij Starchak ist der Krieg nicht nur ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Für den Vorsitzenden des Ukrainevereins mit Sitz in Singen ist er vielmehr eine Auseinandersetzung zwischen europäischen Werten des 21. Jahrhunderts und einem Imperialismus, den Europa in der Geschichte verortet hatte. „Wenn die Ukraine fällt, dann wird der Krieg nicht vorbei sein“, sagt Evgenij Starchak dem SÜDKURIER. Er werde weiter in den Westen getragen.
Als nächstes solle Estland „heim ins Reich“, sagte er in Anspielung auf die finstersten Zeiten deutscher Geschichte. Das würde die russische Propaganda bereits jetzt postulieren. Dahinter stecke der Glaube, dass man mit territorialer Aggression Politik gestalten könne. Man habe sich nicht vorstellen können, dass wieder viele Menschen wegen eines Geländegewinns sterben könnten, sagte Starchak: „Die Geschichte wiederholt sich und zeigt sich wieder von der schlechtesten Seite.“