Noch haben es nicht alle im Rathaus und Gemeinderat bemerkt, sie sitzen in einer Zeitschleife fest. Wie in der gleichnamigen US-Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier„. Nur: Das Murmeltier in Radolfzell heißt „Seetorquerung„ respektive „Bahnhofsunterführung“. In unzähligen Ausschuss-, Gemeinderatssitzungen und Informationsabenden ist das Thema abgehandelt und durchgenudelt worden: Wie kommt der Mensch schöner an den See?

Die Geschichte mit der Seetorquerung

Eigentlich, so dachte man, sei das Thema beerdigt. Weil die Gegner der Seetorquerung im Gemeinderat plötzlich in der Mehrheit waren und dem Projekt im Haushalt 2020 für immer und ewig den Geldhahn abgedreht haben. Weil die Befürworter ihre Mehrheit für eine neue, breite, lichte und kürzere Unterführung bis dahin nicht in Bauaufträge umgesetzt bekommen haben. Weil OB Martin Staab mit einer Brückendiskussion noch eine Girlande drehte und anschließend ins Lager der Unentschiedenen wechselte, weil er der Bahn nicht mehr traute. Weil die Stadtverwaltung den Grundsatzbeschluss für eine Seetorquerung nicht vergabe- und vertragsreif in den Gemeinderat brachte, so lange anscheinend noch genügend Geld für das Projekt da war.

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Nun hat man unter Anleitung der Freien Grünen Liste im Mai den Grundsatzbeschluss für den Neubau aufgehoben. Damit war die Bahn am Zug. Sie muss den Bahnhof Radolfzell barrierefrei machen. Das heißt, Aufzüge zu den Bahnsteigen einbauen und die Bahnsteighöhen anpassen. Mehr muss die Bahn nicht. Damit es aber für Städte mit Bahnhöfen nicht zu langweilig wird, hat die Landesregierung das „Bahnhofsmodernisierungsprogramm II“ aus der Taufe gehoben. Für Radolfzell bedeutet das: Stadträte und Verwaltung müssen nicht auf ihr Murmeltier Bahnhof, Unterführung, Zugang, See verzichten, sie dürfen weiter darüber nachdenken, darüber reden und – vielleicht – ein bisschen was entscheiden.

Die Bahn spricht immer mit

Zumindest darf die Stadt die Unterführung – der alte und neue Weg an den See – aufhübschen. Die Stadt hat in einer Vereinbarung mit der Bahn im Jahr 1970 die Unterhaltspflicht für die Unterführung übernommen. Der Sanierung will sich die Stadt noch vor Beginn der Heimattage 2021 stellen, also in diesem Winter. Es soll ein neuer Boden gelegt werden, die Entwässerung erneuert und die Wände eine neue Oberfläche bekommen. Mehr Licht steht auf dem Programm, aber selbst da darf die Stadt nicht einbauen, was sie will, berichtet Uwe Negrassus von der Bauverwaltung: „Die Bahn hat da ein Mitspracherecht.“

Birco-Rinne in Standard oder Design

Dafür zahlt die Bahn auch. Egal ob der Gemeinderat am Ende die Einfach-, Standard- oder Premiumvariante auswählt, die Bahn will sich an den Kosten von 400.000, 500.000 oder 600.000 Euro immer exakt mit 250.000 Euro beteiligen. So sieht es nach der Vorstellung im Ausschuss Planung, Umwelt und Technik aus: Die Stadt und der Gemeinderat darf über eine Birco-Rinne in Standard oder Design und Feinputz oder Stempelbeton an der Wand entscheiden – über mehr eher nicht.

