Viel Zeit bleibt nicht mehr: Etwas mehr als zwei Monate in der Radolfzeller Stadtverwaltung hat Helmut Richter noch vor sich, dann verabschiedet sich der langjährige Kommandant und aktuelle Leiter des Fachbereichs Feuerwehr und Bevölkerungsschutz in den Ruhestand. Er kann auf viele Jahrzehnte zurückblicken, in dem er für die Sicherheit der Allgemeinheit im Einsatz war – und so manchen Einsatz erlebte, der ihm heute noch in Erinnerung geblieben ist.
Die ersten Funkmeldeempfänger waren riesig
Mit der Feuerwehr in Berührung kam Helmut Richter bereits als kleiner Junge: „Mein Vater war auch schon Feuerwehrangehöriger“, erzählt der heute 65-Jährige. Im elterlichen Haus habe es damals erst eine Glocke gegeben – über die sogenannte Weckerlinie sei der Vater dadurch zum Einsatz alarmiert worden. Später habe es dann einen Funkmeldeempfänger gegeben. „Die ersten waren so groß wie Kofferradios“, erinnert sich Richter.
Zwar habe es zu Beginn noch keine Jugendfeuerwehr in Radolfzell
Eigentlich wollte er gar nicht Kommandant werden
Im Gegenteil: Er habe gerade erst ein berufsbegleitendes Studium abgeschlossen und ihm sei eine Führungsposition in einem großen Tief- und Straßenbauunternehmen angeboten worden. Für eine Kommandanten-Tätigkeit war da wenig Zeit. Zumal diese damals noch ehrenamtlich war – seinen Job dafür aufgeben konnte Helmut Richter also nicht. Als ihn Feuerwehrkollegen zuhause aufsuchten, um über das Amt des Kommandanten zu sprechen, habe er erst einmal abgelehnt – sich nach weiteren Gesprächen aber schließlich doch bereit erklärt.
Dann habe er viele lange Tage erlebt, weil er nach der Arbeit fast immer noch im Feuerwehrhaus vorbeigeschaut habe. Drei Jahre nach seiner Ernennung sei er schließlich sogar zum damaligen Oberbürgermeister gegangen und habe ihm angekündigt, er könne sein Amt aus Zeitgründen nicht mehr lange ausüben.
Daraufhin begann „ein längerer Prozess“, so Richter: Zunächst sei ihm eine Stelle im Tiefbauamt der Stadt angeboten worden, damit man ihn 30 Prozent für die Feuerwehr freistellen konnte. Später sei er sogar zu 50 Prozent freigestellt worden, erst vom Tiefbauamt, dann in der Funktion als Sicherheitsfachkraft bei der Stadt. „Und irgendwann war ich dann 100 Prozent für die Feuerwehr zuständig.“
„Ich habe nie jemanden im Einsatz verloren“
In seiner Zeit bei der Radolfzeller Feuerwehr hat Helmut Richter viel gesehen: „Es gibt keine Einsatzart, die ich nicht erlebt habe über die Jahrzehnte“, ist er überzeugt. Nur ein Erlebnis musste er glücklicherweise nie machen: „Ich habe nie jemanden im Einsatz verloren“, sagt er. Verletzungen habe es durchaus gegeben, etwa Knochenbrüche. Aber nie sei ein Feuerwehrangehöriger in seiner Zeit als Kommandant gestorben. „Dafür bin ich dankbar und froh.“

Schreckliche Einsätze gab es dennoch. Helmut Richter erinnert sich zum Beispiel an den Flugzeugabsturz in Stahringen im Jahr 2008, als zwei Menschen starben und zwei Kinder verletzt wurden. Oder einen Verkehrsunfall außerhalb von Radolfzell, als ein Mann durch den Aufprall unter geladenen Mörtelsäcken und Steinen in seinem Auto eingeklemmt worden war.
Großbrand, Hochwasser und Orkan
Damals sei er als erster Feuerwehrangehöriger vor Ort gewesen, sogar noch in Zivilkleidung, weil er durch Zufall auf dem Weg ins Feuerwehrhaus am Unfallort vorbeigekommen sei. Bis die restlichen Einsatzkräfte eingetroffen seien, habe er mit dem Verunglückten gesprochen und ihn versucht zu beruhigen. „Ich konnte ja eigentlich gar nichts machen“, erinnert sich Richter. Dennoch habe der Mann ihn Jahre später an einer Veranstaltung auf den Vorfall angesprochen und sich bei ihm bedankt.

Und auch so manches Großereignis ist dem ehemaligen Kommandanten im Gedächtnis geblieben – darunter etwa der Großbrand in einem gewerblichen Gebäude an der Zeppelinstraße im Jahr 1992. „Da lagen unsere Leute im Gras, weil die Hitzestrahlung so enorm war“, erzählt Richter. Und sieben Jahre später beschäftigten die Feuerwehr gleich zwei heftige Wetterereignisse: zum einen Orkan Lothar, der zahlreiche Bäume umriss. Zum anderen das Hochwasser, das die Einsatzkräfte wochenlang in Atem hielt und während dem zu allem Überfluss auch noch ein großer Dachstuhlbrand in Radolfzell ausbrach.
Wie geht man mit solchen Erlebnissen um?
Um Feuerwehrangehörige nach erschreckenden Einsätzen zu unterstützen, sprach Helmut Richter eine Bekannte an, die als Psychologin arbeitete und sich bei Bedarf für die psychologische Betreuung bereiterklärte. „So haben wir relativ früh jemanden gehabt“, erklärt Richter – noch bevor Notfallseelsorger als alarmierbare Einheit eingesetzt wurden. Und auch der evangelische Pfarrer Christian Link, der der Feuerwehr beigetreten sei, sei als Seelsorger nach traumatischen Erlebnissen zur Verfügung gestanden.
Er selbst habe mit der Zeit herausgefunden, wie er mit dramatischen Einsätzen umgehen müsse. „Manchmal denke ich noch an diese Dinge, aber nur, wenn es einen Anlass dafür gibt“, sagt er. Ansonsten sei es ihm aber gelungen, Erlebtes zu verarbeiten.
„Ich bin froh, dass ich jetzt auch andere Sachen machen kann“
Nun ist Helmut Richter aus dem aktiven Einsatzdienst ausgeschieden und gehört der Altersabteilung an. „Ich werde der Feuerwehr immer verbunden bleiben“, sagt er. „Feuerwehr steckt mir im Blut. Das war meine Überzeugung, mein Idealismus.“ Aber er werde sich nicht in die Arbeit seines Nachfolgers Tobias Oechsle einmischen.
Nun sei er froh, mehr Zeit für seine Freizeit sowie Familie und Freunde zu haben. Denn die Zeit bei der Feuerwehr sei durchaus fordernd und zeitintensiv gewesen. „Meine Frau hat immer riesiges Verständnis gehabt“, sagt Richter. Er habe immer wieder nachts zu Einsätzen ausrücken müssen – und auch schon mal einen vollen Einkaufswagen mitten im Supermarkt stehen lassen. „Ich habe meine Funktion gerne ausgeübt und mich gerne eingebracht. Aber ich bin froh, dass ich jetzt auch andere Sachen machen kann.“