Der Spott bleibt nicht aus

Das fordert natürlich den Spott der Seetorquerungs-Verfechter heraus, SPD-Stadtrat Norbert Lumbe beschreibt die Ruinen der städtischen Gestaltungshoheit: „Dieser Vorschlag ist nichts anderes als die Bestandsvariante, die schon vor zehn Jahren auf dem Tisch lag.“ Für Lumbe bleibt der Unterführungstunnel „eine bautechnische Beleidigung“. Selbst Siegfried Lehmann von der Freien Grünen Liste, erster Streiter gegen die Seetorquerung, ist nun überrascht, dass er den alten Tunnel nur mit neuer Farbe vorgelegt bekommt: „Das habe ich mir anders vorgestellt.“

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Die Bahn aber nicht. Sie plant für den Umbau der Bahnsteige und den Einbau der Aufzüge 26,3 Millionen Euro ein. Der Vorteil für Radolfzell nach dem Verzicht auf eine komplett neue Bahnhofsgestaltung, der Finanzierungsanteil der Stadt für diesen barrierefreien Ausbau ist auf rund 2,5 Millionen Euro gedeckelt. Auch der Zeitplan für den Umbau liegt nun ganz alleine in der Hand der Bahn. Der sieht in verschiedenen Abschnitten der Planung, des Genehmigungsverfahrens eine Bauausführung in den Jahren 2026 bis 2028 vor.

Wie schnell ist die Bahn?

Das passt OB Staab nicht: „Es ist klar, dass wir eine schnellere Umsetzung wollen.“ So schnell war die Stadt: Am 8. Mai 2018 hat der Gemeinderat letztmalig mit Mehrheit eine neue Unterführung auf den Weg gebracht. Bis Ende 2019 war die Entwurfsplanung immer noch nicht vergeben. Nun zahlt sich die Langsamkeit der Stadt in eingesparten Ausgaben für eine Seetorquerung aus.

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Trotz Bahnhofsmodernisierungsprogramm, der Ertrag für die Stadt ist vorerst spärlich. Der OB hat die Zusage, dass der Fotoautomat im Eingangsbereich des Bahnhofs in einen hinteren Bereich versetzt werde. „Noch vor den Heimattagen„, hofft Staab. Die Stufen hinauf bleiben. „Die kann man nicht auf die Schnelle versetzen.“ Will die Stadt mehr am Bahnhof ändern, wird sie Geld in die Hand nehmen müssen. Was sie im Augenblick nach Corona nicht hat. Was es garantiert gibt: Zeit für Diskussionen im Gemeinderat.

Das Modernisierungsprogramm für Bahnhöfe in Modulen

Das Bahnhofsmodernisierungsprogramm II ist in drei Module aufgeteilt:

  • Das Modul I „Barrierefreie Haltestelle“ umfasst den barrierefreien Umbau von Bahnsteigen und deren Zugängen, die Sanierung von Bahnsteiganlagen und die Verbesserung von Stationsgebäuden der Deutschen Bahn.
  • Die Kosten für Modul I hat die Bahn in Radolfzell mit 26,3 Millionen Euro angegeben. Darin enthalten sind die Anpassung der Bahnsteige und der Einbau von vier Aufzügen. Die Stadt muss anteilig höchstens 80 Euro pro Einwohner daran bezahlen, was bei 32.000 Einwohnern einen Betrag von 2,56 Millionen Euro ergibt. Ob nun auch die Sanierung des Bahnhofsgebäudes dazu kommt und welche Kosten für die Stadt dabei entstehen, soll die Stadtverwaltung nun prüfen.
  • Das Modul II „Stationsumfeld und Mobilitätsknoten“ sieht die Verknüpfung verschiedener Mobilitätsformen im Umfeld der Station wie Park & Ride, Bike & Ride, Bushaltestellen, Echtzeitinformationsanzeiger, E-Ladestationen vor.
  • Die Finanzierung eines Moduls II muss die Stadt Radolfzell selber mit Förderungen aus entsprechenden Landesprogrammen stemmen. Diese Maßnahmen werden von der Bahn weder gefördert noch baulich begleitet.
  • Das Modul III „Kommunale Stationsgebäude“ soll Kommunen bei der Sanierung und dauerhaften Bereitstellung von Stationsgebäuden unterstützen, die von der Bahn veräußert wurden oder werden. Modul III spielt für Radolfzell keine Rolle.
  • Die Unterführung spielt bei der Bahnhofsanierung eine Sonderrolle: Die Unterhaltspflicht und damit die Aufgabe der Sanierung liegt bei der Stadt Radolfzell. Die Bahn will sich an diesen Kosten von etwa einer halben Million Euro mit 250.000 Euro beteiligen, sie hat in technischen Fragen ein Mitspracherecht.